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Mehr als einmal kam ihm bei solchen Spaziergängen der Gedanke, selbst einmal – d.h. natürlich nicht jetzt, sondern später, wenn die Hauptsache erledigt sein und er die nötigen Mittel in Händen haben würde –, selbst einmal ein friedlicher Besitzer eines ähnlichen Gutes zu werden. Natürlich dachte er dabei gleich auch an ein junges, frisches Weibchen mit weißem Gesicht, aus dem Kaufmanns- oder einem anderen reichen Stande, die sogar musikalisch wäre. Er stellte sich auch die junge Generation vor, die das Geschlecht der Tschitschikows verewigen sollte: einen lebhaften Jungen und eine hübsche Tochter oder sogar zwei Jungen und zwei oder sogar drei Töchter, damit alle wissen, daß er wirklich gelebt und existiert hatte und nicht als ein Schatten oder Gespenst über die Erde gezogen war – damit er sich auch vor seinem Vaterlande nicht zu schämen brauchte. Dann fiel ihm noch ein, daß auch eine Erhöhung seines Ranges gar nicht übel wäre: Staatsrat ist zum Beispiel ein von allen geachteter Titel ... Was kommt nicht alles einem Menschen beim Spaziergange in den Sinn, was ihn der langweiligen Gegenwart entreißt, seine Phantasie neckt und reizt, und wenn er auch selbst überzeugt ist, daß dies niemals eintreffen kann!

Auch den Leuten Tschitschikows gefiel das Dorf sehr gut. Sie fühlten sich darin gleich ihrem Herrn bald sehr heimisch. Petruschka schloß sich sehr schnell dem Küchenverwalter Grigorij an, obwohl sie beide zuerst sehr wichtig taten und die Nasen rümpften. Petruschka streute Grigorij Sand in die Augen, indem er ihm von seinen weiten Fahrten erzählte; Grigorij brachte ihn aber gleich mit der Erwähnung Petersburgs zum Schweigen, wo Petruschka noch nie gewesen war. Der letztere machte noch den Versuch, ihm mit der Entfernung der Gegenden, die er besucht hatte, zu imponieren; aber Grigorij nannte darauf einen solchen Ort, der auf keiner Karte zu finden war und der ganze dreißigtausend Werst weit liegen sollte, so daß der Diener Pawel Iwanowitschs vor Erstaunen den Mund aufriß und sofort vom ganzen Hausgesinde ausgelacht wurde. Trotzdem führte dieser Verkehr zu der allerengsten Freundschaft. Am Rande des Dorfes hielt Pimen der Kahle, der Onkel sämtlicher Bauern, eine Schenke, die den Namen »Akuljka« trug. In diesem Institut sah man sie zu allen Tageszeiten. Hier waren sie Stammgäste.

Sselifan fand hier andere Versuchungen. Im Dorfe wurden jeden Abend Lieder gesungen und Frühlingsreigen getanzt. Die rassigen schlanken Mädchen, wie man sie heute in den größeren Dörfern noch kaum finden kann, ließen ihn stundenlang mit aufgerissenem Munde dastehen. Es war schwer zu sagen, welche von ihnen die schönste war: sie alle hatten weiße Busen und weiße Hälse, schöne verschleierte Augen, Bewegungen von Pfauen und Zöpfe, die bis an den Gürtel reichten. Wenn er, sie bei ihren weißen Händen haltend, mit ihnen langsam den Reigen tanzte, oder mit den anderen Burschen als Mauer gegen sie vorrückte, wenn die Mädchen lächelnd sangen: »Ihr Herren, zeigt uns den Bräutigam!«; wenn die ganze Umgegend dunkel wurde und der Gesang weit jenseits des Flusses traurig widerhallte – so wußte er selbst nicht, wie ihm war. Im Schlafe und im Wachen, am Morgen und in der Dämmerung glaubte er dann immer in seinen beiden Händen weiße Mädchenhände zu halten und sich im Reigen zu bewegen.

Auch den Pferden Tschitschikows gefiel ihre neue Wohnung. Das Deichselpferd, der »Assessor«, und selbst der Schecke fanden den Aufenthalt bei Tjentjetnikow gar nicht langweilig, den Hafer vorzüglich und die Lage der Stallungen außerordentlich bequem: ein jedes hatte zwar seinen abgezäunten Stand, doch die Verschlage waren so niedrig, daß man über sie leicht die anderen Pferde sehen konnte; wenn es einem von ihnen, selbst einem, das am weitesten stand, einfiel, plötzlich zu wiehern, so konnte man ihm augenblicklich antworten.

Mit einem Worte, alle fühlten sich wie zu Hause. Was aber die Angelegenheit betrifft, in der Pawel Iwanowitsch das ganze weite Rußland bereiste, nämlich die toten Seelen, so war er in dieser Beziehung äußerst vorsichtig und heikel geworden, selbst wenn er es mit ausgesprochenen Dummköpfen zu tun hatte. Tjentjetnikow aber las doch immerhin Bücher, philosophierte und suchte verschiedene Zusammenhänge zu ergründen, warum und weshalb dies und jenes geschah. – Nein, ich fange vielleicht besser vom anderen Ende an, – dachte sich Tschitschikow. Aus seinen häufigen Gesprächen mit dem Hausgesinde erfuhr er, daß der Herr früher recht oft einen General in der Nachbarschaft besucht hatte, daß der General eine Fräulein Tochter habe, daß der Herr dem Fräulein und das Fräulein dem Herrn ... aus der Sache sei aber nichts geworden, und sie seien auseinandergegangen. Er sah auch selbst, daß Andrej Iwanowitsch mit Bleistift und Feder fortwährend Köpfchen zeichnete, die alle einander ähnlich sahen.

Eines Tages nach dem Essen, als er wie gewöhnlich seine silberne Schnupftabaksdose um ihre eigene Achse drehte, sagte er: »Eines fehlt Ihnen nur, Andrej Iwanowitsch.«

»Was denn?« fragte jener, indem er eine krause Rauchwolke in die Luft steigen ließ.

»Eine Lebensgefährtin«, sagte Tschitschikow.

Andrej Iwanowitsch entgegnete darauf nichts. Damit war das Gespräch zu Ende.

Tschitschikow gab aber die Sache nicht auf. Er wählte eine andere Zeit vor dem Abendessen und sagte während eines Gesprächs über dies und jenes ganz unvermittelt: »Sie sollten doch wirklich heiraten, Andrej Iwanowitsch.«

Tjentjetnikow reagierte darauf mit keinem Wort, als wäre ihm dieses Thema höchst unangenehm.

Tschitschikow ließ den Mut noch immer nicht sinken. Zum drittenmal wählte er eine Zeit nach dem Abendessen und sagte: »Wie ich Ihre Lebensumstände auch betrachte, so sehe ich, daß Sie heiraten müssen: Sie verfallen in Hypochondrie.«

Klangen die Worte Tschitschikows diesmal besonders überzeugend, oder war Tjentjetnikow diesmal besonders zur Aufrichtigkeit geneigt – kurz, er seufzte auf und sagte, indem er den Rauch aufsteigen ließ: »Für jede Sache muß man als Glückspilz geboren sein, Pawel Iwanowitsch«, und er erzählte ihm die ganze Geschichte seiner Bekanntschaft mit dem General und ihrer Entzweiung.

Als Tschitschikow die Sache mit allen Einzelheiten erfuhr und sah, daß die Geschichte wegen des einen Wortes »du« entstanden war, schien er im ersten Augenblick ganz verdutzt. Eine Minute lang sah er Tjentjetnikow unverwandt in die Augen, als suchte er sich klar zu werden, ob jener ein ausgesprochener Dummkopf oder nur etwas blöde sei, und schließlich ...

»Andrej Iwanowitsch! Erlauben Sie!« sagte er, seine beiden Hände ergreifend. »Was ist das für eine Beleidigung? Was ist denn in dem Worte ›du‹ so verletzend?«

»Im Worte selbst steckt natürlich nichts Verletzendes«, sagte Tjentjetnikow. »Die Beleidigung lag aber nicht im Sinne des Wortes, sondern im Ton, mit dem es gesprochen wurde! ›Du!‹ – das bedeutet: ›Merk es dir, daß du eine Null bist; ich verkehre mit dir nur, weil ich keinen besseren habe; wenn aber eine Fürstin Jusjakina gekommen ist, so sollst du wissen, wo dein Platz ist, und bei der Schwelle stehen.‹ Das bedeutet dieses Wort!« Bei diesen Worten sprühten die Augen unseres sanften und milden Andrej Iwanowitschs Funken; seine Stimme zitterte vor beleidigtem Ehrgefühl.

»Und selbst wenn er es in diesem Sinne gebraucht hat, was ist denn dabei?« fragte Tschitschikow.

»Wie? Sie wollen, daß ich mit ihm nach dieser Handlungsweise noch weiter verkehre?«

»Was ist denn das für eine Handlungsweise? Es ist überhaupt keine Handlungsweise«, sagte Tschitschikow kaltblütig.

»Wieso ist das keine Handlungsweise?« fragte Tjentjetnikow erstaunt.

»Es ist nur so eine Angewohnheit eines Generals und keine Handlungsweise: sie sagen zu allen ›du‹. Warum soll man das auch einem so verdienten und geachteten Mann nicht erlauben? ...«

»Das ist eine andere Sache«, sagte Tjentjetnikow. »Wäre er ein Greis und arm, weder stolz, noch eitel, noch General, so würde ich ihm erlauben, mir ›du‹ zu sagen und dies sogar mit Respekt aufnehmen.«