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– Er ist ganz dumm – dachte sich Tschitschikow, – einem Bettler würde er es erlauben, aber einem General nicht! ... – »Schön!« sagte er laut. »Nehmen wir sogar an, daß er Sie beleidigt hat, Sie haben es ihm aber schon heimgezahlt: er hat Sie beleidigt, und Sie ihn. Aber sich mit einem Menschen entzweien und dabei eine persönliche Sache aufgeben, das ist, entschuldigen Sie ... Wenn man sich schon einmal ein Ziel gesteckt hat, so muß man es energisch verfolgen. Wer wird darauf achten, daß der andere spuckt! Der Mensch ist schon einmal so beschaffen, daß er immer spucken muß. Finden Sie doch in der ganzen Welt einen Menschen, der nicht spuckte!«

– Ein merkwürdiger Kauz ist dieser Tschitschikow! – dachte sich Tjentjetnikow verdutzt und von diesen Worten überrascht.

– Ein merkwürdiger Kauz ist dieser Tjentjetnikow! – dachte sich währenddessen Tschitschikow.

»Andrej Iwanowitsch, ich will mit Ihnen wie ein Bruder sprechen! Sie sind unerfahren, lassen Sie mich diese Sache in Ordnung bringen. Ich will zu Seiner Exzellenz hinfahren und ihm erklären, daß ein Mißverständnis vorliege, daß alles von Ihrer Jugend und mangelnden Menschen- und Weltkenntnis komme.«

»Ich bin nicht geneigt, mich vor ihm irgendwie zu erniedrigen!« sagte Tjentjetnikow verletzt. »Und ich kann auch Sie nicht dazu ermächtigen.«

»Auch ich bin nicht fähig, mich zu erniedrigen«, sagte Tschitschikow verletzt. »Ich kann mir wohl eine andere menschliche Schwäche zuschulden kommen lassen, doch werde ich mich niemals vor jemand erniedrigen ... Andrej Iwanowitsch, Sie müssen mir meine gute Absicht entschuldigen, ich hatte nicht erwartet, daß Sie meine Worte in einem beleidigenden Sinne auffassen werden.« Dies alles sagte er mit großer Würde.

»Ich bin schuld, entschuldigen Sie!« sagte Tjentjetnikow gerührt und ergriff ihn hastig bei beiden Händen. »Ich wollte Sie gar nicht beleidigen. Ich schwöre Ihnen, Ihre gütige Teilnahme ist mir sehr wertvoll! Brechen wir aber dieses Gespräch ab und sprechen wir nie wieder darüber!«

»In diesem Falle fahre ich ganz einfach zum General.«

»Wozu denn?« fragte Tjentjetnikow, ihm erstaunt in die Augen blickend.

»Um ihm meine Hochachtung zu bezeugen.«

– Ein merkwürdiger Mensch ist dieser Tschitschikow! – dachte sich Tjentjetnikow.

»Ich will ihn gleich morgen gegen zehn Uhr früh besuchen, Andrej Iwanowitsch. Ich bin der Ansicht, je schneller man einem seine Hochachtung bezeugt, um so besser. Da mein Reisewagen noch nicht im richtigen Zustande ist, so gestatten Sie mir, Ihren Wagen zu benützen. Ich würde schon morgen so gegen zehn Uhr früh zu ihm hinfahren.«

»Aber erlauben Sie, was ist das für eine Bitte? Sie sind hier der Herr, und die Equipage steht zu Ihrer Verfügung.«

Nach dieser Unterhaltung wünschten sie einander gute Nacht und zogen sich ein jeder auf sein Schlafzimmer zurück, nicht ohne über die Eigentümlichkeit des anderen nachzudenken.

Eine seltsame Sache! Als am anderen Morgen die Equipage vorfuhr und Tschitschikow mit einer beinahe militärischen Gewandtheit, in einem neuen Frack, weißer Binde und Weste hineinsprang und davonfuhr, um dem General seine Hochachtung zu bezeugen, geriet Tjentjetnikow in eine solche Aufregung, wie er sie schon lange nicht empfunden hatte. Alle seine eingerosteten und verschlafenen Gedankengänge wurden plötzlich lebhaft und unruhig. Eine nervöse Erregung bemächtigte sich plötzlich aller Gefühle des in sorglosen Müßiggang versunkenen Faulenzers. Bald setzte er sich aufs Sofa, bald trat er ans Fenster, bald nahm er ein Buch vor, bald versuchte er zu denken – ein vergebliches Bemühen: kein Gedanke kam ihm in den Kopf. Bald versuchte er, an nichts zu denken – vergebliche Mühe: Bruchstücke von Gedanken, Enden und Zipfel von Gedanken kamen ihm von allen Seiten in den Sinn. »Ein seltsamer Zustand!« sagte er und setzte sich ans Fenster, um auf die den Eichenwald durchschneidende Landstraße zu schauen, an deren Ende noch der Staub wirbelte. Wir wollen aber Tjentjetnikow verlassen und Tschitschikow folgen.

Zweites Kapitel

Die guten Pferde legten mit Tschitschikow die zehn Werst lange Strecke in kaum mehr als einer halben Stunde zurück: erst ging der Weg durch einen Eichenwald, dann an Getreidefeldern vorbei, die inmitten frischgepflügten Äckern grünten, dann am Rande der Anhöhe, von der aus sich immer neue Aussichten boten; dann führte er durch eine breite Allee von Linden, deren Knospen eben erst aufgingen, mitten ins Dorf. Hier machte die Allee eine Wendung nach rechts, verwandelte sich in eine Allee von Pappeln, die unten mit Flechtwerk eingefaßt waren, und endete vor einem gußeisernen Gittertor, durch das man die reich verzierte Fassade des Generalshauses mit den acht korinthischen Säulen sehen konnte. Überall roch es nach Ölfarbe, die alles verjüngt und keinem Ding Zeit läßt, alt zu werden. Der Hof war so sauber wie Parkett. Tschitschikow sprang mit Respekt aus dem Wagen, ließ sich beim General anmelden und wurde direkt ins Kabinett geführt. Der General setzte ihn mit seinem majestätischen Äußern in Erstaunen. Er trug einen gesteppten Atlasschlafrock von herrlicher Purpurfarbe. Ein offener Blick, ein männliches Gesicht, graumelierter Schnurr- und Backenbart, kurz geschnittenes Haar im Nacken, ein dicker, dreistöckiger, d. h. drei Falten bildender Hals mit einer Querfalte: mit einem Worte, es war einer von den malerischen Generalen, an denen das Jahr 1812 so reich gewesen war. General Betrischtschew hatte wie die meisten von uns eine Menge von Vorzügen und eine Menge von Mängeln. Die einen wie die anderen waren in ihm, wie es beim Russen so oft der Fall ist, in malerischer Unordnung durcheinandergewürfelt. In entscheidenden Augenblicken zeigte er Großmut, Tapferkeit, grenzenlose Freigebigkeit und Verstand in allen Dingen; daneben war er aber launisch, ehrgeizig, selbstsüchtig und zeigte alle die kleinen Empfindlichkeiten, ohne die kein Russe auskommen kann, wenn er ohne Arbeit dasitzt und keine entscheidenden . . . Er mochte alle, die ihn im Dienste überholt hatten, nicht leiden und äußerte sich über sie bissig in scharfen Epigrammen. Am meisten bekam von ihm einer seiner früheren Kameraden ab, der, nach seiner Ansicht, wie an Klugheit so an Fähigkeiten ihm nachstand, der ihn aber schon überholt hatte und Generalgouverneur zweier Gouvernements war, wie zum Trotz derselben, in denen sich seine Besitzungen befanden, so daß er von ihm gewissermaßen abhing. Um sich an ihm zu rächen, verspottete er ihn bei jeder Gelegenheit, tadelte jede seiner Anordnungen und sah in allen seinen Maßnahmen und Handlungen den Gipfel der Dummheit. Alles war an ihm höchst merkwürdig; so war er ein eifriger Vorkämpfer jeder Aufklärung und liebte es, Dinge zu wissen, die die anderen nicht wußten; diejenigen aber, die etwas wußten, was er nicht wußte, konnte er nicht leiden. Mit einem Worte, er liebte es, mit seinem Verstände zu brillieren. Obwohl er fast ausschließlich von Ausländern erzogen worden war, wollte er die Rolle eines echt russischen Grandseigneurs spielen. Es ist auch nicht zu verwundern, daß er bei diesem ungleichmäßigen Charakter und den auffallenden inneren Widersprüchen auf seiner Laufbahn vielen Unannehmlichkeiten begegnete, so daß er schließlich seinen Abschied nehmen mußte; dies schrieb er aber einer vermeintlichen feindlichen Partei zu und hatte nicht den Mut, auch nur einen Teil der Schuld auf sich selbst zu nehmen. Auch außer Dienst behielt er die gleiche malerische und majestätische Haltung. Ganz gleich, ob er einen Rock, einen Frack oder einen Schlafrock anhatte, er war immer derselbe. Von der Stimme bis zur kleinsten Gebärde war an ihm alles gebieterisch und befehlend und weckte in den ihm Untergebenen wenn nicht Achtung, so doch jedenfalls Furcht.

Tschitschikow empfand das eine wie das andere: Achtung und Furcht. Den Kopf ehrerbietig zur Seite geneigt, die Hände gespreizt, wie wenn er ein Tablett mit Tassen heben wollte, verbeugte er sich wunderbar elegant mit dem ganzen Rumpfe und sagte: »Ich hielt es für meine Pflicht, mich Eurer Exzellenz vorzustellen. Da ich hohe Achtung vor den Tugenden der Männer habe, die das Vaterland auf dem Schlachtfelde erretteten, hielt ich es für meine Pflicht, mich Eurer Exzellenz persönlich vorzustellen.«