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Dem General schien diese Einleitung nicht zu mißfallen. Er nickte höchst gnädig mit dem Kopfe und sagte: »Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen. Wollen Sie doch Platz nehmen. Wo haben Sie gedient?«

»Meine dienstliche Laufbahn«, begann Tschitschikow, sich setzend, doch nicht etwa in die Mitte des Sessels, sondern etwas schief und mit der Hand die Armlehne ergreifend, »begann im Rentamte, Exzellenz. Ihren weiteren Verlauf nahm dieselbe in verschiedenen Ressorts: ich war am Hofgericht, an einer Baukommission und am Zollamte angestellt. Mein Leben ließe sich mit einem Schiffe inmitten Meereswellen vergleichen, Exzellenz. Ich bin sozusagen mit Geduld großgezogen worden und bin, man kann wohl sagen, die personifizierte Geduld ... Was ich aber von meinen Feinden auszustehen hatte, die mir selbst nach dem Leben trachteten, das vermag weder ein Wort, noch eine Farbe, noch sozusagen ein Pinsel wiederzugeben, und so suche ich an meinem Lebensabend einen Winkel, um den Rest meiner Tage zu verbringen. Vorläufig wohne ich beim nächsten Nachbar Eurer Exzellenz ...«

»Bei wem denn?«

»Bei Tjentjetnikow, Exzellenz.«

Der General verzog das Gesicht.

»Exzellenz, er bereut es sehr, daß er Ihnen nicht den schuldigen Respekt erwiesen hat.«

»Respekt, wovor?«

»Vor den Verdiensten Eurer Exzellenz. Er findet keine Worte ... Er sagt: ›Wenn ich nur könnte, auf irgendeine Weise ... denn ich weiß‹, sagt er, ›die Männer wohl zu schätzen, die das Vaterland verteidigt haben.‹ So sagt er.«

»Aber erlauben Sie, was hat er denn? Ich bin ihm doch gar nicht böse«, sagte der General, viel milder werdend. »Ich habe in meinem Herzen eine aufrichtige Zuneigung zu ihm gefaßt und bin überzeugt, daß aus ihm mit der Zeit ein höchst nützlicher Mensch werden wird.«

»Euer Exzellenz haben just das richtige Wort gebraucht: in der Tat, ein höchst nützlicher Mensch; er versteht es, mit Worten zu kämpfen und kann auch gut schreiben.«

»Ich meine, er wird wohl irgendeinen Unsinn schreiben – macht er nicht Verse?«

»Nein, Eure Exzellenz, es ist kein Unsinn ... Es ist etwas sehr Vernünftiges ... Er schreibt ... eine Geschichte, Eure Exzellenz.«

»Eine Geschichte? Was für eine?«

»Eine Geschichte ...« Tschitschikow machte hier eine Pause, entweder weil vor ihm ein General saß, oder um einfach der Sache einen größeren Nachdruck zu verleihen. Er fuhr fort: »Eine Geschichte der Generale, Exzellenz.«

»Wieso, der Generale? Welcher Generale?«

»Der Generale im allgemeinen, Exzellenz. Das heißt eigentlich der vaterländischen Generale.«

Tschitschikow kam plötzlich ganz aus dem Konzept; er war nahe daran, auszuspucken und sagte zu sich selbst: – Mein Gott, was schwatze ich da zusammen? –

»Entschuldigen Sie, ich verstehe es nicht ganz ... Was soll es denn werden: die Geschichte einer bestimmten Epoche oder eine Reihe einzelner Biographien? Gedenkt er alle Generale aufzunehmen oder nur die, die an den Ereignissen des Jahres 1812 beteiligt waren?«

»Gewiß, Euer Exzellenz, nur solche, die im Jahre 1812 beteiligt waren!« Nachdem er dies gesagt, dachte er sich: – Man schlage mich tot, ich verstehe nichts! –

»Warum kommt er dann nicht mal zu mir? Ich könnte ihm recht viel interessantes Material liefern.«

»Er getraut sich nicht, Exzellenz.«

»Unsinn! Wegen eines dummen Wortes, das ich so ganz zwischen uns fallen gelassen habe ... Ich bin ja nicht so ein Mensch. Ich bin sogar bereit, selbst zu ihm hinzufahren.«

»Das wird er nicht zulassen, er wird selbst herkommen«, sagte Tschitschikow. Nun hatte er seine Selbstbeherrschung wieder und dachte sich: – Dieses Glück! Wie gut habe ich es mit den Generalen getroffen! Die sind mir aber ganz zufällig eingefallen. –

Im Kabinett raschelte es. Die Nußholztür eines geschnitzten Schrankes ging ganz von selbst auf, und auf ihrer Rückseite zeigte sich, die Hand an der Messingklinke, ein reizendes lebendes Bild. Wäre plötzlich in einem dunklen Zimmer ein von starken Lampen durchleuchtetes Transparentbild erschienen, so hätte es durch die Plötzlichkeit seines Erscheinens keinen so mächtigen Eindruck machen können, wie diese kleine Gestalt. Offenbar war sie ins Zimmer getreten, um etwas zu sagen, als sie aber einen Unbekannten sah . . . mit ihr zugleich war gleichsam ein Sonnenstrahl eingedrungen, und das ganze düstere Kabinett des Generals schien zu lächeln. Tschitschikow konnte sich im ersten Augenblick keine Rechenschaft darüber ablegen, was eigentlich vor ihm stand. Es war schwer zu sagen, aus welchem Lande sie stammte. Ein so reines, edles Gesichtsoval könnte man wohl nirgends finden, höchstens auf antiken Kameen. Schlank und leicht wie ein Pfeil, schien sie alles zu überragen. Es war aber nur eine Täuschung. Sie war gar nicht groß gewachsen. Die Täuschung beruhte auf dem ungewöhnlich harmonischen Verhältnis ihrer Glieder zueinander. Ihr Kleid saß so, als hätten sich die besten Schneiderinnen zusammengetan, um sich zu beraten, wie sie am besten zu kleiden wäre. Aber auch das war eine Täuschung. Ihr Kleid war ganz von selbst entstanden: die Nadel hatte ein nicht mal zugeschnittenes Stück einfarbigen Stoffes aufs Geratewohl an zwei oder drei Stellen zusammengerafft, und schon hatte er sich selbst in so wunderbaren Falten um sie geschmiegt, daß, wenn man sie auf einem Bilde darstellen wollte, alle nach der Mode gekleideten jungen Mädchen im Vergleich zu ihr wie bunte Puppen vom Trödelmarkte ausgesehen hätten. Hätte man sie aber mit allen Falten des sie umschmiegenden Gewandes in Marmor nachgebildet, so würde man das Werk einem genialen Künstler zuschreiben. Nur eines war nicht gut: sie war gar zu schlank und hager.

»Ich will Ihnen meinen Liebling vorstellen!« sagte der General, sich an Tschitschikow wendend. »Ihren Familiennamen, auch Ihren Vor- und Vaternamen weiß ich übrigens noch immer nicht.«

»Soll man denn den Vor- und Vaternamen eines Menschen kennen, der sich durch keinerlei Tugenden ausgezeichnet hat?« sagte Tschitschikow bescheiden, den Kopf auf die Seite neigend.

»Man muß doch immerhin wissen ...«

»Pawel Iwanowitsch, Exzellenz!« sagte Tschitschikow, indem er sich mit einer beinahe militärischen Gewandtheit verbeugte und mit der Leichtigkeit eines Gummiballs zurückprallte.

»Ulinjka!« wandte sich der General an die Tochter: »Pawel Iwanowitsch hat soeben eine höchst interessante Neuigkeit mitgeteilt. Unser Nachbar Tjentjetnikow ist doch nicht so dumm, wie wir es geglaubt haben. Er befaßt sich mit einer recht wichtigen Arbeit: er schreibt die Geschichte der Generale des Jahres 1812.«

»Wer hat denn geglaubt, daß er dumm sei?« entgegnete sie schnell. »Höchstens Wischnepokromow, dem du so vertraust, der aber ein hohler und gemeiner Mensch ist!«

»Warum denn gemein? Etwas hohl ist er allerdings«, sagte der General.

»Er ist auch etwas gemein und niederträchtig und nicht nur etwas hohl. Wer seine Brüder so schlecht behandelt und seine leibliche Schwester aus dem Hause gejagt hat, der ist ein gemeiner Mensch.«

»Das erzählt man sich nur.«

»Solche Dinge wird man nicht ohne Grund erzählen. Ich verstehe es wirklich nicht, Vater, wie du es mit deinem guten und edlen Herzen fertigbringst, mit einem Menschen zu verkehren, der von dir so verschieden ist wie die Erde vom Himmel, und von dem du selbst weißt, daß er schlecht ist.«

»Nun sehen Sie«, sagte der General lächelnd zu Tschitschikow: »So streiten wir uns immer herum.« Darauf wandte er sich an seine Opponentin und fuhr fort:

»Herzchen, ich kann ihn doch nicht hinausjagen!«

»Warum denn hinausjagen? Aber warum erweist du ihm soviel Aufmerksamkeit, warum liebst du ihn?«

Hier hielt es Tschitschikow für nötig, ins Gespräch einzugreifen.

»Alle Menschen verlangen nach Liebe, gnädiges Fräulein«, sagte Tschitschikow. »Was soll man machen? Auch das Haustier liebt es, daß man es streichelt; es steckt seine Schnauze aus dem Stalle heraus: bitte, streichle mich!«