Drittes Kapitel
– Wenn der Oberst Koschkarjow wirklich verrückt ist, so wäre das gar nicht schlecht, – sagte sich Tschitschikow, als er sich wieder inmitten freier Felder befand, als alles verschwunden war und er nur noch das Himmelsgewölbe und zwei Wolken seitwärts sah.
»Sselifan, hast du dich auch ordentlich erkundigt, wie man zum Obersten Koschkarjow fährt?«
»Pawel Iwanowitsch, ich war so sehr mit dem Wagen beschäftigt, daß ich keine Zeit dazu hatte. Petruschka hat aber den Kutscher ausgefragt.« »Dummkopf! Ich habe dir schon so oft gesagt, daß man sich auf Petruschka nicht verlassen darf; Petruschka ist wohl auch jetzt besoffen.«
»Als ob es eine große Weisheit wäre!« sagte Petruschka, sich halb umwendend und nach Tschitschikow schielend. »Man fährt den Berg hinunter und schlägt dann den Weg durch die Wiesen ein – das ist alles.«
»Fusel ist wohl alles, was du im Munde gehabt hast? Du bist wirklich schön! Man kann wohl sagen: du setzt durch deine Schönheit ganz Europa in Erstaunen!« Nach diesen Worten streichelte sich Tschitschikow sein Kinn und dachte sich: – Was ist doch für ein Unterschied zwischen einem gebildeten Bürger und einer groben Lakaienphysiognomie! –
Die Equipage rollte indessen den Berg hinunter. Wieder zeigten sich weite Wiesen mit hier und da verstreutem Espengehölz.
Die bequeme Equipage fuhr, auf ihren elastischen Federn leise zitternd, vorsichtig die kaum merkliche Bodensenkung hinab und rollte dann über Wiesen, an Mühlen vorbei, laut auf den Brücken dröhnend und auf dem weichen Boden leicht schaukelnd. Der Körper des Fahrenden bekam aber auch nicht einen Erdbuckel zu spüren! Das reinste Vergnügen, und keine Equipage.
Weidengebüsch, dünne Espen und Silberpappeln flogen schnell an ihnen vorbei und peitschten mit ihren Zweigen die auf dem Bocke sitzenden Sselifan und Petruschka. Dem letzteren schlugen sie jeden Augenblick die Mütze vom Kopfe. Der mürrische Diener sprang dann jedesmal vom Bocke, schimpfte auf den Baum und auf dessen Besitzer, der ihn gepflanzt hatte, wollte aber trotzdem seine Mütze weder festbinden noch mit der Hand festhalten, da er immer noch hoffte, daß dies das letztemal gewesen sei und nicht mehr vorkommen werde. Zu den Bäumen gesellten sich bald Birken und hier und da Tannen. Unten an den Wurzeln wucherte dichtes Gras, und darin leuchteten blaue Schwertlilien und gelbe Waldtulpen. Im Walde wurde es immer dunkler, so daß man glaubte, es werde bald die Nacht einbrechen. Plötzlich drangen aber zwischen den Ästen und Baumstümpfen Lichtstrahlen durch, wie von hellen Spiegeln geworfen. Die Bäume standen nicht mehr so dicht beieinander, die Lichtreflexe nahmen zu ... und da liegt schon vor ihnen ein See, eine Wasserfläche von etwa vier Werst Durchmesser. Auf dem gegenüberliegenden Ufer erhob sich über dem See ein Dorf, das aus grauen Blockhäusern bestand. Auf dem Wasser tönten Schreie. An die zwanzig Mann, bis an den Gürtel, bis an die Schultern, bis an den Hals im Wasser stehend, schleppten ein Netz ans jenseitige Ufer. Es hatte sich ein seltsamer Unfall ereignet. Zugleich mit den Fischen war ein kugelrunder Herr in das Netz geraten, der ebenso breit als lang war und einer Wassermelone oder einem Fäßchen glich. Er befand sich in verzweifelter Lage und schrie aus vollem Halse: »Denis, du Tölpel, gib es doch dem Kusjma! Kusjma, nimm das Ende dem Denis ab! Foma der Große, dräng nicht so! Geh hin, wo Foma der Kleine steht! Ihr Teufel, ich sag’s euch ja, ihr werdet noch das Netz zerreißen!« Die Wassermelone war offenbar nicht um sich selbst besorgt: infolge seiner Dicke konnte er gar nicht ertrinken, und wenn er noch so sehr zappelte, um unterzutauchen, würde ihn das Wasser immer wieder heben; und wenn sich noch zwei Menschen auf seinen Rücken setzten, so bliebe er dennoch wie eine eigensinnige Schwimmblase auf der Oberfläche des Wassers und würde unter der Last nur ein wenig ächzen und aus der Nase Luftblasen aufsteigen lassen. Er hatte aber große Angst, das Netz könnte zerreißen, und die Fische würden entschlüpfen; aus diesem Grunde mußten einige Männer, die am Ufer standen, ihn mit eigens befestigten Stricken herausziehen.
»Das wird wohl der Herr Oberst Koschkarjow sein«, sagte Sselifan.
»Warum?«
»Weil sein Körper, wie Sie zu sehen belieben, weißer ist als bei den anderen, auch hat er die edle Körperfülle eines Herrn.«
Den Herrn, der ins Netz geraten war, hatte man indessen beträchtlich näher ans Ufer gezogen. Als er fühlte, daß er den Grund mit den Füßen erreichen konnte, richtete er sich auf und bemerkte im gleichen Augenblick die den Damm herunterfahrende Equipage und den in ihr sitzenden Tschitschikow.
»Haben Sie schon zu Mittag gegessen?« schrie der Herr, mit den gefangenen Fischen in der Hand ans Ufer tretend und noch ganz ins Netz verstrickt – er erinnerte dabei an ein Damenhändchen im durchbrochenen Sommerhandschuh. Die eine Hand hielt er zum Schutze gegen die Sonne über die Augen, die andere – etwas tiefer unten – wie die dem Bade entsteigende Venus von Medici.
»Nein«, entgegnete Tschitschikow, die Mütze lüftend und ihn aus dem Wagen begrüßend.
»Nun, dann danken Sie Gott!«
»Warum denn?« fragte Tschitschikow interessiert, die Mütze über dem Kopfe haltend.
»Das will ich Ihnen gleich zeigen! Foma der Kleine, laß das Netz und hol mal den Stör aus dem Bottich! Kusjma, du Tölpel, geh hin, hilf ihm!«
Die beiden Fischer hoben aus dem Bottich den Kopf eines Ungeheuers. – »Ist das ein Fürst! Ist aus dem Flusse in den See geraten!« schrie der kugelrunde Herr. »Fahren Sie doch in den Hof! Kutscher, nimm den Weg unten durch die Gemüsefelder! Foma der Große, du Tölpel, lauf hin und öffne das Gatter! Er wird Sie begleiten, ich komme gleich nach ...«
Der langbeinige und barfüßige Foma der Große lief, so wie er war, im bloßen Hemd vor dem Wagen her durch das ganze Dorf, wo vor jedem Hause allerlei Netze, Reusen und andere Fischereigeräte hingen: sämtliche Bauern waren Fischer; dann hob er ein Gatter, und der Wagen fuhr zwischen Gemüsegärten auf den Dorfplatz, wo die hölzerne Kirche stand. Hinter der Kirche waren in einiger Entfernung die Dächer der Gutsgebäude zu sehen.
– Ein Kauz ist dieser Koschkarjow! – dachte sich Tschitschikow.
»Da bin ich schon!« erklang eine Stimme von der Seite. Tschitschikow sah sich um. Der Herr fuhr schon neben ihm her, fertig angezogen, in einem grasgrünen Nankingrock und gelber Hose; sein Hals war aber unbekleidet wie bei einem Kupido. Er saß seitwärts in seiner Droschke, nahm aber die ganze Droschke ein. Tschitschikow wollte ihm etwas sagen, aber der Dicke war schon verschwunden. Die Droschke tauchte wieder an der Stelle auf, wo man die Fische aus dem Netze nahm. Wieder hörte man ihn schreien: »Foma der Große! Foma der Kleine! Kusjma! Denis!« Als aber Tschitschikow vor der Freitreppe des Herrenhauses anlangte, stand der dicke Herr zu seinem größten Erstaunen schon da und schloß ihn in seine Arme. Wie er es fertiggebracht hatte, so schnell hier und dort zu sein, war ein Rätsel. Sie küßten sich nach altrussischer Sitte dreimal übers Kreuz: der Herr war ein Mann vom alten Schrot und Korn.
»Ich bringe Ihnen die Grüße Seiner Exzellenz«, sagte Tschitschikow.
»Von welcher Exzellenz?«
»Von Ihrem Verwandten, dem General Alexander Dimitrijewitsch.«
»Wer ist Alexander Dimitrijewitsch?«
»Der General Betrischtschew«, antwortete Tschitschikow erstaunt.
»Ich kenne ihn nicht«, sagte jener erstaunt.
Tschitschikows Erstaunen wurde noch größer.
»Wie ist es nun? ... Ich hoffe wenigstens, das Vergnügen zu haben, mit dem Obersten Koschkarjow zu sprechen?«
»Nein, hoffen Sie lieber nicht. Sie sind nicht zu ihm, sondern zu mir gekommen. Pjotr Petrowitsch Pjetuch! Pjetuch, Pjotr Petrowitsch!« fiel ihm der Hausherr ins Wort.
Tschitschikow war ganz starr. »Was ist denn das?« wandte er sich an Sselifan und Petruschka, die gleichfalls ihre Münder aufsperrten und mit den Augen glotzten, der eine auf dem Bocke sitzend, der andere vor dem Wagenschlag stehend. »Was habt ihr angestellt, Dummköpfe? Ich habe euch doch gesagt: zum Obersten Koschkarjow ... Das ist aber Pjotr Petrowitsch Pjetuch!«