»Die Burschen haben es vorzüglich getroffen! Geht nur in die Küche, man wird euch dort ein Glas Schnaps geben«, sagte Pjotr Petrowitsch Pjetuch. »Spannt die Pferde aus und geht gleich in die Gesindestube!«
»Ich muß mich genieren: ein so unerwarteter Irrtum ...«« sagte Tschitschikow.
»Nein, das ist kein Irrtum. Kosten Sie erst das Mittagessen, und dann werden Sie sagen, ob es ein Irrtum ist. Ich bitte ergebenst«, sagte Pjetuch, Tschitschikow unterfassend und in die inneren Gemächer führend. Aus den inneren Gemächern kamen ihnen zwei Jünglinge in Sommerröcken entgegen, schlank wie Weidenruten; beide überragten ihren Vater um eine ganze Elle.
»Meine Söhne, Gymnasiasten, sind für die Feiertage hergekommen ... Nikolascha, du bleibst mit dem Gast, und du, Alexascha, kommst mit mir.« Mit diesen Worten verschwand er.
Tschitschikow widmete sich dem Nikolascha. Nikolascha versprach ein ziemlich gemeiner Mensch zu werden. Er erzählte Tschitschikow sofort, daß es sich gar nicht lohne, das Gymnasium in der Gouvernementsstadt zu besuchen, und daß er und sein Bruder die Absicht haben, nach Petersburg zu gehen, weil die Provinz es gar nicht verdiene, daß man in ihr wohne ...
– Ich verstehe wohl, – dachte sich Tschitschikow, – die Sache wird wohl mit den Konditoreien und Boulevards enden ... – »Übrigens,« sagte er laut, »in welchem Zustande befindet sich das Gut Ihres Herrn Vaters?«
»Es ist verpfändet«, sagte der Herr Vater, der plötzlich wieder im Salon war. »Es ist verpfändet!«
– Es ist schlimm, – dachte sich Tschitschikow. – So wird bald kein einziges Gut übrigbleiben. Ich muß mich beeilen. – »Es ist aber schade,« sagte er teilnahmsvoll, »daß Sie sich beeilt haben, es zu verpfänden.«
»Nein, das macht nichts«, sagte Pjetuch. »Man sagt, es sei vorteilhaft. Alle tun es: warum soll ich hinter den anderen zurückbleiben? Auch habe ich bisher immer hier gelebt; nun will ich mal versuchen, in Moskau zu leben. Auch meine Söhne raten mir dazu, sie wollen sich in der Residenzstadt bilden.«
– Ein Dummkopf, ein Dummkopf! – dachte sich Tschitschikow. – Er wird alles durchbringen und auch seine Söhne zu Verschwendern machen. Das Gut ist gar nicht übel. Wenn man so hinsieht, so haben es die Bauern gut, und auch die Besitzer haben es nicht schlecht. Wenn sie sich aber ihre Bildung aus den Restaurants und Theatern holen, so wird alles zum Teufel gehen. Dieser Fleischkuchen sollte doch lieber auf dem Lande bleiben. –
»Ich weiß aber, was Sie sich denken«, sagte Pjetuch.
»Was denn?« fragte Tschitschikow verlegen.
»Sie denken sich: ›Ein Dummkopf ist dieser Pjetuch: hat mich zum Mittagessen eingeladen, vom Essen ist aber noch nichts zu sehen.‹ Es wird schon fertig werden, Verehrtester. Ein geschorenes Mädel kann sich nicht so schnell den Zopf flechten, als das Essen auf den Tisch kommt.«
»Papachen! Platon Michailowitsch kommt gerade geritten!« sagte Alexascha, zum Fenster hinausblickend.
»Er kommt auf seinem Braunen!« sagte Nikolascha, sich zum Fenster beugend.
»Wo ist er denn, wo ist er denn?« schrie Pjetuch, ans Fenster tretend.
»Wer ist dieser Platon Michailowitsch?« fragte Tschitschikow Alexascha.
»Unser Nachbar, Platon Michailowitsch Platonow, ein vorzüglicher Mensch, ein herrlicher Mensch«, erwiderte Pjetuch selbst.
Indessen trat Platonow, ein hübscher, schlanker Mann mit hellblonden, glänzenden, lockigen Haaren, selbst ins Zimmer. Ihm folgte, mit dem messingbeschlagenen Halsband klirrend, ein gar schrecklich aussehender Hund, namens Jarb.
»Haben Sie schon zu Mittag gegessen?« fragte ihn der Hausherr.
»Ich habe schon gegessen.«
»Sind Sie gekommen, um über mich zu spotten? Was taugen Sie mir, wenn Sie schon gegessen haben?«
Der Gast versetzte lächelnd: »Ich will Ihnen zum Trost sagen, daß ich nichts gegessen habe: ich habe keinen Appetit.«
»Wenn Sie nur unseren Fang gesehen hätten! Den Riesenstör! Die Riesenkarpfen und Karauschen!«
»Man ärgert sich sogar, wenn man Ihnen zuhört. Warum sind Sie immer so lustig?«
»Warum sollte ich mich langweilen? Erlauben Sie doch!«
»Warum man sich langweilen soll? Weil es eben langweilig ist.«
»Sie essen zu wenig, das ist alles. Versuchen Sie mal ordentlich zu Mittag zu essen. Diese Langeweile hat man erst in der allerletzten Zeit erfunden; früher hat sich kein Mensch gelangweilt.«
»Prahlen Sie doch nicht! Als ob Sie sich niemals gelangweilt hätten!«
»Nein, niemals! Ich kenne das gar nicht, habe auch keine Zeit, um mich zu langweilen. Wenn ich am Morgen erwache, kommt gleich der Koch, und ich muß ihm das Mittagessen bestellen; dann trinke ich Tee; dann kommt der Verwalter; dann muß ich zum Fischfang, und dann ist es auch schon Zeit zum Mittagessen. Nach dem Essen habe ich kaum Zeit, ein Schläfchen zu machen: da kommt schon wieder der Koch, und ich muß ihm das Abendessen bestellen; nach dem Abendessen kommt wieder der Koch, und ich muß mit ihm das Essen für den anderen Tag bestellen ... Wann soll ich mich langweilen?«
Während dieses Gespräches betrachtete Tschitschikow den Gast, der ihn durch seine ungewöhnliche Schönheit, seinen schlanken Wuchs, die Frische der unverbrauchten Jugend und die jungfräuliche Reinheit des von keinem Pickel verunstalteten Gesichts in Erstaunen setzte. Weder Leidenschaft noch Kummer noch etwas wie Unruhe oder Sorge hatten es gewagt, sein jungfräuliches Gesicht zu berühren und darauf auch nur eine Runzel zu bilden; sie hatten es aber auch nicht belebt. Er blieb irgendwie verschlafen, trotz des ironischen Lächelns, das es zuweilen erhellte. »Auch ich kann, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten,« sagte Tschitschikow, »unmöglich verstehen, wie Sie mit Ihrem Äußern sich langweilen können. Natürlich, wenn man an Geldmangel leidet oder Feinde hat, die einem manchmal sogar nach dem Leben trachten ...«
»Glauben Sie mir«, unterbrach ihn der schöne Gast: »Zur Abwechslung möchte ich mal gerne irgendeine Aufregung erleben, daß mich zum Beispiel jemand in Wut versetzt – ich habe aber nicht mal das. Es ist mir einfach langweilig, das ist alles.«
»Also haben Sie nicht genug Land oder zu wenig Leibeigene?«
»Keine Spur. Mein Bruder und ich besitzen zusammen etwa zehntausend Deßjatinen und über tausend Bauern.«
»Seltsam. Das verstehe ich nicht. Vielleicht hat es bei Ihnen Mißernten oder Seuchen gegeben? Sind Ihnen viele Bauern männlichen Geschlechts gestorben?«
»Im Gegenteil, alles ist in der besten Ordnung, und mein Bruder versteht sich ausgezeichnet auf die Wirtschaft.«
»Und dabei langweilen Sie sich! Das verstehe ich nicht«, sagte Tschitschikow und zuckte die Achseln.
»Die Langeweile wollen wir gleich verjagen«, sagte der Hausherr. »Alexascha, lauf mal schnell nach der Küche und sag dem Koch, er möchte uns gleich einige Pastetchen herschicken. Wo stecken aber der Faulpelz Jemeljan und der Dieb Antoschka? Warum bringt man uns die Vorspeisen nicht?«
Da ging aber die Türe auf. Der Faulpelz Jemeljan und der Dieb Antoschka erschienen mit Servietten, deckten den Tisch und stellten ein Tablett auf mit sechs Karaffen mit Schnäpsen aller Farben. Um die Karaffen entstand bald eine Kette von Tellern mit allerlei appetitreizenden Speisen. Die Diener bewegten sich flink und brachten immerfort neue zugedeckte Teller, in denen man die geschmolzene Butter zischen hörte. Der Faulpelz Jemeljan und der Dieb Antoschka machten ihre Sache vorzüglich. Ihre Spitznamen hatten sie offenbar nur zur Ermunterung erhalten. Der Herr schimpfte sonst gar nicht gern und war höchst gutmütig; der Russe kann aber ohne ein kräftiges Wort gar nicht auskommen. Er braucht es wie ein Gläschen Schnaps zur Verdauung. Was soll man machen? So ist mal seine Natur: er liebt nichts Ungesalzenes und Ungepfeffertes.
Nach den Vorspeisen kam das eigentliche Mittagessen. Der gutmütige Hausherr wurde hier zu einem wahren Räuber. Sobald er bei jemand nur ein Stück auf dem Teller bemerkte, legte er gleich ein zweites Stück dazu mit der Bemerkung: »Weder ein Mensch noch ein Vogel kann auf der Welt allein leben.« Wenn jemand zwei Stück hatte, so legte er ihm ein drittes dazu und sagte: »Was ist zwei für eine Zahl? Gott liebt die Dreizahl.« Hatte der Gast drei Stücke verzehrt, so sagte er ihm: »Wo gibt’s einen Wagen auf drei Rädern? Wer baut ein Haus mit drei Ecken?« Für vier hatte er auch eine Redensart, für fünf – wieder eine andere. Tschitschikow hatte beinahe zwölf Stücke gegessen und dachte sich: – Jetzt wird der Hausherr wohl nichts mehr sagen können. – Doch gefehlt: der Hausherr legte ihm, ohne ein Wort zu sagen, den ganzen Rückenteil eines am Spieß gebratenen Kalbes mit den Nieren auf den Teller, und was für eines Kalbes!