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»Zwei Jahre habe ich es mit Milch ernährt«, sagte der Hausherr. »Habe es wie ein eigenes Kind gepflegt!«

»Ich kann nicht mehr«, sagte Tschitschikow.

»Versuchen Sie es erst, und dann können Sie sagen: ›Ich kann nicht mehr.‹«

»Es ist kein Platz mehr in mir.«

»Auch in der Kirche war kein Platz, da kam aber der Stadthauptmann, und sofort fand sich Platz. Und doch war solch ein Gedränge, daß kein Apfel zu Boden fallen konnte. Versuchen Sie es nur: dieses Stück ist auch so ein Stadthauptmann.«

Tschitschikow versuchte – das Stück war in der Tat eine Art Stadthauptmann: es fand sich noch Platz dafür, obwohl er anfangs glaubte, es könne nichts mehr hinein.

– Wie kann nur so ein Mensch nach Petersburg oder nach Moskau ziehen? Bei seiner Gastfreundschaft ist er nach drei Jahren am Bettelstab! – Tschitschikow kannte nämlich den neuesten Fortschritt noch nicht: man kann, auch ohne so gastfrei zu sein, sein ganzes Vermögen nicht nur in drei Jahren, sondern auch in drei Monaten durchbringen.

Pjetuch füllte die Gläser fortwährend nach; was die Gäste nicht austranken, das mußten seine Söhne Alexascha und Nikolascha austrinken; diese tranken ein Glas nach dem anderen, und man konnte schon sehen, auf welches Gebiet des menschlichen Wissens sie sich in der Hauptstadt verlegen würden. Den Gästen ging es aber ganz anders: mit der größten Mühe schleppten sie sich auf den Balkon, wo sie mit der gleichen großen Mühe in Sessel sanken. Kaum hatte sich der Hausherr in seinen viersitzigen Sessel gesetzt, als er sofort einschlief. Sein massiver Körper verwandelte sieh in einen großen Blasebalg, und aus seinem offenen Munde und den Nasenlöchern kamen Töne, wie sie selbst den neueren Komponisten selten einfallen: man hörte zugleich eine Trommel, eine Flöte und ein eigentümliches abgerissenes Dröhnen, das am ehesten an Hundegebell erinnerte.

»Wie er pfeift«, sagte Platonow.

Tschitschikow mußte lachen.

»Natürlich, wenn man so gegessen hat, wie kann man sich da noch langweilen? Da kommt einfach der Schlaf, nicht wahr?«

»Gewiß. Und doch kann ich, Sie entschuldigen mich schon, nicht verstehen, wie man sich langweilen kann. Gegen die Langeweile gibt es so viele Mittel.«

»Was für Mittel?«

»Für so einen jungen Mann gibt es doch mancherlei. Er kann tanzen, irgendein Instrument spielen ... er kann auch heiraten.«

»Wen?«

»Gibt es denn in der Umgegend keine hübschen und reichen Mädchen?«

»Ich wüßte nicht.«

»Dann muß man eben anderswo suchen, eine kleine Reise machen.« Plötzlich kam Tschitschikow ein glänzender Gedanke. »Ja, das ist wirklich ein ausgezeichnetes Mittel!« sagte er, Platonow gerade in die Augen blickend.

»Was für eines?«

»Reisen.«

»Wohin soll man denn reisen?«

»Nun, wenn Sie freie Zeit haben, so fahren Sie doch mit mir«, sagte Tschitschikow. Er sah Platonow an und dachte sich: – Das wäre wirklich schön. Alle Auslagen werden dann geteilt, und die Reparatur des Wagens schreibe ich ihm ganz auf die Rechnung. –

»Wo fahren Sie denn hin?«

»Vorläufig fahre ich weniger in eigenen Geschäften als in einer fremden Angelegenheit. Der General Betrischtschew, mein naher Freund und, ich darf wohl sagen, Wohltäter, bat mich, seine Verwandten zu besuchen ... Verwandte hin, Verwandte her, doch ich fahre sozusagen zum Teil auch zum eigenen Nutzen: denn die Welt und den Strudel der Menschen sehen, ist, man mag sagen, was man will, gleichsam ein lebendiges Buch, eine eigene Wirtschaft.« Während er dies sagte, dachte er bei sich: – Das wäre wirklich schön. Ich könnte es auch so einrichten, daß er die ganzen Auslagen trägt und daß wir sogar mit seinen Pferden fahren; die meinen könnte er indessen auf seinem Gute verpflegen. –

– Warum soll ich nicht die kleine Reise machen? – dachte sich indessen Platonow. – Zu Hause habe ich nichts zu tun, die Wirtschaft wird ohnehin von meinem Bruder verwaltet; folglich kann nichts in Unordnung geraten. Warum soll ich nicht in der Tat die kleine Reise machen? – »Wären Sie einverstanden,« sagte er laut, »bei meinem Bruder an die zwei Tage zu Gast zu bleiben? Sonst läßt er mich nicht fort.«

»Mit dem größten Vergnügen, sogar drei Tage.«

»Also abgemacht! Wir fahren!« sagte Platonow, sichtbar lebhafter werdend. So wurde die Sache beschlossen. »Wir fahren!«

»Wohin denn, wohin?« rief der Hausherr, aus seinem Schlafe erwachend und sie anglotzend. »Nein, meine Herren! Ich habe schon die Räder von Ihren Wagen abnehmen lassen, und was Ihren Hengst betrifft, Platon Michailowitsch, so hat man ihn schon fünfzehn Werst weit von hier weggeführt. Nein, heute übernachten Sie bei mir, morgen essen wir ordentlich zum Frühstück, und dann können Sie fahren.«

Was war mit diesem Pjetuch zu machen? Man mußte bleiben. Dafür wurden sie mit einem wunderbaren Frühlingsabend belohnt. Der Hausherr veranstaltete eine Bootfahrt auf dem Flusse. Zwölf Ruderer mit vierundzwanzig Rudern führten sie unter Gesängen über die spiegelglatte Fläche des Sees. Aus dem See kamen sie in den Fluß, der zwischen flachen Ufern in die Unendlichkeit hinzog; in einemfort mußten sie unter den quer über den Fluß gespannten Tauen durchfahren, die irgendwie zum Fischfang dienten. Das Wasser war vollkommen unbeweglich; lautlos wechselten die Bilder ab, ein Gehölz nach dem anderen erfreute das Auge durch die verschiedenartige Anordnung der Bäume. Die Ruderer holten auf einmal kräftig mit allen vierundzwanzig Rudern aus, und das Boot flog ganz von selbst wie ein leichter Vogel über die unbewegliche Wasserfläche dahin. Der Vorsänger, ein breitschulteriger Bursche, der am dritten Platz vom Steuer saß, stimmte mit seiner reinen, glockenhellen Stimme die ersten Töne des Liedes an, die aus einer Nachtigallkehle zu kommen schienen; fünf andere fielen ein, die übrigen sechs vervollständigten den Chor, und das Lied floß dahin, grenzenlos wie Rußland. Pjetuch geriet in Ekstase und half mit wo dem Chor die Kraft fehlte, und selbst Tschitschikow fühlte sich als Russe. Nur Platonow allein dachte sich: – Was ist eigentlich an diesem traurigen Lied schön? Es macht einen nur noch trauriger. –

Sie fuhren in der Dämmerung zurück. Die Ruder schlugen das Wasser, das den Himmel nicht mehr spiegelte. In der Dunkelheit landeten sie am Ufer, wo überall Feuer brannten; die Fischer kochten auf Dreifüßen eine Suppe aus frischgefangenen Barschen. Alles war schon zu Hause. Das Vieh und das Geflügel der Bauern war schon längst in den Ställen, der Staub, den sie aufgewirbelt hatten, hatte sich schon gelegt, und die Hirten, die das Vieh heimgetrieben hatten, standen vor den Toren und warteten auf einen Topf Milch oder auf eine Einladung zur Fischsuppe. In der Dämmerung hörte man leise Gespräche der Menschen und Hundegebell, das aus einem anderen Dorfe herüberklang. Der Mond ging auf, und die dunkle Umgebung begann sich zu erhellen; alles erhellte sich. Herrliche Bilder! Es war aber niemand da, der sie bewundern konnte. Nikolascha und Alexascha verschmähten es, auf zwei wilde Hengste zu steigen und, einander überholend, an diesen Bildern vorbeizujagen, und zogen es vor, an Moskau, an die Konditoreien und die Theater zu denken, von denen ihnen ein aus der Hauptstadt zugereister Kadett soviel erzählt hatte; ihr Vater dachte daran, was er seinen Gästen zum Abendessen vorsetzen sollte; Platonow gähnte. Am lebhaftesten zeigte sich Tschitschikow: – Nein, wirklich, ich muß mir mal so ein Gut anschaffen! – Und er dachte auch sofort an das junge Weibchen und an die kleinen Tschitschikows.