»Was ist das für ein Dreck, der da herumliegt, Schwester?« fragte Platonow.
»Wieso Dreck!« rief die Hausfrau. »Das ist das beste Mittel gegen Fieber. Im vorigen Jahre haben wir damit alle Bauern kuriert. Dieses da ist für Likör bestimmt, dieses aber wird mit Zucker eingemacht. Ihr lacht alle über unser Eingemachtes und in Salz Eingelegtes, wenn ihr es aber eßt, lobt ihr es selbst.«
Platonow trat ans Klavier und blätterte in den Noten.
»Mein Gott! Dieses alte Zeug!« sagte er. »Schämst du dich denn nicht, Schwester?«
»Du mußt schon entschuldigen, Bruder, ich habe keine Zeit zum Musizieren. Ich habe eine achtjährige Tochter, die ich unterrichten muß. Sie einer ausländischen Gouvernante überliefern, um selbst freie Zeit zum Musizieren zu haben, so was tue ich nicht, du mußt schon entschuldigen, Bruder.«
»Wie langweilig du doch geworden bist, Schwester!« sagte Platonow, ans Fenster tretend. »Da kommt er ja schon, er kommt!« rief er plötzlich.
Auch Tschitschikow eilte ans Fenster. Dem Hause näherte sich ein etwa vierzigjähriger Mann, mit lebhaftem, gebräuntem Gesicht, in einem Rock aus Kamelhaartuch. Auf seine Kleidung gab er wohl nicht viel. Er trug eine Mütze aus Wollsammet. Rechts und links von ihm gingen zwei Männer niederen Standes, ohne Mützen, in ein Gespräch mit ihm vertieft; der eine war ein einfacher Bauer, der andere wohl ein zugereister Dorfwucherer, ein durchtriebener Kerl, in blauem Rock. Da sie alle vor dem Hause stehenblieben, konnte man ihre Unterhaltung im Zimmer hören.
»Macht es lieber so: kauft euch bei eurem Herrn los. Ich will euch auch das Geld vorstrecken, und ihr arbeitet es mir später ab.«
»Nein, Konstantin Fjodorowitsch, warum sollen wir uns loskaufen? Nehmen Sie uns so. Von Ihnen kann man ja jede Weisheit lernen. Einen so klugen Menschen findet man nicht so bald wieder. Heutzutage kann man sich selbst gar nicht in acht nehmen: es ist ein wahres Unglück. Die Branntweinschenker brauen solche Schnäpse, daß sich einem gleich nach dem ersten Glase der Magen umdreht und man hinterher einen ganzen Eimer Wasser aussaufen möchte; ehe man sich’s versieht, hat man sein ganzes Geld vertrunken. Es gibt viele Versuchungen. Man möchte glauben, daß der Böse die Welt regiert, bei Gott! Man führt allerlei Dinge ein, um die Bauern verrückt zu machen: Tabak und ähnliches Zeug ... Was soll man da machen, Konstantin Fjodorowitsch? Man ist nur ein Mensch und kann sich nicht beherrschen.« »Hör’ einmaclass="underline" bei mir bleibt ihr doch immer Leibeigene. Ihr bekommt zwar gleich je eine Kuh und ein Pferd und alles andere zugewiesen, aber ich verlange von meinen Bauern mehr als jeder andere Gutsbesitzer. Bei mir mußt du arbeiten: ganz gleich, ob für mich oder für dich selbst; Müßiggang dulde ich nicht. Auch ich selbst arbeite wie ein Ochs, ebenso meine Bauern, denn ich habe das schon selbst erfahren: wenn man nicht arbeitet, so fallen einem allerlei Dummheiten ein. Überlegt es euch also in eurer Gemeinde und besprecht es miteinander.«
»Wir haben schon darüber gesprochen, Konstantin Fjodorowitsch. Das sagen auch die Alten: ›Was ist da noch viel zu reden?‹ Jeder Bauer ist bei Ihnen reich: das wird schon seinen Grund haben. Auch die Geistlichen sind mitleidig. Uns hat man aber unsere Geistlichen genommen, und wir haben niemand, der einen beerdigen kann.«
»Geh doch hin und besprich es mit deinen Leuten.«
»Zu Befehl!«
»Sie müssen schon so gut sein, Konstantin Fjodorowitsch, und ein wenig nachlassen«, sagte der zugereiste Dorfwucherer im blauen Rock, an der anderen Seite gehend.
»Ich hab’s schon, einmal gesagt: ich mag nicht handeln. Ich bin nicht wie mancher andere Gutsbesitzer, zu dem du gerade an dem Tage kommst, wo er der Leihkasse die Zinsen bezahlen muß. Ich kenne euch ja: ihr habt Listen, in denen vermerkt ist, wer und wieviel er zu zahlen hat. Ist das ein Kunststück? Wenn er das Geld dringend braucht, gibt er dir die Ware auch zum halben Preis her. Was brauche ich aber dein Geld? Die Ware kann bei mir auch drei Jahre liegen: ich brauche keine Zinsen an die Leihkasse zu zahlen.«
»Das ist auch vernünftig, Konstantin Fjodorowitsch. Ich mache das Geschäft doch nur, um auch in Zukunft mit Ihnen in Verbindung zu bleiben, und nicht aus Geldgier. Wollen Sie also die dreitausend Rubel Anzahlung nehmen.« Der Dorfwucherer holte aus dem Busen einen Pack fettiger Banknoten. Kostanschoglo nahm sie ihm höchst kaltblütig aus der Hand und steckte sie, ohne nachzuzählen, in die hintere Rocktasche.
– Hm! – dachte sich Tschitschikow, – ganz als ob es ein Taschentuch wäre! – Kostanschoglo zeigte sich in der Salontür. Er machte auf Tschitschikow jetzt einen noch größeren Eindruck durch sein sonnengebräuntes Gesicht, seine struppigen schwarzen Haare, die stellenweise vorzeitig ergraut waren, den lebhaften Ausdruck der Augen und sein ganzes etwas galliges südländisches Aussehen. Er war kein reiner Russe. Er wußte selbst nicht, woher seine Vorfahren stammten. Er interessierte sich nicht für seinen Stammbaum, da er der Ansicht war, daß dies unwichtig sei und für die Landwirtschaft keine Bedeutung habe. Er hielt sich für einen Russen und kannte auch keine andere, Sprache außer der russischen.
Platonow stellte ihm Tschitschikow vor. Die Schwäger küßten sich.
»Um mich von meiner Langweile zu kurieren, habe ich mich entschlossen, eine Reise durch einige Gouvernements zu machen, Konstantin«, sagte Platonow.
»Und Pawel Iwanowitsch machte mir den Vorschlag, mich ihm anzuschließen.«
»Sehr schön«, sagte Kostanschoglo. »Welche Gegenden«, fuhr er fort, sich freundlich an Tschitschikow wendend, »gedenken Sie auf Ihrer Reise zu besuchen?«
»Offen gestanden,« antwortete Tschitschikow, den Kopf höflich auf die Seite neigend und zugleich mit der Hand die Armlehne des Sessels streichelnd, »fahre ich weniger in eigenen Geschäften als in einer fremden Angelegenheit. Der General Betrischtschew, mein naher Freund und, ich darf wohl sagen, Wohltäter, bat mich, seine Verwandten zu besuchen. Verwandte hin, Verwandte her, doch ich fahre auch sozusagen im eigenen Interesse: ganz abgesehen vom Nutzen im Hinblick auf die Hämorrhoiden, ist auch die Bekanntschaft mit der Welt und dem Strudel der Menschen sozusagen ein lebendiges Buch, eine eigene Wissenschaft.«
»Ja, es schadet gar nicht, sich gewisse Winkel anzusehen.«
»Sie haben es ganz vortrefflich bemerkt: es schadet wirklich nicht, das ist das richtige Wort. Man sieht Dinge, die man sonst nicht zu Gesicht bekommt; man lernt Menschen kennen, die man sonst nicht kennenlernen würde. Das Gespräch mit manch einem Menschen ist einen Dukaten wert, wie zum Beispiel jetzt, wo ich die Gelegenheit habe ... Ich wende mich an Sie, verehrtester Konstantin Fjodorowitsch, lehren Sie mich, lehren Sie mich, stillen Sie meinen Durst durch Belehrung. Ich ersehne Ihre süßen Worte wie himmlisches Manna.«
»Ja, was soll ich Sie lehren?« sagte Kostanschoglo verlegen. »Ich habe ja selbst keine richtige Bildung genossen.«
»Lehren Sie mich Weisheit, Verehrtester, Weisheit: die Kunst, das schwierige Steuer der Landwirtschaft zu handhaben, die Kunst, sichere Gewinne zu erzielen, ein Vermögen zu erwerben, kein imaginäres, sondern ein greifbares Vermögen und damit die Bürgerpflicht zu erfüllen und die Achtung seiner Landsleute zu erlangen.«
»Wissen Sie was?« sagte Kostanschoglo, ihn nachdenklich anschauend: »Bleiben Sie einen Tag bei mir. Ich will Ihnen den ganzen Verwaltungsmechanismus zeigen und alles erklären. Sie werden sehen, daß gar nicht viel Weisheit dahintersteckt.«