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»Natürlich, bleiben Sie doch!« sagte die Hausfrau. Darauf wandte sie sich an ihren Bruder und fügte hinzu: »Bruder, bleib doch da, du hast ja nichts zu versäumen.«

»Mir ist es gleich. Was meint Pawel Iwanowitsch?«

»Ich bleibe mit dem größten Vergnügen ... Aber es ist noch so ein Umstand: ein Verwandter des Generals Betrischtschew, ein gewisser Oberst Koschkarjow ...«

»Der ist ja verrückt!«

»Er ist allerdings verrückt. Ich würde ihn gar nicht besuchen, aber der General Betrischtschew, mein naher Freund und, ich darf wohl sagen, Wohltäter ...«

»In diesem Falle, wissen Sie was?« sagte Kostanschoglo. »Fahren Sie zu ihm hin, es sind keine zehn Werst von hier. Meine Droschke ist fertig angespannt – fahren Sie gleich zu ihm hin. Sie können zum Tee wieder zurück sein.«

»Ein ausgezeichneter Gedanke!« rief Tschitschikow und griff nach seinem Hut.

Die Droschke fuhr vor und brachte ihn in einer halben Stunde zum Obersten. Das Dorf war in einem chaotischen Zustand. Neubauten, Umbauten, Haufen von Ziegelsteinen, Mörtel und Balken in allen Straßen. Es gab einige Häuser, die wie Amtsgebäude aussahen. Auf dem einen stand in goldenen Lettern: »Depot der landwirtschaftlichen Geräte«; auf einem anderen: »Hauptrechnungsexpedition«; ferner: »Komitee für Bauernangelegenheiten«; »Schule für die Normalbildung der Landleute«. Mit einem Worte – weiß der Teufel, was es da nicht alles gab!

Er traf den Obersten mit einer Feder in den Zähnen vor einem hohen Schreibpult stehen. Der Oberst empfing Tschitschikow mit ausgesuchter Liebenswürdigkeit. Er sah äußerst gutmütig und freundlich aus: er begann ihm zu erzählen, wieviel Mühe es ihn gekostet habe, das Gut in den jetzigen guten Zustand zu bringen; er beklagte sich mit Bedauern, wie schwer es sei, es dem Bauern verständlich zu machen, daß es höhere Triebe gebe, die der Mensch aus einem aufgeklärten Luxus, aus Kunst und Kunstgewerbe schöpfen könne; daß es ihm bisher noch nicht gelungen sei, die Bauernweiber so weit zu bringen, daß sie Korsetts tragen, während in Deutschland, wo er sich im Jahre 1814 mit einem Regiment aufhielt, die Müllerstochter Klavier spielen konnte; daß er es aber, trotz dieses hartnäckigen Verharrens in der Unbildung, erreichen werde, daß der Bauer, hinter dem Pfluge hergehend, zugleich ein Buch über Franklins Blitzableiter, oder Vergils »Georgika«, oder die »Chemische Untersuchung des Ackerbodens« lesen wird.

– Ja, freilich! – dachte sich Tschitschikow. – Und ich bin mit der »Gräfin Lavallière« noch immer nicht fertig: finde immer keine Zeit dazu. –

Vieles sprach noch der Oberst darüber, wie man die Menschen zum Wohlstande bringen könne. Er maß dabei eine große Bedeutung der Kleidung zu: er setzte seinen Kopf dafür ein, daß, wenn man nur auch eine Hälfte der russischen Bauern mit deutschen Hosen bekleiden wollte, die Wissenschaften und der Handel sich heben und in Rußland das goldene Zeitalter anbrechen würde.

Tschitschikow hörte lange zu, ihm aufmerksam in die Augen blickend, und sagte sich schließlich: – Mit dem brauche ich wohl keine großen Umstände zu machen! – Und er erklärte ihm ohne Umschweife, was er für Seelen brauche und was für Verträge und Formalitäten dabei nötig seien.

»Soviel ich aus Ihren Worten ersehe,« sagte der Oberst ohne das geringste Erstaunen, »ist das eine Bitte, nicht wahr?«

»Gewiß.«

»In diesem Falle wollen Sie sie schriftlich formulieren. Das Gesuch kommt an das ›Bureau zur Entgegennahme von Berichten und Meldungen‹. Das Bureau wird das Gesuch signieren und an mich weiterleiten; von mir kommt es an das ›Komitee für Bauernangelegenheiten‹; dort werden Ermittlungen angestellt, und dann kommt das Gesuch an den Verwalter. Der Verwalter wird aber gemeinsam mit dem Sekretär...«

»Erlauben Sie!« rief Tschitschikow: »So wird ja die Sache Gott weiß wie verschleppt! Wie kann man das auch schriftlich behandeln? Das ist ja so eine Sache... Die Seelen sind ja gewissermaßen... tot.«

»Sehr gut. Erwähnen Sie das in Ihrem Gesuch, daß die Seelen gewissermaßen tot sind.«

»Wie, daß sie tot sind? Das kann man doch nicht hinschreiben! Sie sind zwar tot, es soll aber den Anschein haben, als ob sie noch lebendig wären.«

»Sehr gut. Dann schreiben Sie: ›es ist aber nötig‹, oder: ›es wird verlangt, ersucht, gewünscht, daß es den Anschein habe, als ob sie noch lebendig wären‹. Ohne diese Schreibereien kann man da gar nichts machen. Als Beispiel kann ich Ihnen England oder selbst Napoleon anführen. Ich werde Ihnen einen Kommissionär mitgeben, der Sie an alle diese Stellen geleiten wird.«

Er schwang die Klingel. Sofort erschien irgendein Mann.

»Sekretär! Man schicke mir sofort den Kommissionär!« Darauf erschien der Kommissionär, der halb wie ein Bauer und halb wie ein Beamter aussah. »Er wird Sie an alle die in Betracht kommenden Stellen führen.«

Was war mit dem Obersten zu machen? Tschitschikow entschloß sich, aus bloßer Neugierde mit dem Kommissionär mitzugehen, um die in Betracht kommenden Stellen zu sehen. Das »Bureau zur Entgegennahme von Berichten und Meldungen« existierte nur auf dem Aushängeschild, die Türe war aber verschlossen. Der bisherige Vorstand dieses Bureaus, Chruljow, war an das neugebildete »Komitee für Dorfbauten« versetzt worden. Seine Stellung nahm jetzt der Kammerdiener Beresowskij ein, aber auch der war von der Baukommission irgendwohin abkommandiert worden. Sie klopften im »Komitee für Bauernangelegenheiten« an, aber das wurde gerade umgebaut; sie weckten irgendeinen Betrunkenen, konnten aber von ihm nichts Vernünftiges erfahren. »Bei uns herrscht die größte Unordnung«, sagte endlich der Kommissionär zu Tschitschikow. »Man führt den Herrn an der Nase herum. Die Baukommission hat die ganze Gewalt in Händen: sie nimmt die Leute von der Arbeit weg und schickt sie hin, wohin es ihr beliebt.« Offenbar war er mit der Baukommission unzufrieden. Tschitschikow wollte nichts mehr sehen. Zum Obersten zurückgekehrt, erzählte er ihm, wie die Dinge lagen, was für eine Unordnung bei ihm herrschte, daß man von keinem Menschen was erfahren konnte und daß die »Kommission zur Entgegennahme von Berichten« überhaupt nicht existiert.

Der Oberst schäumte vor edler Empörung und drückte Tschitschikow zum Zeichen des Dankes kräftig die Hand. Er griff sofort nach Papier und Feder und schrieb acht strenge Anfragen: Nach welchem Rechte hat die Baukommission eigenmächtig über die ihr nicht unterstehenden Beamten verfügt? Wie hat es der Hauptverwalter zulassen können, daß sein Vertreter, ohne seinen Posten jemand anderem abzugeben, sich zu einer Untersuchung begeben hat? Und wie hat es das »Komitee für Bauernangelegenheiten« gleichgültig sehen können, daß das »Bureau zur Entgegennahme von Berichten und Meldungen« gar nicht existiert?

– Nun wird es ein Donnerwetter geben! – dachte sich Tschitschikow und wollte schon wegfahren.

»Nein, ich lasse Sie nicht fort. Hier steht meine Ehre auf dem Spiele. Ich will Ihnen zeigen, was ein organisches, geregeltes Wirtschaftssystem ist. Ich will mit Ihrer Sache einen Mann betrauen, der allein mehr wert ist als alle anderen: er hat eine Universität absolviert. Ja, solche Leibeigene habe ich! Um die kostbare Zeit nicht zu verlieren, möchte ich Sie bitten, sich in meiner Bibliothek umzuschauen«, sagte der Oberst, eine Seitentüre öffnend. »Hier finden Sie Bücher, Papier, Federn, Bleistifte, alles. Sie dürfen über alles verfügen, Sie sind hier der Herr. Die Aufklärung muß allen offenstehen.«

So sprach Koschkarjow, indem er ihn in seine Bücherei geleitete. Es war ein großer, von unten bis oben mit Büchern angefüllter Saal. Es gab hier sogar ausgestopfte Tiere. Es gab Bücher über alle Zweige der Landwirtschaft: über Forstwissenschaft, Viehzucht, Schweinezucht, Gartenbau; Fachzeitschriften über alles mögliche, die man zugeschickt bekommt mit der Aufforderung, sie zu abonnieren, die man aber nicht liest. Als Tschitschikow sah, daß es keine Unterhaltungslektüre war, wandte er sich einem andern Schrank zu und geriet aus dem Regen in die Traufe: es waren lauter Werke über Philosophie. Sechs dicke Bände fielen ihm in die Augen mit dem Titeclass="underline" »Vorbereitende Einleitung in das gesamte Gebiet des Denkens. Theorie der Gesamtheit, Gemeinsamkeit und Wesenheit mit Anwendung auf die Erkenntnis der organischen Grundlagen der Zweiteilung der sozialen Produktivität«. Was für ein Buch Tschitschikow auch aufschlug, auf jeder Seite las er: »Manifestation«, »Evolution«, »Abstraktion«, »Geschlossenheit« und weiß der Teufel, was noch alles! – Das ist nichts für mich! – sagte Tschitschikow und wandte sich einem dritten Schrank zu, in dem kunstwissenschaftliche Werke standen. Hier holte er einen riesengroßen Band mit leichtsinnigen mythologischen Abbildungen hervor und begann diese zu betrachten. Solche Bilder gefallen oft Junggesellen in mittleren Jahren, auch manchen alten Herren, die sich vom Ballett und ähnlichen gepfefferten Leckerbissen anregen lassen. Nachdem er mit dem einen Band fertig war, zog er einen andern von der gleichen Art heraus, als Oberst Koschkarjow mit strahlendem Gesicht und einem Papier in der Hand hereinkam.