»Alles ist erledigt, und zwar wunderbar erledigt! Der Mann, von dem ich vorhin sprach, ist ein wahres, Genie. Dafür werde ich ihn über alle setzen und für ihn allein ein eigenes Departement gründen. Schauen Sie nur, was das für ein heller Kopf ist und wie er das in den wenigen Minuten erledigt hat.«
– Na, Gott sei Dank! – dachte sich Tschitschikow und wurde ganz Ohr. Der Oberst las:
»Indem ich an die Überlegung des mir von Ew. Hochwohlgeboren erteilten Auftrages gehe, beehre ich mich, zu diesem folgendes zu melden:
»I. Schon im Gesuch des Herrn Kollegienrats und Ritters Pawel Iwanowitsch Tschitschikow ist ein Mißverständnis enthalten, da darin die in den Revisionslisten geführten Seelen versehentlich tote genannt werden. Darunter wird wohl der erwähnte Herr die dem Tode nahen, doch nicht toten Seelen gemeint haben. Auch weist eine solche Benennung auf ein empirisches Studium der Wissenschaften und auf einen Bildungsgang hin, der sich wahrscheinlich auf eine niedere Gemeindeschule beschränkt hat; denn die Seele ist unsterblich.«
»Dieser Schelm!« sagte Koschkarjow zufrieden, die Vorlesung unterbrechend: »Hier hat er Ihnen einen Seitenhieb versetzt. Aber Sie müssen gestehen, daß der Stil ausgezeichnet ist!«
»II. In unserm Gute sind keinerlei unverpfändete, weder dem Tode nahe noch sonstige Revisionsseelen vorhanden, denn alle Seelen ohne Ausnahme sind nicht nur mit einfachen, sondern auch, unter Nachzahlung von einhundertfünfzig Rubeln pro Seele, mit zweiten Hypotheken belastet, mit Ausnahme der Leibeigenen des kleinen Dorfes Gurmailowka, welches infolge des mit dem Gutsbesitzer Predischtschew schwebenden Prozesses strittig und infolgedessen vom Gericht mit Arrest belegt worden ist, worüber in Nr. 4a der »Moskauer Nachrichten« eine Anzeige erlassen worden ist.«
»Warum haben Sie es mir dann nicht gleich gesagt? Warum hielten Sie mich unnütz auf?« sagte Tschitschikow empört.
»Ja, ich wollte, daß Sie es durch die Formalitäten des schriftlichen Instanzenweges ersehen. Sonst ist es kein Kunststück. Unbewußt kann es auch ein Dummkopf sehen, man soll aber so was bewußt erfassen.«
Tschitschikow griff empört nach seiner Mütze und lief, alle Anstandspflichten außer acht lassend, aus dem Hause: er war aufs höchste aufgebracht. Der Kutscher hielt mit der Droschke vor der Tür, da er wußte, daß es keinen Zweck hatte, die Pferde auszuspannen: wollte man den Pferden Futter geben, so müßte man erst ein schriftliches Gesuch einreichen und die Resolution, den Pferden Hafer zu verabreichen, würde erst am nächsten Tage erfolgen. Der Oberst lief aber hinaus; er drückte Tschitschikow gewaltsam die Hand, drückte sie an sein Herz und dankte ihm dafür, daß er ihm Gelegenheit gegeben hatte, den Verwaltungsmechanismus in der Praxis zu sehen; er sagte, daß man den Leuten schon ordentlich einheizen müsse, weil sonst die Federn dieses Mechanismus verrosten und schlaff werden können; daß ihm anläßlich dieses Vorfalls die glückliche Idee gekommen wäre, eine neue Kommission zu bilden, welche »Kommission zur Beaufsichtigung der Baukommission« heißen würde; dann würde es schon niemand wagen, zu stehlen.
Tschitschikow kam böse und unzufrieden zurück, zu einer Stunde, als die Kerzen schon brannten.
»Warum kommen Sie so spät?« fragte Kostanschoglo, als er in der Tür erschien.
»So einen Dummkopf habe ich meinen Lebtag nicht gesehen!« entgegnete Tschitschikow. »Das ist noch gar nichts!« versetzte Kostanschoglo. »Koschkarjow ist noch eine tröstliche Erscheinung; So ein Mensch ist sogar nützlich, weil sich in ihm karikiert und auffallend alle Dummheiten unserer Klugen spiegeln – der Klugen, die, ohne ihre Heimat richtig zu kennen, sich im Auslande allerlei Unsinn in den Kopf setzen. Solche Gutsbesitzer sind jetzt aufgekommen: sie haben allerlei Bureaus, Manufakturen, Schulen und Kommissionen und weiß der Teufel was noch alles eingeführt! So sind diese Klugen! Kaum fing das Land an, sich nach der Franzoseninvasion von 1812 zu erholen, als sie es schon wieder ruiniert haben. Sie haben es noch mehr heruntergebracht als der Franzose, so daß ein Pjotr Petrowitsch Pjetuch noch als guter Gutsbesitzer erscheint.«
»Aber auch der hat schon alles verpfändet«, bemerkte Tschitschikow.
»Na ja, alles wird verpfändet.« Nach diesen Worten fing Kostanschoglo an, allmählich böse zu werden. »Da hat einer eine Hut- und eine Kerzenfabrik gegründet, hat sich die Meister aus London verschrieben, ist zu einem Krämer geworden! Gutsbesitzer ist doch ein ehrenvoller Beruf, aber er wird Manufakturist und Fabrikant! Spinnereien, um für die städtischen Dirnen Tüll herzustellen ...«
»Du hast aber doch auch Fabriken«, bemerkte Platonow.
»Wer hat sie eingeführt? Bei mir sind sie ganz von selbst entstanden. Als sich so viel Wolle angesammelt hatte, daß ich sie nicht mehr los werden konnte, fing ich an, Tuche zu weben, doch einfache, dicke Tuche – die werden zum billigen Preise auf meinen Dorfmärkten verkauft; der Bauer, mein Bauer braucht sie. Die Fischer hatten sechs Jahre lang die Fischschuppen einfach am Ufer liegen lassen, – nun, was soll ich mit dem Zeug machen? Da fing ich an, aus ihnen Leim zu sieden, und das hat mir Vierzigtausend abgeworfen. Alles ist bei mir so.«
– So ein Teufel! – dachte sich Tschitschikow, ihn unverwandt anblickend: – So eine glückliche Hand! –
»Und ich habe mich darauf nur darum verlegt, weil so viele Arbeiter zusammengelaufen waren, die sonst Hungers gestorben wären: es war ein Hungerjahr, und zwar dank den Herren Fabrikanten, die die Saat versäumt hatten. Solche Fabriken gibt’s bei mir genug, Bruder. Jedes Jahr entsteht eine andere, je nach dem, was für Abfälle und Reste sich gerade angesammelt haben. Wenn du dich nur aufmerksam in deiner Wirtschaft umsiehst, so kann dir jeder Dreck, den du als unnötig fortwirfst, etwas einbringen. Meine Fabriken sind auch keine Paläste mit Säulen und Frontons!«
»Es ist erstaunlich ... Am erstaunlichsten aber ist, daß man an jedem Dreck etwas verdienen kann«, sagte Tschitschikow.
»Ich bitte Sie! Wenn man die Sache nur ganz einfach auffaßt, wie sie ist. Jeder will aber gleich Mechaniker sein und das Kästchen, das ganz einfach aufgeht, mittels eines Instrumentes öffnen. Er wird zu dem Zweck zuerst nach England hinüberfahren, das ist die Sache! Diese Narren!« Nach diesen Worten spuckte Kostanschoglo aus. »Und wenn er zurückkommt, so ist er hundertmal dümmer, als er schon war!«
»Ach, Konstantin, du regst dich schon wieder auf!« sagte seine Frau besorgt. »Du weißt doch, daß dir das schadet.«
»Wie soll ich mich nicht aufregen? Wenn das noch eine fremde Angelegenheit wäre; aber es geht mir so furchtbar nahe! Es ärgert mich, daß der russische Charakter verdorben wird; im russischen Charakter ist jetzt eine Donquichotterie aufgekommen, die ihm früher fremd war! Wenn sich der Russe auf Volksaufklärung verlegt, so wird er zu einem Don Quichotte und führt gleich solche Schulen ein, wie sie auch einem Dummkopf nicht einfallen würden! Und diese Schulen ziehen Menschen heran, die zu gar nichts taugen, weder für die Stadt, noch fürs Land: die verstehen nur zu trinken und sich was auf ihre Menschenwürde einzubilden. Verlegt er sich auf Philanthropie – so wird er zu einem Don Quichotte der Philanthropie: er baut für eine Million Rubel ganz dumme Spitäler und ähnliche Anstalten mit Säulen und richtet sich selbst und die anderen zugrunde: das ist seine Philanthropie!«