Hier spuckte Kostanschoglo aus und hätte beinahe in Gegenwart seiner Gattin einige unanständige Schimpfworte gebraucht. Ein Ausdruck finsterer Hypochondrie verdüsterte sein Gesicht. An seiner Stirne bildeten sich Längs- und Querfalten, Anzeichen einer zornigen Regung der Galle.
»Gestatten Sie mir, mein Hochverehrter, wieder auf den Gegenstand des unterbrochenen Gesprächs zurückzukommen«, sagte Tschitschikow, indem er noch ein Gläschen Himbeerlikör trank, der wirklich ganz ausgezeichnet war. »Wenn ich, sagen wir, in der Tat das Gut gekauft habe, von dem Sie eben sprachen, wieviel Zeit brauche ich dann, um so reich zu werden, daß ...«
»Wenn Sie schnell reich werden wollen,« fiel ihm Kostanschoglo rasch ins Wort, »so werden Sie niemals reich werden; wenn Sie dagegen reich werden wollen, ohne nach der Zeit zu fragen, so werden Sie schnell reich werden.«
»So verhält es sich also!« sagte Tschitschikow.
»Ja,« entgegnete Kostanschoglo kurz, als zürnte er Tschitschikow, »man muß die Arbeit lieben: ohne diese Liebe läßt sich nichts anfangen. Man muß die Wirtschaft liebgewinnen, ja! Glauben Sie mir, das ist gar nicht langweilig. Die Leute sagen, auf dem Lande ist es langweilig ... ich aber würde vor Langweile sterben, wenn ich einen Tag in der Stadt so verbringen müßte, wie sie die Zeit in ihren dummen Klubs, Wirtshäusern und Theatern verbringen. Narren, Dummköpfe, ein närrisches Geschlecht! Der Landwirt darf sich nicht langweilen, er hat keine Zeit dazu. In seinem Leben gibt es auch keinen Zoll leeren Raumes – alles ist angefüllt. Schon diese Abwechslung in der Tätigkeit, und was für einer Tätigkeit! – es sind Beschäftigungen, die wahrhaft den Geist erheben. Man mag sagen, was man will, der Mensch geht hier Hand in Hand mit der Natur, mit den Jahreszeiten, er ist gleichsam Mitarbeiter und Mitberater an allem, was in der Schöpfung geschieht. Betrachten Sie mal den Jahreszyklus seiner Arbeiten: wie schon vor Frühlingsbeginn alles auf der Lauer liegt und den Frühling erwartet; die Saat wird vorbereitet, das Getreide in den Scheunen wird durchgelesen, nachgemessen und getrocknet; die Arbeitsleistungen der Bauern werden neu festgesetzt. Alles wird im voraus nachgesehen und berechnet. Und wenn das Eis bricht und die Flüsse wieder frei dahinfließen, wenn alles trocken wird und die Erde sich lockern läßt – da arbeitet in den Gemüsepflanzungen und Gärten der Spaten, und im Felde der Pflug und die Egge; es wird gepflanzt, gesetzt und gesät. Verstehen Sie das? Eine Kleinigkeit: die künftige Ernte wird ausgesät! Die Nahrung von Millionen! Nun ist der Sommer angebrochen ... Es wird gemäht und gemäht ... Und schon ist man mitten in der Ernte; erst Roggen, dann wieder Roggen, dann Weizen, Gerste und Hafer ... Alles kocht; man darf keine Minute versäumen: und wenn man auch zwanzig Augen hat, so haben alle zwanzig genug zu tun. Und wenn man mit diesen Arbeiten fertig ist, heißt es, die Ernte in die Tennen zusammenfahren und zu Schobern aufschichten, die Äcker für die Wintersaat bestellen, die Scheunen, Schuppen und Viehställe für den Winter instand setzen; zugleich kommen alle die Weiberarbeiten; und wenn man hinterher das Fazit zieht und sieht, was man geschafft hat, so ist es ja ... Und der Winter! Auf allen Tennen wird gedroschen, und das gedroschene Getreide aus den Darren in die Speicher gebracht. Man geht in die Mühle, man geht auch in die Fabriken, man schaut in den Arbeitshof hinein, man schaut auch beim Bauern nach, was er für sich selbst arbeitet. Wenn ein Zimmermann richtig mit der Axt umgeht, so bin ich imstande, ihm zwei Stunden lang zuzusehen: solche Freude macht mir seine Arbeit. Und wenn man dabei sieht, wie zweckmäßig alles gemacht wird, wie alles sich mehrt und Frucht und Gewinn bringt, so kann ich Ihnen gar nicht sagen, wie dabei einem zumute ist. Und nicht weil sich das Geld vermehrt – Geld hin, Geld her –, sondern weil alles das Werk deiner Hände ist; weil du siehst, daß du die Ursache und der Schöpfer dieser Dinge bist und daß du wie ein Magier den Überfluß und Wohlstand ausstreust. Ja, wo finden Sie einen höheren Genuß?« sagte Kostanschoglo. Er hob sein Gesicht, und plötzlich waren die Falten verschwunden. Wie ein Zar am Tage seiner festlichen Krönung, so leuchtete er ganz, und sein Gesicht sandte Strahlen aus. »In der ganzen Welt werden Sie keinen ähnlichen Genuß finden! Hierin ahmt der Mensch den Schöpfer nach: Gott hat das Werk der Schöpfung als den höchsten Genuß auserkoren und verlangt auch vom Menschen, daß er gleich ihm der Schöpfer eines glückseligen Zustandes in seiner Umgebung sei. Und das nennt man eine langweilige Tätigkeit!«
Tschitschikow lauschte den süßtönenden Reden des Hausherrn wie dem Gesange eines Paradiesvogels. Das Wasser lief ihm im Munde zusammen. Seine Augen leuchteten ölig und süß, und er wollte noch immer mehr hören.
»Konstantin, es ist Zeit, die Tafel aufzuheben!« sagte die Hausfrau und stand auf. Alle erhoben sich. Tschitschikow reichte der Hausfrau den Arm und führte sie zurück; aber seinen Bewegungen fehlte diesmal die gewohnte Eleganz, da seine Gedanken mit höchst gewichtigen Dingen beschäftigt waren.
»Du magst erzählen, was du willst, es ist aber doch so langweilig«, sagte Platonow, hinter ihnen hergehend.
– Der Gast ist wohl gar kein dummer Mensch, – dachte sich der Hausherr; – er ist aufmerksam, spricht gesetzt und ist kein Federfuchser. – Nachdem er sich dies gedacht hatte, wurde er noch lustiger: als hätte er bei dem Gespräch Feuer gefangen und als freue er sich, daß er einen Menschen gefunden habe, der es verstehe, so klugen Ratschlägen zuzuhören.
Als sie später in dem kleinen, gemütlichen, von Kerzen erleuchteten Zimmer, dem Balkon und der auf den Garten hinausgehenden Glastüre gegenüber Platz genommen hatten und zu ihnen die über den Wipfeln des schlafenden Gartens leuchtenden Sterne hereinblickten – da fühlte sich Tschitschikow so wohlig und gemütlich, wie schon lange nicht: als hätte ihn nach langen Fahrten sein heimatliches Dach aufgenommen, als hätte er seinen Wanderstab mit dem Worte: »Genug!« weggeworfen. In diese angenehme Stimmung hatte ihn das kluge Gespräch des gastfreien Hausherrn versetzt. Für jeden Menschen gibt es Worte, die ihm näher und vertrauter sind als alle anderen. Und oft begegnet man unerwartet in einem entlegenen, gottverlassenen Nest, in einer menschenleeren Einöde einem Menschen, dessen erwärmende Unterhaltung die unwegsamen Wege, die unbehaglichen Nachtquartiere, die Sinnlosigkeit des heutigen Lärms und die Verlogenheit des Trugs vergessen macht, mit dem die Menschen angeführt werden. Ein auf diese Weise verbrachter Abend prägt sich lebendig und für alle Ewigkeit der Erinnerung ein, und das treue Gedächtnis bewahrt alles: wer noch dabei war, wo ein jeder saß und was er in den Händen hielt – die Wände, die Ecken und jede Bagatelle.
So merkte sich auch Tschitschikow an diesem Abend alles: dieses kleine, nette, bescheiden ausgestattete Zimmer, den gutmütigen Gesichtsausdruck des klugen Hausherrn, sogar das Tapetenmuster ... auch die Pfeife mit dem Bernsteinmundstück, die man Platonow reichte, den Rauch, den er Jarb in die dicke Schnauze blies, Jarbs Schnauben, das Lachen der hübschen Hausfrau, das sie mit den Worten: »Laß es, quäl’ ihn nicht!« unterbrach, die lustig flackernden Kerzen, das Heimchen in der Ecke, die Glastüre und die Frühlingsnacht, die, auf die von den Sternen überschütteten Baumwipfel gelehnt, zu ihnen hereinblickte, von lautem Gesang erfüllt, den die Nachtigallen aus der Tiefe des grünen Dickichts schmetterten.
»Süß sind mir Ihre Worte, verehrter Konstantin Fjodorowitsch!« versetzte Tschitschikow. »Ich kann wohl sagen, daß ich in ganz Rußland noch keinen Menschen getroffen habe, der Ihnen an Klugheit gleichkäme.«
Der Hausherr lächelte. Er fühlte selbst, daß diese Worte nicht unberechtigt waren. »Nein, wenn Sie einen wirklich klugen Menschen kennenlernen wollen, so haben wir hier einen, von dem man wirklich sagen kann: das ist ein kluger Mensch; ich bin aber auch seines kleinen Fingers nicht wert.«