»Sind Sie denn ein fünfundzwanzigjähriger Jüngling? . . . Ein Petersburger Beamter . . . Geduld! Arbeiten Sie sechs Jahre nacheinander: pflanzen Sie, säen Sie, graben Sie den Boden um und gönnen Sie sich keinen Augenblick Ruhe. Es ist wohl schwer. Wenn Sie aber den Boden ordentlich aufgerüttelt haben und er Ihnen selbst zu Hilfe kommt, so ist das etwas ganz anderes als ein . . . nein, Väterchen; bei Ihnen werden dann außer Ihren siebzig Arbeitshänden noch andere siebenhundert unsichtbare Hände mitarbeiten. Alles verzehnfacht sich. Bei mir braucht man jetzt keinen Finger zu rühren, alles geschieht ganz von selbst. Ja, die Natur liebt die Geduld: das ist ein Gesetz, das ihr der Schöpfer selbst gegeben hat, der die Geduldigen segnet.«
»Wenn man Ihnen zuhört, fühlt man den Zufluß neuer Kräfte. Es ist so erhebend für den Geist.«
»Sehen Sie nur, wie das Land gepflügt ist!« rief Kostanschoglo schmerzlich aus, auf den Abhang zeigend. »Ich kann hier nicht länger bleiben: eine solche Unordnung und Verwahrlosung zu sehen, ist für mich der Tod. Sie können mit ihm auch ohne mich handelseinig werden. Nehmen Sie diesem Dummkopf seinen Schatz so schnell als möglich ab. Er schändet nur die Gabe Gottes.« Nach diesen Worten nahm Kostanschoglo in düsterer und galliger Gemütsverfassung von Tschitschikow Abschied, holte dann Chlobujew ein und begann sich auch von ihm zu verabschieden.
»Ich bitte Sie, Konstantin Fjodorowitsch,« sagte jener erstaunt, »Sie sind erst eben gekommen und wollen schon wieder fort!«
»Es geht nicht anders. Ich muß dringend nach Hause«, sagte Kostanschoglo. Er verabschiedete sich, setzte sich in seinen Wagen und fuhr davon.
Chlobujew hatte anscheinend den Grund erraten, warum er ihn verließ.
»Konstantin Fjodorowitsch hat es nicht aushalten können«, sagte er. »Für einen solchen Landwirt ist es wirklich keine Freude, eine so liederliche Wirtschaft zu sehen. Glauben Sie mir, Pawel Iwanowitsch, ich habe in diesem Jahre nicht einmal Roggen gesät. Mein Ehrenwort! Ich hatte kein Saatgut, ganz abgesehen davon, daß ich weder Pflug noch Pferde habe. Ihr Bruder soll ein vortrefflicher Landwirt sein, Platon Michailowitsch; von Konstantin Fjodorowitsch gar nicht zu reden: er ist ein Napoleon in seinem Fach! Gar oft frage ich mich: warum wird einem einzigen Kopf soviel Verstand verliehen? Wäre doch nur ein Tropfen von seinem Verstand für meinen dummen Kopf geblieben! Hier auf der Brücke müssen Sie sich in acht nehmen, meine Herren, um nicht in die Pfütze zu plumpsen. Ich hatte im Frühjahr befohlen, die Bretter auszubessern . . . Am meisten tun mir die armen Bauern leid: sie brauchen ein gutes Vorbild, aber was können sie von mir lernen? Was soll ich machen? Nehmen Sie sie doch unter Ihre Obhut, Pawel Iwanowitsch. Wie soll ich sie an Ordnung gewöhnen, wenn ich selbst so unordentlich bin? Ich hätte sie schon längst freigelassen, aber auch das würde zu nichts führen. Ich sehe ja, daß man sie erst so weit bringen muß, daß sie leben können. Sie brauchen einen strengen und gerechten Herrn, der mit ihnen lange zusammenlebt und durch das eigene Beispiel einer unermüdlichen Tätigkeit . . . Der Russe kann, wie ich es an mir selbst sehe, nicht ohne einen Antreiber auskommen: sonst schläft er ein und versauert.«
»Seltsam,« sagte Platonow, »warum ist der Russe so geneigt, einzuschlafen und zu versauern, daß, wenn man den einfachen Mann nicht beaufsichtigt, er ein Taugenichts und Säufer wird?«
»Aus Mangel an Aufklärung«, bemerkte Tschitschikow.
»Gott allein weiß, woher das kommt. Wir zum Beispiel sind aufgeklärte Menschen, haben auf der Universität Vorlesungen gehört, doch wozu taugen wir? Was habe ich gelernt? Ich habe nicht nur nicht gelernt, ordentlich zu leben, sondern mir im Gegenteil die Kunst angeeignet, möglichst viel Geld für allerhand Raffinement und Komfort auszugeben; ich habe hauptsächlich solche Dinge kennengelernt, die Geld kosten. Kommt das daher, weil ich schlecht lernte? – Nein, ich lernte nicht schlechter als meine Kollegen. Zwei oder drei von ihnen haben aus dem Studium Nutzen gezogen, und das vielleicht auch nur darum, weil sie ohnehin kluge Menschen waren; die anderen suchen aber nur solche Dinge kennenzulernen, die die Gesundheit schädigen und einem Geld aus der Tasche locken. Bei Gott! Ich glaube nämlich folgendes: zuweilen scheint es mir fast, daß der Russe ein verlorener Mensch ist. Er will alles machen und kann nichts. Wir nehmen uns jeden Tag vor, morgen ein neues Leben zu beginnen und eine strenge Diät einzuführen; aber gefehlt: am Abend des gleichen Tages frißt man sich so voll, daß man nur noch träge Augenlider auf- und zuklappt und die Zunge nicht mehr bewegen kann – wie eine Eule sitzt man da und starrt die anderen Leute an – wahrhaftig! Und so sind alle.«
»Ja,« sagte Tschitschikow lächelnd, »so was kommt vor.«
»Wir sind nicht für die Vernunft geboren. Ich glaube nicht, daß einer von uns vernünftig sein könnte. Wenn ich sogar sehe, daß jemand ordentlich lebt und Geld verdient und zurücklegt, so traue ich dem nicht. Wenn der mal alt wird, so unterliegt auch er der Versuchung und bringt zuletzt alles auf einmal durch. Und so sind wir wirklich alle: die Gebildeten wie die Ungebildeten. Nein, es fehlt uns etwas anderes, aber was, das weiß ich selbst nicht zu sagen.«
Auf dem Rückwege boten sich ihnen die gleichen Bilder. Schmutz und Unordnung grinsten häßlich aus allen Dingen. Es war nur eine neue Pfütze mitten in der Straße hinzugekommen. Alles war vernachlässigt und verwahrlost, wie bei dem Besitzer, so auch bei den Bauern. Ein böses Bauernweib in einem fettigen groben Rock hatte ein armes kleines Mädchen halbtot geprügelt und schimpfte nun ganz abscheulich auf jemand in dritter Person, indem sie alle Teufel anrief. Zwei Bauern standen in einiger Entfernung und sahen mit stoischem Gleichmut dem Wüten des betrunkenen Weibes zu. Der eine kratzte sich die untere Rückenpartie, und der andere gähnte. Das gleiche Gähnen sah man auch an allen Bauten; auch die Dächer gähnten. Bei diesem Anblick mußte auch Platonow gähnen. Ein Flicken auf dem anderen. Auf einem der Bauernhäuser lag statt des Daches ein ganzes Tor; die eingefallenen Fenster waren von Stangen gestützt, die man aus der herrschaftlichen Scheune gestohlen hatte. Offenbar herrschte in dieser Wirtschaft das System von »Trischkas Kaftan« man schnitt die Aufschläge und die Schöße ab, um die Ellenbogen zu flicken.
»Ja, Ihre Wirtschaft befindet sich in einem wenig beneidenswerten Zustande«, sagte Tschitschikow, als sie nach Besichtigung vor dem . . . anlangten. In den Zimmern mußten sie über die merkwürdige Mischung von Armut mit dem glänzenden Firlefanz eines späten Luxus staunen. Auf dem Tintenfaß saß irgendein Shakespeare; auf dem Tische lag ein elegantes Elfenbeininstrument, mit dem man sich selbst den Rücken kratzen konnte. Die Hausfrau war mit Geschmack und nach der Mode gekleidet und sprach von der Stadt und vom Theater, das dort eben gegründet worden war. Die Kinder waren lebhaft und lustig. Die Knaben und die Mädchen waren sehr schön gekleidet – nett und mit Geschmack. Es wäre besser, wenn sie bunte hausgewebte Röckchen und einfache Hemdchen anhätten und im Hofe herumliefen, ohne sich irgendwie von den Bauernkindern zu unterscheiden. Die Hausfrau bekam bald Besuch von einer sehr geschwätzigen Dame und zog sich mit ihr in ihr Zimmer zurück. Die Kinder folgten ihnen. Die Männer blieben allein.
»Was wäre also Ihr Preis?« fragte Tschitschikow. »Offen gestanden, stelle ich diese Frage, um den alleräußersten Preis zu erfahren, denn das Gut ist in einem viel schlechteren Zustande, als ich es erwartet hatte.«
»Im allerschlechtesten Zustande, Pawel Iwanowitsch«, sagte Chlobujew. »Und das ist noch nicht alles. Ich werde es Ihnen nicht verheimlichen: von den hundert Seelen, die auf der Revisionsliste stehen, sind nur fünfzig am Leben. So furchtbar hat bei uns die Cholera gewütet; die übrigen sind ohne Paß entlaufen, so daß man sie auch zu den Toten zählen kann: wenn man sie mit Hilfe der Gerichte suchen wollte, so würden die Kosten das ganze Gut verschlingen. Darum verlange ich auch nur fünfunddreißigtausend.«