Auch Schwestern rauschten die Gehwege entlang, meist in Gruppen von zwei oder drei, für gewöhnlich von ihren Behütern gefolgt. Der Strom der Novizinnen teilte sich vor ihnen in Wellen der Ehrenbezeugungen, Wellen, die durch die unverhohlenen, auf die Schwestern gerichteten Blicke, die diese vorgaben nicht zu bemerken, in Unruhe gerieten. Nur sehr wenige der Aes Sedai wurden nicht vom Leuchten der Macht umgeben. Beonin hätte beinahe gereizt mit der Zunge geschnalzt. Die Novizinnen wussten, dass Anaiya und Kairen tot waren — es hatte keine Bestrebungen gegeben, die Bestattungsscheiterhaufen zu verbergen —, aber ihnen mitzuteilen, wie die Schwestern gestorben waren, hätte ihnen bloß Angst gemacht. Die neuesten unter ihnen, die in Murandy ins Novizinnenbuch eingetragen worden waren, trugen das Weiß aber nun lange genug, um zu wissen, dass es mehr als ungewöhnlich war, wenn Schwestern von Saidar erfüllt umhergingen. Das allein würde sie irgendwann ängstigen, und das völlig sinnlos. Der Mörder würde kaum in aller Öffentlichkeit zuschlagen, in Anwesenheit von Dutzenden von Schwestern.
Fünf Schwestern, die langsam nach Osten ritten und nicht vom Licht Saidars umgeben waren, erregten Beonins Aufmerksamkeit. Jede von ihnen hatte ein kleines Gefolge, für gewöhnlich einen Schreiber, eine Dienerin, einen Diener für den Fall, dass schwere Lasten gehoben werden mussten, und ein paar Behüten Alle ritten mit hochgeschlagenen Kapuzen, aber sie hatte keine Mühe, sie zu erkennen. Varilin, wie sie eine Graue, war so groß wie ein Mann, während Takima, die Braune, ein winziges Ding war. Saroiyas Umhang trug auffällige weiße Stickereien — sie musste Saidar benutzen, um dieses Funkeln so hell zu halten —, und die zwei Behüter, die Faiselle folgten, kennzeichneten sie so deutlich wie der hellgrüne Umhang. Wonach die Letzte Magla sein musste, die Gelbe. Was würden sie vorfinden, wenn sie Darein erreichten? Sicherlich keine Delegation von der Burg, jetzt nicht mehr. Vielleicht glaubten sie, die übliche Routine einhalten zu müssen. Menschen machten häufig mit dem weiter, was sie getan hatten, selbst wenn der Sinn darin verloren gegangen war. Allerdings dauerte das bei Aes Sedai selten lange.
»Sie scheinen kaum zusammenzugehören, findet Ihr nicht, Beonin? Man könnte glauben, sie würden nur zufällig in dieselbe Richtung zu reiten.«
So viel dazu, dass die Kapuze ein Minimum an Privatsphäre verlieh. Glücklicherweise war sie darin geübt, Seufzer zu unterdrücken oder alles andere, das mehr verriet, als sie wünschte. Die beiden Schwestern, die neben ihr stehen geblieben waren, hatten etwa die gleiche Größe, waren beide zierlich und wiesen beide dunkles Haar und braune Augen auf, aber da hörte die Ähnlichkeit auch schon auf. Ashmanailles schmales Gesicht mit seiner spitzen Nase verriet nur selten irgendwelche Gefühle. Ihr silbern geschlitztes Seidenkleid hätte genauso gut gerade aus den Händen der Bügelfrau kommen können, und die Ränder ihres fellbesetzten Umhangs wurden von silbernen Ranken geschmückt. Phaedrines dunkle Wolle wies etliche Falten auf, ganz zu schweigen von einigen Flecken, ihr Wollumhang war schmucklos und hätte gestopft werden müssen, und sie runzelte zu oft die Stirn, genau wie jetzt auch. Ohne das hätte sie hübsch sein können. Seltsame Freundinnen, die für gewöhnlich schlampig rumlaufende Braune und die Graue, die ihrer Kleidung so viel Aufmerksamkeit widmete wie allem anderen auch.
Beonin sah den abreisenden Sitzenden nach. Sie schienen tatsächlich eher zufällig in dieselbe Richtung zu reiten, als dass sie zusammen ritten. Es zeigte, wie aufgeregt sie an diesem Morgen war, dass ihr das entgangen war. Sie wandte sich den unwillkommenen Besucherinnen zu. »Vielleicht denken sie über die Konsequenzen der letzten Nacht nach, Ashmanaille?« Unwillkommen oder nicht, die Höflichkeit musste beachtet werden.
»Wenigstens ist die Amyrlin am Leben«, erwiderte die andere Graue. »Und so wie ich gehört habe, bleibt sie auch am Leben. Und… in aller Gesundheit. Sie und auch Leane.« Auch wenn Nynaeve sowohl Siuan wie auch Leane Geheilt hatte, konnte niemand unberührt über das Dämpfen sprechen.
»Am Leben und eine Gefangene, das ist wohl besser, als enthauptet zu werden. Aber nicht viel besser.« Als Morvrin sie geweckt hatte, um ihr die Neuigkeiten mitzuteilen, war es schwer gefallen, die Aufregung der Braunen zu teilen. Zumindest Morvrin hatte es aufregend gefunden. Die Frau hatte doch tatsächlich gegrinst. Aber Beonin hatte nie daran gedacht, ihre Pläne zu ändern. Fakten musste man sich stellen. Egwene war eine Gefangene, das war so und nicht anders. »Stimmt Ihr nicht zu, Phaedrine?«
»Natürlich«, erwiderte die Braune kurz angebunden. Kurz angebunden! Aber so war Phaedrine, immer so in das versunken, was gerade ihre Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, dass sie ihre Manieren vergaß. Und sie war noch nicht fertig.
»Aber darum haben wir Euch nicht gesucht. Ashmanaille sagt, Ihr habt beträchtliche Erfahrungen mit Mördern.« Ein plötzlicher Windstoß riss an ihren Umhängen, aber Beonin und Ashmanaille hielten sie geschickt fest. Phaedrine ließ ihren einfach flattern, den Blick fest auf Beonin gerichtet.
»Vielleicht habt Ihr Euch ja ein paar Gedanken über die Morde gemacht, Beonin«, sagte Ashmanaille ungerührt.
»Würdet Ihr sie mit uns teilen? Phaedrine und ich haben die Köpfe zusammengesteckt, aber wir kommen zu keinem Ergebnis. Meine eigenen Erfahrungen liegen eher im Zivilrecht. Ich weiß, dass Ihr einigen unnatürlichen Todesfällen auf den Grund gegangen seid.«
Natürlich hatte sie über die Morde nachgedacht. Gab es im Lager eine Schwester, die das nicht getan hatte? Sie hätte es nicht vermeiden können, selbst wenn sie gewollt hätte. Einen Mörder zu finden war eine Freude, viel befriedigender als einen Grenzdisput zu lösen. Es war das schrecklichste aller Verbrechen, es wurde etwas gestohlen, das man nie zurückbekommen konnte, all die Jahre, die niemals gelebt werden würden, all das, was man in ihnen hätte erreichen können. Und hier handelte es sich um tote Aes Sedai, was es für jede Schwester im Lager sicherlich zu einer persönlichen Sache machte. Sie wartete, dass die letzte Gruppe weiß gekleideter Frauen, zwei davon mit grauen Haaren, ihre Knickse gemacht und weitergeeilt waren. Die Zahl der Novizinnen auf den Gehwegen nahm endlich ab. Die Katzen schienen ihnen zu folgen. Novizinnen waren freigiebiger mit Streicheln als die meisten Schwestern.
»Der Mann, der aus Habgier zusticht«, sagte sie, als die Novizinnen außer Hörweite waren, »und die Frau, die aus Eifersucht vergiftet, sie sind eine Sache. Das hier ist etwas ganz anderes. Es gibt zwei Morde, sicherlich von demselben Mann verübt, aber sie liegen mehr als eine Woche auseinander. Das deutet sowohl auf Geduld wie auf eine genaue Planung hin. Das Motiv ist unklar, aber es erscheint sehr unwahrscheinlich, dass er die Opfer zufällig ausgesucht hat. Da man von ihm nicht mehr als die Tatsache weiß, dass er die Macht lenken kann, muss man damit anfangen, sich anzusehen, was die Opfer miteinander verbindet. In diesem Fall Anaiya und Kairen, sie waren beide Blaue Ajah. Also frage ich mich, welche Verbindung hat die Blaue Ajah zu einem Mann, der die Macht lenken kann? Die Antwort lautet Moiraine Damodred und Rand al’Thor. Und Kairen, sie hatte auch Kontakt zu ihm, oder?«