Die Falten auf Phaedrines Stirn wurden noch tiefer. »Ihr könnt nicht meinen, dass er der Mörder ist.« Also wirklich, sie vergaß sich immer mehr.
»Nein«, erwiderte Beonin kühl. »Ich sage, Ihr müsst der Verbindung folgen. Die zu den Asha’man führt. Männer, die die Macht lenken können. Männer, die die Macht lenken können, die das Reisen beherrschen. Männer, die Gründe haben, Aes Sedai zu fürchten, vielleicht sogar Aes Sedai mehr als alle anderen. Eine Verbindung ist kein Beweis«, gab sie zögernd zu, »aber es weißt doch in diese Richtung, oder?«
»Warum sollte ein Asha’man zweimal herkommen und jedes Mal eine Schwester töten? Das klingt doch, als hätte es der Mörder nur auf diese beiden abgesehen und keinen anderen.« Ashmanaille schüttelte den Kopf. »Wie sollte er wissen, wann Anaiya und Kairen allein sind? Ihr könnt nicht glauben, dass er als Arbeiter verkleidet hier herumlungert. Was ich so gehört habe, sind diese Asha’man dafür viel zu arrogant. Mir erscheint es viel wahrscheinlicher, dass wir einen Arbeiter hier haben, der die Macht lenken kann und irgendeinen Groll hegt.«
Beonin schnaubte abfällig. Sie konnte Tervail näher kommen spüren. Er musste gelaufen sein, um so schnell zurück zu sein. »Und warum sollte er bis jetzt gewartet haben? Die letzten Arbeiter sind in Murandy aufgenommen worden, vor mehr als einem Monat.«
Ashmanaille öffnete den Mund, aber Phaedrine kam ihr zuvor, so schnell wie ein Spatz, der einen Brotkrümel aufpickte. »Möglicherweise hat er es jetzt erst gelernt. Ein Wilder. Ich habe ein paar der Arbeiter reden hören. Genauso viele fürchten die Asha’man, wie sie diese bewundern. Ich habe ein paar sogar sagen hören, dass sie sich wünschten, den Mut zu haben, selbst zur Schwarzen Burg zu gehen.«
Die Brauen der anderen Grauen zuckten, was das Gleiche bedeutete, als hätte eine andere Frau die Stirn in Falten gelegt. Die beiden waren befreundet, aber es konnte ihr nicht gefallen, dass Phaedrine ihr auf die Weise das Wort abschnitt. Aber sie sagte nur: »Ein Asha’man könnte ihn finden, da bin ich mir sicher.«
Beonin ließ zu, dass sie Tervail fühlte, der jetzt nur noch wenige Schritte hinter ihr war. Der Bund übertrug einen stetigen Strom Ruhe und Geduld, so unerschütterlich wie die Berge. Wie sehr sie sich doch wünschte, sich darauf stützen zu können, so wie sie sich auf seine körperlichen Kräfte stützte. »Das wird wohl kaum passieren, worin Ihr mir doch sicher zustimmt«, sagte sie spitz. Romanda und die anderen mochten ja vielleicht für diese unsinnige »Allianz« mit der Schwarzen Burg sein, aber von diesem Augenblick an hatten sie sich wie betrunkene Kutscher darüber gestritten, wie man das durchführen wollte, wie man den Vertrag formulieren sollte, wie man ihn präsentieren wollte. Jede noch so kleine Einzelheit war auseinander gepflückt, wieder zusammengesetzt und erneut auseinander gepflückt worden. Die Sache war zum Scheitern verurteilt, dem Licht sei Dank.
»Ich muss gehen«, sagte sie und drehte sich um, um von Tervail Winterfinks Zügel entgegenzunehmen. Sein großer brauner Wallach war schlank, kräftig und schnell, ein ausgebildetes Schlachtross. Ihre braune Stute war stämmig und nicht schnell, aber sie hatte schon immer Ausdauer Schnelligkeit vorgezogen. Winterfink konnte noch weiter, lange nachdem größere, angeblich kräftigere Pferde aufgaben. Sie schob einen Fuß in den Steigbügel, legte eine Hand an den Sattelknauf und eine an den Hinterzwiesel und verharrte.
»Zwei tote Schwestern, Ashmanaille, und beides Blaue. Findet Schwestern, die sie kannten, und bringt in Erfahrung, was sie sonst noch gemeinsam hatten. Um den Mörder zu finden, müsst ihr der Verbindung folgen.«
»Ich bezweifle sehr, dass sie zu den Asha’man führt, Beonin.«
»Wichtig ist, den Mörder zu finden«, erwiderte sie, zog sich auf den Sattel und wendete Winterfink, bevor die Frau weiterdebattieren konnte. Ein abruptes Ende und unhöflich, aber sie hatte keine Weisheiten mehr, die sie teilen konnte, und die Zeit schien ihr jetzt im Nacken zu sitzen. Die Sonne hatte sich vom Horizont gelöst und stieg in den Himmel. Nach so langer Zeit drängte es sie in der Tat.
Der Ritt zum Reisegelände, das für Abreisen benutzt wurde, war kurz, aber fast ein Dutzend Aes Sedai warteten in einer Schlange vor der hohen Wand aus Zeltplane; einige führten Pferde, andere trugen keinen Umhang, als würden sie erwarten, sich über kurz oder lang drinnen aufzuhalten, und eine oder zwei hatten aus irgendeinem Grund ihre Stolen angelegt. Etwa die Hälfte wurde von Behütern begleitet, von denen sich mehrere in ihre Farben verändernden Umhänge gehüllt hatten. Eines hatten die Schwestern jedoch alle gemeinsam: jede leuchtete mit dem Glanz der Macht. Tervail zeigte keine Überraschung über ihr Ziel, natürlich nicht, aber noch wichtiger war, dass der Behüterbund weiterhin Ausgeglichenheit beförderte. Er vertraute ihr.
Hinter der Plane zuckte ein silberner Blitz auf, und nachdem genug Zeit verstrichen war, um langsam bis dreißig zu zählen, traten zwei Grüne, die kein Tor allein erschaffen konnten, zusammen mit vier Behütern ein, die Pferde führten. Beim Reisen hatte sich bereits ein neuer Brauch etabliert: Privatsphäre. Solange man keinem gestattete, dabei zuzusehen, wie man ein Wegetor webte, kam der Versuch, das Reiseziel in Erfahrung zu bringen, der direkten Frage nach seinen persönlichen Angelegenheiten gleich. Beonin wartete geduldig auf Winterfink, Tervail überragte sie auf Hammer. Wenigstens respektierten die hier anwesenden Schwestern ihre hochgeschlagene Kapuze. Vielleicht hatten sie auch ihre eigenen Gründe, um zu schweigen. Was nun auch zutraf, sie musste mit keinem sprechen. In diesem Augenblick wäre das unmöglich gewesen.
Die Schlange vor ihr nahm schnell ab, und kurz darauf stiegen sie und Tervail an der Spitze einer viel kleineren Schlange ab, die nun nur aus drei Schwestern bestand. Er zog das schwere Segeltuch zur Seite, damit sie zuerst eintreten konnte. Aufgehängt an hohen Zeltstangen, umfassten die Wände einen Raum mit den Ausmaßen von etwa zwanzig mal zwanzig Schritten, der von gefrorenem Schneematsch bedeckt wurde, ein unebener Boden, der von sich überlappenden Hufabdrücken übersät und in der Mitte von einer rasiermesserdünnen Furche markiert wurde. Jeder benutzte die Mitte. Der Boden schimmerte etwas, möglicherweise der Beginn von neuem Tauwetter, das alles in Matsch verwandeln würde, der vielleicht wieder gefror. Hier kam der Frühling später als in Tarabon, aber er stand kurz bevor.
Sobald Tervail den Eingang schloss, umarmte sie Saida r und webte beinahe liebkosend den Geist. Dieses Gewebe faszinierte sie, die Wiederentdeckung einer Sache, die für alle Zeiten verloren geglaubt gewesen war, und sicherlich die größte Entdeckung Egwene al’Veres. Jedes Mal, wenn Beonin es webte, erfüllte sie ein Staunen, das ihr als Novizin und sogar noch als Aufgenommene vertraut gewesen war, das sie aber seit dem Erringen der Stola nicht mehr verspürt hatte. Etwas Neues und Wunderbares. Der vertikale silbrige Strich erschien vor ihr, direkt auf der Linie im Boden, verwandelte sich plötzlich in einen Riss, der sich verbreiterte; das darin erscheinende Bild schien zu rotieren, bis sie einem rechteckigen, mehr als zwei mal zwei Schritte großen Loch in der Luft gegenüberstand, das Aussicht auf schneebedeckte Eichen mit dicken Ästen bot. Eine leichte Brise blies aus dem Wegetor und zupfte an ihrem Umhang. Sie war oft und gern in diesem Hain spazieren gegangen, oder hatte stundenlang auf einem der niedrigen Äste gesessen und gelesen, wenn auch nie im Schnee.