Выбрать главу

Tervail erkannte ihn nicht und eilte mit dem Schwert in der Hand durch. Er zog Hammer hinter sich her, und die Hufe des Schlachtrosses ließen auf der anderen Seite den Schnee emporstieben. Sie folgte etwas langsamer und ließ das Gewebe sich beinahe zögerlich auflösen. Es war wahrhaftig wunderbar.

Tervail stand da und richtete den Blick auf das, was sich in der Nähe über die Bäume erhob, ein großer heller Turm, der sich in den Himmel streckte. Die Weiße Burg. Sein Gesicht war ausgesprochen unbewegt, und auch der Bund schien voller Schweigen zu sein. »Ich glaube, du planst etwas sehr Gefährliches, Beonin.« Er hielt noch immer das gezogene Schwert, hatte es aber jetzt gesenkt.

Sie legte ihm die Hand auf den Arm. Das sollte ausreichen, um ihn zu beruhigen; bei einer echten Gefahr hätte sie seinen Schwertarm niemals behindert. »Nicht gefährlicher als . ..«

Sie verstummte, als sie in dreißig Schritten Entfernung eine Frau erblickte, die langsam durch den Hain aus gewaltigen Bäumen auf sie zukam. Sie musste sich hinter einem Baum versteckt haben. Eine Aes Sedai in einem altmodisch geschnittenen Kleid, mit weißem Haar, das von einem perlengeschmückten Netz aus Silberdraht zurückgehalten wurde und bis zu ihrer Taille fiel. Das konnte unmöglich sein. Aber dieses ausdrucksvolle Gesicht mit den dunklen, schräg stehenden Augen und der Hakennase war unverkennbar. Unverkennbar, aber Turanine Merdagon war gestorben, als Beonin eine Aufgenommene war. Die Frau verschwand mitten im Schritt.

»Was ist?« Tervail fuhr herum, sein Schwert schoss in die Höhe, er starrte in die Richtung, in die sie gesehen hatte.

»Was hat dir Angst gemacht?«

»Der Dunkle König, er berührt die Welt«, sagte sie leise.

Es war unmöglich! Unmöglich, aber sie war nicht für Halluzinationen oder Einbildungen empfänglich. Sie hatte gesehen, was sie gesehen hatte. Ihr Frösteln hatte nichts mit dem Schnee zu tun, in dem sie bis zu den Knöcheln versunken stand. Stumm betete sie. Möge das Licht mich in all meinen Tagen erleuchten, und möge ich in der sicheren Hoffnung auf Errettung und Wiedergehurt in der Hand des Schöpfers Schutz finden.

Als sie ihm erzählte, dass sie eine Schwester gesehen hatte, die mehr als vierzig Jahre tot war, versuchte er nicht, das als Halluzination abzutun, sondern murmelte nur leise sein eigenes Gebet. Aber sie fühlte keine Furcht in ihm. In sich selbst schon, aber keine in ihm. Die Toten konnten einen Mann nicht schrecken, der jeden Tag als seinen letzten betrachtete. Er war weniger ruhig, als sie ihm ihre Pläne enthüllte. Oder zumindest einen Teil davon. Sie tat es, indem sie in den Handspiegel blickte und sehr sorgfältig webte. Das Gesicht im Spiegel veränderte sich, als das Gewebe sie einhüllte. Es war keine große Veränderung, aber es war nicht länger das Gesicht einer Aes Sedai, nicht länger Beonin Marinyes Gesicht, nur das einer Frau, die ihr ähnlich sah, wenn auch mit viel hellerem Haar.

»Warum willst du zu Elaida vordringen?«, wollte er misstrauisch wissen. Plötzlich lag Spannung in dem Bund. »Du willst nahe an sie heran und dann die Illusion fallen lassen, oder? Sie wird dich angreifen und… Nein, Beonin. Wenn es getan werden muss, dann lass mich gehen. Es sind zu viele Behüter in der Burg, als dass sie sie alle kennen könnte, und sie wird nicht damit rechnen, dass ein Behüter sie angreift. Ich kann ihr einen Dolch ins Herz stoßen, bevor sie überhaupt weiß, wie ihr geschieht.« Er demonstrierte es, in seiner rechten Hand erschien blitzschnell eine kurze Klinge.

»Was ich tun muss, muss ich selbst tun, Tervail.« Sie drehte die Illusion um und verknotete sie, dann bereitete sie mehrere andere Gewebe vor, nur für den Fall, dass die Dinge schief gingen, danach webte sie ein anderes, sehr kompliziertes Gewebe, in das sie sich einhüllte. Das würde ihre Fähigkeit des Machtlenkens verbergen. Sie hatte sich immer gefragt, warum man sich in manche Gewebe hüllen konnte — so wie in eine Illusion —, während es völlig unmöglich war, mit anderen den eigenen Körper zu berühren, wie beispielsweise beim Heilen. Als sie als Aufgenommene diese Frage gestellt hatte, hatte Turanine mit dieser prägnanten tiefen Stimme erwidert: »Da könnt Ihr genauso gut fragen, warum Wasser nass und Sand trocken ist, Kind. Konzentriert Euch auf das, was möglich ist, statt darüber nachzugrübeln, warum manche Dinge nicht möglich sind.« Ein guter Rat, aber sie hatte den zweiten Teil nie akzeptieren können. Die Toten wandelten auf der Welt. Möge das Licht mich in all meinen Tagen erleuchten…

Sie verknotete das letzte Gewebe und nahm den Großen Schlangenring ab, um ihn in der Gürteltasche zu verstauen. Jetzt konnte sie unerkannt neben jeder Aes Sedai stehen.

»Du hast mir immer vertraut, dass ich weiß, was das Beste ist«, fuhr sie fort. »Tust du es noch immer?«

Sein Gesicht blieb so reglos wie das einer Schwester, aber der Bund übertrug einen kurzen Schock. »Aber natürlich, Beonin.«

»Dann nimm Winterfink und geh in die Stadt. Miete ein Zimmer in einem Gasthaus, bis ich zu dir komme.« Er öffnete den Mund, aber sie hob mahnend die Hand. »Geh, Tervail.«

Sie sah zu, wie er mit beiden Pferden zwischen den Bäumen verschwand, dann wandte sie sich der Burg zu. Die Toten wandelten auf der Welt. Aber jetzt kam es nur noch darauf an, dass sie zu Elaida vordrang. Nur das.

Der Wind rüttelte an den Fenstern. Das Feuer in dem weißen Marmorkamin hatte die Luft bis zu einem Grad erwärmt, dass Feuchtigkeit auf den Glasscheiben kondensierte und Regentropfen gleich nach unten perlten. Elaida do Avriny a’Roihan, die Hüterin der Siegel, die Flamme von Tar Valon, der Amyrlin-Sitz, saß mit ruhig gefalteten Händen hinter ihrem vergoldeten Schreibtisch und behielt ein unbewegtes Gesicht bei, während sie dem Mann vor ihr, der die Schultern gesenkt hielt und mit der Faust drohte, bei seinem Wutausbruch zuhörte.

»… gefesselt und geknebelt für den größten Teil der Reise, Tag und Nacht in einer Kabine eingesperrt, die man besser als Schrank bezeichnen sollte. Elaida, ich verlange, dass der Kapitän des Schiffes dafür bestraft wird. Außerdem verlange ich von Euch und der Weißen Burg eine Entschuldigung. Glück stich mich, der Amyrlin-Sitz hat nicht mehr das Recht, Könige zu entführen! Die Weiße Burg hat dazu kein Recht! Ich verlange…«

Er fing an, sich zu wiederholen. Der Mann hielt kaum inne, um Luft zu holen. Es fiel schwer, ihm Aufmerksamkeit zu schenken. Ihr Blick wanderte zu den hellen Wandteppichen, den hübsch arrangierten Rosen auf den weißen Fußleisten in der Ecke. Es war ermüdend, während dieser Tirade nach außen hin Ruhe zu zeigen. Am Liebsten wäre sie aufgestanden und hätte ihm eine Ohrfeige versetzt. Diese Unverschämtheit! So zu einer Amyrlin zu sprechen! Aber es ruhig über sich ergehen zu lassen nutzte ihren Zwecken mehr. Sie würde ihn sich erschöpfen lassen.

Mattin Stepaneos den Baigar war muskulös, und in seiner Jugend war er vielleicht gut aussehend gewesen, aber die Jahre hatten es nicht gut mit ihm gemeint. Der weiße Bart, der seine Oberlippe frei ließ, war sauber gestutzt, aber er hatte die meisten Haare verloren, seine Nase war mehr als nur einmal gebrochen worden, und sein Stirnrunzeln vertiefte Falten auf seinem geröteten Gesicht, die kein Vertiefen brauchen konnten. Sein grüner Seidenmantel, an den Ärmeln bestickt mit den Goldenen Bienen von Illian, war sauber ausgebürstet und gereinigt worden, fast so gut wie von einer Schwester mit Hilfe der Macht, aber es war sein einziger Mantel für die Reise gewesen, und nicht alle Flecken waren rausgegangen. Das Schiff, das ihn gebracht hatte, war langsam gewesen und erst spät am Vortag eingetroffen, aber dieses eine Mal war Elaida nicht über die Langsamkeit von anderen ungehalten. Allein das Licht wusste, was für einen Schlamassel Alviarin angerichtet hätte, wäre er früher eingetroffen. Die Frau verdiente es, für die Klemme, in die sie die Burg gebracht hatte, zum Scharfrichter geschickt zu werden, ein Missstand, den sie nun wieder in Ordnung bringen musste, ganz zu schweigen davon, dass Alviarin es gewagt hatte, den Amyrlin-Sitz zu erpressen.