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Sie würde eine Strategie finden müssen, nach seiner Abreise damit zurechtzukommen. Sie würde es schaffen müssen. Irgendwie. »Und was tue ich Gefährliches?« Sie versuchte unbeschwert zu klingen, aber es fiel ihr schwer. Beim Licht, wie würde es ihr ohne ihn ergehen?

»Diese Shaido sind blind, selbst wenn sie nicht betrunken sind, Faile Bashere«, erwiderte er ruhig. Er schob ihre Kapuze zurück und steckte ihr über dem linken Ohr eine Wildblume ins Haar. »Wir Mera'din benutzen unsere Augen.« Noch eine Wildblume kam in ihr Haar, diesmal auf der anderen Seite. »Du hast in letzter Zeit viele neue Freunde gewonnen, und du willst mit ihnen fliehen. Ein mutiger Plan, aber gefährlich.«

»Werdet Ihr das den Weisen Frauen oder Sevanna sagen?« Sie war selbst überrascht, dass das ganz sachlich herauskam. Ihr Magen wollte sich verknoten.

»Warum sollte ich das tun?«, fragte er und fügte noch eine Blume hinzu. »Jhoradin glaubt, er wird Lacile Aldorwin mit zurück ins Dreifache Land nehmen, obwohl sie eine Baummörderin ist. Er glaubt sie davon überzeugen zu können, ihm einen Brautkranz zu Füßen zu legen.« Lacile hatte ihren eigenen Beschützer gefunden, indem sie unter die Decke des Mera'din gekrochen war, der sie zur Gai'schain gemacht hatte, und Arrela hatte das Gleiche mit einer der Töchter gemacht, die sie gefangen genommen hatten, aber Faile hatte ihre Zweifel, dass Jhoradins Wunsch in Erfüllung gehen würde. Beide Frauen waren auf die Flucht konzentriert, so wie Pfeile auf ihr Ziel gerichtet waren. »Und jetzt, da ich darüber nachdenke, könnte ich dich mitnehmen, wenn ich gehe.«

Faile starrte zu ihm hoch. Der Nieselregen fing an, ihr Haar zu durchnässen. »In die Wüste? Rolan, ich liebe meinen Ehemann. Das habe ich Euch gesagt, und es ist die Wahrheit.«

»Ich weiß«, sagte er und fügte weiterhin Blumen hinzu.

»Aber im Augenblick trägst du noch Weiß, und das, was passiert, solange du Weiß trägst, ist wieder vergessen, wenn du es ausziehst. Dein Ehemann kann dir das nicht zum Vorwurf machen. Davon abgesehen, wenn wir gehen und in die Nähe einer Feuchtländerstadt kommen, werde ich dich gehen lassen. Ich hätte dich niemals zu einer Gai'schain machen dürfen. Dieser Kragen und der Gürtel sind genug Gold, damit du sicher zu deinem Mann zurückkehren kannst.«

Ihr blieb der Mund offen stehen. Es überraschte sie, als ihre Faust seine breite Brust traf. Gai'schain durften niemals gewalttätig sein, aber der Mann grinste sie bloß an. »Ihr…!« Sie schlug ihn erneut, diesmal härter. Sie schlug auf ihn ein.

»Ihr…! Mir fällt nicht einmal ein passendes Schimpfwort ein. Ihr habt mich glauben lassen, Ihr würdet mich den Shaido überlassen, dabei wolltet Ihr mir die ganze Zeit bei der Flucht helfen?«

Er fing ihre Faust und hielt sie mühelos in einer Hand, die ihre völlig verschluckte. »Falls wir gehen, Faile Bashere.« Er lachte. Der Mann lachte! »Es ist noch nicht entschieden. Außerdem darf ein Mann eine Frau nicht glauben lassen, dass er zu interessiert ist.«

Wieder überraschte sie sich, diesmal, indem sie versuchte, gleichzeitig zu lachen und zu weinen, und sie tat es so ausgelassen, dass sie sich an ihn anlehnen musste, weil sie sonst gefallen wäre. Dieser verdammte Aiel-Humor!

»Du siehst sehr hübsch mit Blumen im Haar aus, Faile Bashere«, murmelte er und schob noch eine Blüte hinein.

»Oder ohne. Und im Augenblick trägst du noch Weiß.«

Beim Licht! Sie hatte den Stab, der so kühl gegen ihren Arm drückte, aber man würde ihn unmöglich Galina geben können, bevor Therava sie wieder allein umhergehen lassen würde, und man konnte unmöglich sicher sein, dass die Frau sie vorher nicht aus Verzweiflung verriet. Rolan bot ihr die Flucht an, falls sich die Mera'din zur Abreise entschieden, aber solange sie Weiß trug, würde er versuchen, sie unter seine Decke zu bekommen. Und wenn sich die Mera'din gegen die Abreise entschieden, würde einer von ihnen ihre Fluchtpläne verraten? Wenn man Rolan Glauben schenken wollte, wussten sie alle Bescheid! Hoffnung und Gefahr, beides unauflösbar miteinander verknüpft. Was für ein Durcheinander.

Wie sich herausstellte, hatte sie mit Theravas Reaktion genau ins Schwarze getroffen. Kurz vor Mittag wurden alle Gai'schain hinausgetrieben und mussten sich bis auf die Haut ausziehen. Faile bedeckte sich so gut es ging mit den Händen und drängte sich an die anderen Frauen, die Sevannas Gürtel und Kragen trugen — die hatten sie sofort wieder anlegen müssen —, drängte sich an sie, um wenigstens einen Anflug von Sittsamkeit zu zeigen, während die Shaido die Zelte der Gai'schain durchwühlten und alles hinaus in den Schlamm warfen. Faile konnte an nichts anderes als ihr Versteck in der Stadt denken und beten. Hoffnung und Gefahr, und keine Möglichkeit, beides zu entwirren.

6

Ein Stab und eine Rasierklinge

Eigentlich hatte Mat nicht damit gerechnet, dass Luca Jurador nach nur einem Tag verlassen würde — die von einer Mauer umgebene Salzstadt war reich, und Luca hatte es gern, wenn ein paar Münzen in seine Tasche wanderten —, also war er nicht unbedingt enttäuscht, als ihm der Mann sagte, dass Valan Lucas Großer Wanderzirkus und Prächtige Zuschaustellung von Mysterien und Wundern mindestens noch zwei weitere Tage hier bleiben würde. Nicht unbedingt enttäuscht, aber er hatte gehofft, dass sein Glück andauern würde. Er war ein Ta'veren. Andererseits hatte ihm ta'veren zu sein niemals etwas anderes als Pech gebracht, soweit es ihn betraf.

»Die Schlange am Eingang ist bereits so lang wie gestern zur besten Zeit«, sagte Luca mit einer überheblichen Geste. Sie befanden sich in Lucas großem bunten Wohnwagen, früh an dem Morgen nach Rennas Tod, und der große Mann saß auf dem vergoldeten Stuhl an dem schmalen Tisch — einem richtigen Tisch mit darunter geschobenen Hockern für Besucher; die meisten anderen Wohnwagen begnügten sich mit an Seilen von der Decke hängenden Behelfstischen, und die Bewohner setzten sich zum Essen aufs Bett. Luca hatte noch keinen seiner grellen Mäntel angezogen, aber er machte das mit seinen Gesten wett. Latelle, seine Frau, kochte auf einem kleinen Ziegelofen mit eisernem Aufsatz, der in eine Ecke des fensterlosen Wagens eingebaut war, den Frühstückshaferbrei, und die Luft war erfüllt von scharfen Gewürzen. Die Frau mit dem kantigen Gesicht tat in alles so viele Gewürze rein, dass es nach Mats Geschmack so gut wie ungenießbar war, aber Luca schlang alles, was sie ihm vorsetzte, herunter, als wäre es ein Festmahl. Er musste eine Zunge aus Leder haben. »Ich rechne heute mit doppelt so vielen Besuchern, vielleicht sogar dreimal so viel, und für morgen gilt das Gleiche. Die Leute können bei einem Besuch gar nicht alles sehen, und hier können sie es sich leisten, zweimal zu kommen. Mundpropaganda, Cauthon. Mundpropaganda. Das bringt genauso viele wie Aludras Nachtblüten. Ich fühlte mich fast wie ein Ta'veren, so wie sich die Dinge entwickeln. Ein großes Publikum und die Aussicht auf noch mehr. Ein Schutzbrief von der Hochlady.« Luca verstummte abrupt, wirkte peinlich berührt, als wäre ihm gerade erst wieder eingefallen, dass Mats Name in dem Brief von jedem Schutz ausgeklammert wurde.

»Vermutlich würde es Euch gar nicht gefallen, ta'veren zu sein«, murmelte Mat, woraufhin Luca ihm einen seltsamen Blick zuwarf. Er schob einen Finger hinter das schwarze Seidentuch, das die Narbe der Henkersschlinge verbarg, und zog daran. Einen Augenblick lang hatte sich das Ding zu eng angefühlt. Er hatte eine Nacht mit düsteren Träumen über flussabwärts treibende Leichen hinter sich und war zu dem Rattern der Würfel in seinem Kopf erwacht, was immer ein schlechtes Zeichen war, und jetzt schienen sie härter als je zuvor über die Innenseite seines Schädels zu tanzen. »Ich kann Euch genauso viel bezahlen, wie Ihr mit jedem Auftritt zwischen hier und Lugard einnehmen würdet, ganz egal, wie viele Besucher kommen. Zusätzlich zu dem, was ich Euch dafür versprochen habe, wenn Ihr uns nach Lugard bringt.« Wenn der Zirkus nicht dauernd anhalten würde, könnten sie die Zeit, die es dauerte, um nach Lugard zu gelangen, um mindestens drei Viertel reduzieren. Sogar noch mehr, sollte er Luca davon überzeugen können, den ganzen Tag auf der Straße zu bleiben statt nur den halben, so wie sie es jetzt taten.