Luca schien die Idee zu gefallen, er nickte nachdenklich, aber dann schüttelte er den Kopf mit einem Bedauern, das offensichtlich gespielt war, und breitete die Hände aus. »Und wie würde das aussehen, ein Wanderzirkus, der niemals anhält, um eine Vorstellung zu geben ? Es würde verdächtig aussehen, das würde es. Ich habe den Freibrief, und die Hochlady wird zu meinen Gunsten sprechen, aber Ihr wollt bestimmt nicht, dass die Seanchaner auf uns aufmerksam werden. Nein, so ist das sicherer für uns.« Er dachte nicht an Mat Cauthons verdammte Sicherheit, er dachte daran, dass seine verdammten Vorstellungen ihm möglicherweise mehr einbrachten als das, was Mat ihm zahlte. Davon abgesehen war es ihm genauso wichtig wie Gold, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, so wie jedem Künstler. Ein paar Schausteller sprachen davon, was sie machen würden, wenn sie sich zur Ruhe setzten. Luca nicht. Er wollte weitermachen, bis er mitten in einer Vorstellung tot umfiel. Und er würde dafür sorgen, dass er dabei das größtmögliche Publikum hatte, wenn es so weit war.
»Es ist fertig, Valan«, sagte Latelle zärtlich, als sie den Topf mit einem Tuch, das ihre Hände schützte, vom Herd nahm und ihn auf dem Tisch auf einer dicken, gewebten Unterlage absetzte. Zwei Plätze waren bereits gedeckt, weiß glasierte Teller und Silberlöffel. Luca musste Silberlöffel haben, wenn sich alle anderen mit Zinn oder Messing oder sogar Horn oder Holz zufrieden gaben. Die weiße Schürze über dem sternübersäten blauen Kleid der Bärendompteurin mit dem harten Zug um ihren Mund und dem strengen Blick sah schon merkwürdig aus. Vermutlich wünschten sich ihre Bären, Bäume zum Hinaufklettern zu haben, wenn sie sie streng ansah. Seltsamerweise sprang sie förmlich, um für das Wohlergehen ihres Mannes zu sorgen.
»Wollt Ihr mit uns essen, Meister Cauthon?« In diesen Worten lag kein Willkommen, tatsächlich sogar das genaue Gegenteil, und sie machte keine Anstalten, zu dem Geschirrschrank zu gehen.
Mat entbot ihr eine Verbeugung, was ihre Miene noch mürrischer machte. Er war der Frau nie anders als ausgesprochen höflich begegnet, aber sie wollte ihn einfach nicht mögen. »Ich danke Euch für die freundliche Einladung, Frau Luca, aber danke, nein.« Sie grunzte. So viel zur Höflichkeit. Er setzte den Hut mit der kurzen Krempe auf und ging, und die Würfel klapperten fröhlich weiter.
Lucas großer Wagen, der rot und blau funkelte und mit goldenen Sternen und Kometen übersät war, ganz zu schweigen von den Mondphasen in Silber, stand so weit wie nur möglich von den stinkenden Tierkäfigen und den Pferdekoppeln entfernt. Er war umgeben von niedrigeren Wagen, kleinen Häusern auf Rädern, größtenteils fensterlos und in nur einer Farbe gestrichen ohne Lucas zusätzliche Verzierungen, sowie von Zelten in der Größe kleiner Häuser in Blau oder Grün oder Rot, manchmal auch gestreift. Die Sonne stand fast eine Handbreit über dem Horizont an einem Himmel, an dem kleine Wölkchen langsam dahintrieben; Kinder liefen herum und spielten, während die Artisten sich für die Vormittagsvorstellung bereitmachten, Männer und Frauen, die sich verrenkten und streckten, viele mit glitzerndem, buntem Flitter auf ihren Mänteln und Kleidern. Vier Verbiegungskünstler in hauchdünnen Hosen und Blusen, die durchscheinend genug waren, um nur wenig der Phantasie zu überlassen, ließen ihn zusammenzucken. Zwei lagerten neben ihrem roten Zelt auf einer Decke auf dem Boden — auf den Köpfen. Andere hatten sich so ineinander verknotet, dass zweifelhaft war, ob sie sich noch entwirren konnten. Ihr Rückgrat musste aus Sprungdraht sein! Petra, der Kraftmensch, stand mit nacktem Oberkörper neben dem grünen Wagen, den er sich mit seiner Frau teilte, und wärmte sich mit Gewichten auf; er stemmte mehr mit einer Hand, als Mat mit zweien stemmen konnte. Der Mann hatte Arme, die dicker als Mats Beine waren, und er schwitzte nicht mal. Clarines kleine Hunde standen in einer Reihe vor der Wagentreppe, wedelten mit dem Schwanz und warteten ungeduldig auf ihre Dompteurin. Im Gegensatz zu Latelles Bären machten die Hunde ihre Kunststücke vermutlich, um die pummelige Frau zum Lächeln zu bringen.
Mat war immer versucht, sich einfach nur irgendwo ruhig hinzusetzen, solange die Würfel in seinem Kopf klapperten, an einem Ort, an dem aller Voraussicht nichts passieren würde, wo er darauf warten konnte, dass die Würfel verstummten, und obwohl er gern den Akrobatinnen zugesehen hätte, von denen einige so luftig wie die Verbiegungskünstler gekleidet waren, machte er sich auf den Weg nach dem eine halbe Meile entfernt liegenden Jurador und musterte jeden auf der ungepflasterten Straße genau. Da war ein Kauf, den er abzuschließen hoffte.
Leute gesellten sich zu der langen Schlange, die hinter dem stabilen Seil wartete, das vor die hohe Zeltwand des Zirkus gespannt war; nur eine Hand voll der Frauenkleider und der kurzen Männermäntel trugen aufwändige Verzierungen. Ein paar Bauernkarren rumpelten auf ihren hohen Rädern hinter einem Pferd oder Ochsen her. In dem kleinen Wald aus Windmühlen, die auf den niedrigen Hügeln hinter der Stadt die Salzquellen leer pumpten, und um die langen Verdunstungspfannen herum bewegten sich kleine Gestalten. Eine Händlerkarawane aus Planwagen — zwanzig davon hinter Sechsergespannen — rollte bei seinem Näherkommen aus dem Stadttor, die Kauffrau saß in einen hellgrünen Umhang gehüllt auf dem ersten Wagen neben dem Kutscher. Am Himmel flog ein Krähenschwarm vorbei und ließ Mat schaudern, aber niemand verschwand vor seinen Augen, und soweit er erkennen konnte, warf jeder einen langen Schatten. Heute bevölkerten nicht die Schatten der Toten die Straße, aber er war davon überzeugt, dass er genau das am Vortag gesehen hatte.
Dass die Toten umherwandelten, konnte sicherlich nichts Gutes bedeuten. Mit großer Wahrscheinlichkeit hatte das etwas mit Tarmon Gai'don und Rand zu tun. Farben wirbelten durch seinen Kopf, und einen Augenblick lang konnte er vor seinem inneren Auge Rand und Min neben einem großen Bett stehen sehen; sie küssten sich. Er stolperte und wäre beinahe über die eigenen Füße gefallen. Sie waren nackt gewesen! Er würde daran denken müssen, nicht an Rand zu denken… Die Farben wirbelten umher und verdichteten sich kurz zu einem festen Bild, und er stolperte erneut. Es gab Dinge, die heimlich zu beobachten noch schlimmer waren als ein Kuss. Er würde seine Gedanken kontrollieren müssen. Beim Licht!
Die beiden Wächter, die sich an dem eisenbeschlagenen Tor auf ihre Hellebarden stützten, hartgesichtige Männer mit weißen Brustpanzern und konischen weißen Helmen mit Rosshaarbüschen, musterten ihn misstrauisch. Vermutlich hielten sie ihn für betrunken. Ein beruhigendes Nicken hatte nicht den geringsten Einfluss auf ihre Mienen. In diesem Moment hätte er wirklich einen ordentlichen Schluck gebrauchen können. Die Wächter machten allerdings keine Anstalten, ihn am Betreten der Stadt zu hindern, sondern sahen ihm nur nach. Betrunkene machten Ärger, vor allem ein Mann, der schon so früh am Tag betrunken war, aber ein Betrunkener in einem guten Mantel — zwar schlicht, aber von gutem Schnitt und aus teurer Seide —, ein Mann mit etwas Spitzenbesatz an den Ärmeln war eine ganze andere Sache.
Die Kopfsteinpflasterstraßen von Jurador waren selbst zu dieser Stunde lärmerfüllt. Straßenhändler trugen Bauchläden oder standen hinter Schubkarren und boten lautstark ihre Waren feil, die Ladenbesitzer hinter den schmalen Tischen vor ihren Geschäften priesen brüllend die Qualität ihres Angebots, und Küfer hämmerten Reifen auf die zum Salztransport bestimmten Fässer. Das Rattern der Webstühle der Teppichweber übertönte beinahe das Klirren der Schmiedehämmer, ganz zu schweigen die Musik der Flöten und Trommeln und Lauten, die aus den Schenken und Gasthäusern drang. Es war eine unübersichtliche Stadt, Geschäfte und Häuser und Schenken standen direkt neben Gasthäusern und Mietställen, und alle waren aus Stein erbaut und hatten rote Dachschindeln. Jurador war eine richtige Stadt. Und eine, die an Diebe gewöhnt war. Die meisten Fenster im Erdgeschoss waren mit stabilen Gittern versehen. Bei den Häusern der Reichen — zweifellos größtenteils Salzhändler — auch die Fenster der oberen Stockwerke. Die Musik der Schenken und Gasthäuser zog Mat an. Vermutlich würde es in den meisten von ihnen Würfelspiele geben. Er konnte beinahe fühlen, wie die Würfel über den Tisch tanzten. Es war lange her, dass er ein paar Würfel in der Hand geschüttelt hatte, statt sie in seinem Kopf zu hören, aber er war an diesem Morgen nicht zum Spielen hier.