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»Seid Ihr ab jetzt meine Wache?«, sagte Tuon kühl, als sie das Zelt zum ersten Mal erblickte.

»Nein«, erwiderte er. »Ich hoffe nur, mehr von Euch zu sehen.« Das war beim Licht die Wahrheit — nun gut, von den Aes Sedai wegzukommen spielte auch eine Rolle, aber das andere war auch wahr —, aber die Frau signalisierte Selucia nur mit den Fingern, und die beiden brachen in ein nicht enden wollendes Kichern aus, bevor sie sich endlich wieder einkriegten und mit der Würde einer königlichen Prozession in den purpurfarbenen Wagen zurückzogen. Frauen!

Er war nicht oft allein in dem Zelt. Nach Naleseans Tod hatte er Lopin als Leibdiener aufgenommen, und der kräftige Tairener mit seinem kantigen Gesicht und dem fast bis zur Brust reichenden Bart schaute ständig rein, senkte den kahler werdenden Kopf und fragte, was »mein Lord« gern zu essen wünschte oder ob »mein Lord« Wein oder Tee benötigte oder gern einen Teller kandierte Feigen hätte, die er irgendwo aufgetrieben hatte. Lopin war eitel, was seine Fähigkeit betraf, Delikatessen zu finden, wo es angeblich keine mehr gab. Entweder er machte so etwas, oder er stöberte in den Kleidertruhen herum auf der Suche nach Dingen, die geflickt oder gesäubert oder gebügelt werden mussten. Irgendetwas gab es seiner Meinung nach immer, auch wenn es in Mats Augen völlig in Ordnung war. Häufig wurde er von Nerim begleitet, Talmanes' melancholischem Leibdiener, hauptsächlich weil der dürre grauhaarige Cairhiener sich langweilte. Mat konnte nicht begreifen, wie sich jemand langweilen konnte, weil er nichts zu tun hatte, aber Nerim gab ständig gequälte Bemerkungen von sich, wie schlecht es Talmanes doch ohne ihn gehen musste, beklagte sich fünfmal an jedem Tag mit einem tiefen Seufzer darüber, dass Talmanes mittlerweile seine Stelle jemand anderem gegeben haben musste und dass er bereit war, notfalls mit Nerim darum zu ringen, wenn etwas zu flicken oder zu säubern war. Er wollte sogar zum Stiefelputzen eingeteilt werden!

Noal kam vorbei, um seine Geschichten zu erzählen, und Olver, um Steine oder Schlangen und Füchse zu spielen, wenn er nicht mit Tuon spielen konnte. Thom kam auch zu einer Partie Steine und um die Gerüchte weiterzuerzählen, die er in den Dörfern und Städten aufgeschnappt hatte. Juilin brachte seine eigenen Berichte, aber er hatte auch immer Amathera dabei. Die ehemalige Panarchin von Tarabon war hübsch genug, dass Mat das Interesse des Diebefängers verstehen konnte, mit rosigen Lippen, die wie gemacht zum Küssen waren, und sie klammerte sich immer an Juilins Arm, als würde sie seine Gefühle teilweise erwidern, aber ihre großen Augen blickten immer furchtsam in die Richtung von Tuons Wagen, selbst wenn sie sich alle in Mats Zelt aufhielten, und es kostete Juilin immer noch große Mühe, sie daran zu hindern, auf die Knie zu fallen und das Gesicht auf den Boden zu drücken, wenn sie auch nur einen Blick von Tuon oder Selucia erhaschte. Aber bei Egeanin und Bethamin und Seta verhielt sie sich ebenso. Zog man in Betracht, dass Amathera nur wenige Monate eine Da’covale gewesen war, verschaffte das Mat stets eine Gänsehaut. Tuon konnte ihn nicht ernsthaft zu einem Da’covale machen wollen, wenn sie ihn heiraten würde. Oder doch?

Er befahl ihnen bald, ihm keine Gerüchte über Rand mehr zu erzählen. Gegen die Farben in seinem Kopf anzukämpfen kostete eine zu große Anstrengung, und er verlor den Kampf genauso oft, wie er ihn gewann. Manchmal war alles in Ordnung, aber manchmal vermittelten sie ihm auch kurze Ausblicke auf Rand und Min, und es hatte den Anschein, als würden sich die beiden nur für eine Sache interessieren. Außerdem waren es immer die gleichen Gerüchte. Der Wiedergeborene Drache war tot, getötet von Aes Sedai, von Asha'man, von den Seanchanern, von einem Dutzend anderer Attentäter. Nein, er versteckte sich, er stellte eine geheime Armee auf, er tat etwas Dummes, das von Dorf zu Dorf und Schenke zu Schenke etwas anderes war. Verbürgt war nur, dass sich Rand nicht länger in Cairhien aufhielt, und keiner hatte eine Ahnung, wo er war. Der Wiedergeborene Drache war verschwunden.

Es erschien seltsam, wie viele dieser altaranischen Bauern und Dörfler und Städter darüber beunruhigt waren, so beunruhigt wie die durchreisenden Kaufleute und die Männer und Frauen, die für sie arbeiteten. Nicht einer dieser Menschen wusste mehr über den Wiedergeborenen Drachen als die Geschichten, die sie gehört hatten, und doch ängstigte sie sein Verschwinden. Thom und Juilin waren da eindeutig, bis er sie bat, damit aufzuhören. Wenn der Wiedergeborene Drache tot war, was würde mit der Welt geschehen? Das war die Frage, die sich die Menschen am Morgen beim Frühstück und am Abend beim Ale stellten und vermutlich auch, wenn sie zu Bett gingen. Mat hätte ihnen sagen können, dass Rand lebte — diese verdammten Visionen verrieten ihm das mit Sicherheit —, aber die Erklärung, warum er das wusste, war eine andere Sache. Selbst Thom und Juilin schienen das mit den Farben nicht zu verstehen. Die Kaufleute und die anderen hätten ihn für einen Verrückten gehalten. Und wenn sie ihm glaubten, würde das nur Gerüchte über ihn in Umlauf bringen, ganz zu schweigen davon, dass es die Seanchaner auf ihn gehetzt hätte. Er wollte bloß, dass die verfluchten Farben aus seinem Kopf verschwanden.

Sein Umzug in das Zelt führte dazu, dass ihm die Artisten seltsame Blicke zuwarfen, und das war auch kein Wunder. Zuerst war er zusammen mit Egeanin durchgebrannt — Leilwin, wenn sie darauf bestand! —, und Domon war angeblich ihr Diener, aber jetzt war sie mit ihm verheiratet und Mat hatte den Wagen verlassen. Einige der Artisten schienen der Meinung zu sein, dass er es nicht anders verdient hatte, da er doch Tuon nachstieg, aber eine überraschende Anzahl hatten Mitleid mit ihm. Mehrere Männer ließen sich über die Unberechenbarkeit der Frauen aus — zumindest wenn keine anderen Frauen in der Nähe waren —, und einige der unverheirateten Frauen, Verrenkungskünstlerinnen, Akrobatinnen und Näherinnen, fingen an, ihn ausgesprochen interessiert anzusehen. Vielleicht hätte er das genossen, hätten sie ihm nicht direkt vor Tuon feurige Blicke zugeworfen. Beim ersten Mal war er so überrascht, dass ihm beinahe die Augen aus dem Kopf gequollen wären. Und Tuon schien das auch noch amüsant zu finden! Zumindest hatte es den Ans che i nl Aber nur ein Narr glaubte zu wissen, was im Kopf einer Frau vor sich ging, nur weil sie lächelte.

Er aß auch weiterhin jeden Tag mit ihr zu Mittag, wenn sie Halt gemacht hatten, und traf früher zu seiner abendlichen Partie Steine ein, sodass sie ihn auch dann bewirten musste. Es war beim Licht die Wahrheit, brachte man eine Frau dazu, einen regelmäßig zu beköstigen, hatte man sie halbwegs erobert. Andererseits aß er nur mit ihr zu Abend, wenn sie ihn in den Wagen ließ. An einem Abend fand er die Tür verriegelt vor, und kein Überredungsversuch brachte sie oder Selucia dazu, sie zu öffnen. An diesem Tag war es wohl einem Vogel gelungen, in den Wagen zu gelangen, anscheinend ein außerordentlich böses Omen, und die beiden mussten die Nacht mit Beten verbringen, um irgendetwas Böses zu verhüten. Sie schienen ihr halbes Leben nach irgendwelchem Aberglauben auszurichten. Sahen sie ein zerrissenes Spinnennetz mit einer Spinne darin, vollführten sie seltsame Gesten mit den Händen, und Tuon hatte ihm voller Ernst erklärt, dass, wenn man ein Spinnennetz wegwischte, ohne die Spinne vorher zu verscheuchen, eine einem nahe stehende Person innerhalb eines Monats starb. Sie erblickten einen Schwärm Vögel mehr als einmal über sich kreisen und sagten einen Sturm voraus, oder sie zogen einen Finger durch eine Kolonne marschierender Ameisen, zählten, wie lange es dauerte, bis die Ameisen sich wieder in die Reihe einordneten, und sagten dann voraus, wie viele Tage günstiges Wetter vor ihnen lagen — und es spielte keine Rolle, dass das dann alles nicht eintraf. Oh, drei Tage nach dem Vogelschwarm — es waren unglücklicherweise auch noch Krähen — regnete es, aber es war alles andere als ein Sturm, sondern bloß ein grauer Tag mit Nieselregen.