»Sie haben nicht gesehen, wie Ihr das hier angesehen habt.« Er ließ den Fuchskopf auf der Hand hüpfen, bevor er ihn wieder ins Hemd steckte. Sie tat so, als wäre ihr das egal, und er tat so, als wüsste er nicht, dass sie nur so tat.
Ihre Lippen verzogen sich zu einem kurzen, wehmütigen Lächeln, als wüsste sie, was er dachte. »Die Schwestern würden es erkennen, wenn sie das nur zulassen könnten«, sagte sie so leichthin, als würden sie sich über das Wetter unterhalten, »aber Aes Sedai erwarten, dass… wenn gewisse Dinge geschehen… die Frau brav geht und kurz darauf stirbt. Ich bin gegangen, aber Jasfer fand mich halb verhungert und krank auf den Straßen von Ebou Dar und brachte mich zu seiner Mutter.« Sie' kicherte, bloß eine Frau, die erzählte, wie sie ihren Mann kennen gelernt hatte. »Er hat auch streunende Katzen aufgenommen. Nun, jetzt kennt Ihr einige meiner Geheimnisse, und ich kenne einige der Euren. Sollen wir sie für uns behalten?«
»Welche meiner Geheimnisse kennt Ihr?«, verlangte er zu wissen, augenblicklich auf der Hut. Einige seiner Geheimnisse waren ein gefährliches Wissen, und wenn zu viele sie kannten, waren es keine Geheimnisse mehr.
Frau Anan warf dem Wagen einen stirnrunzelnden Blick zu. »Dieses Mädchen spielt so sicher ein Spiel mit Euch, wie Ihr eines mit ihr spielt. Und nicht dasselbe Spiel, das Ihr spielt. Sie ist mehr wie ein General, der eine Schlacht plant, als wie eine Frau, der man den Hof macht. Aber sollte sie erfahren, dass Ihr verrückt nach ihr seid, wird sie den Vorteil erringen. Ich bin bereit, Euch eine gleichwertige Chance einzuräumen. Oder zumindest die Chance, die ein Mann bei einer Frau mit einem Funken Verstand hat. Haben wir eine Abmachung?«
»Das haben wir«, erwiderte er inbrünstig. »Das haben wir.«
Er wäre nicht überrascht gewesen, wenn die Würfel in diesem Augenblick verstummt wären, aber sie klapperten weiter.
Wäre die Fixierung der Schwestern auf sein Medaillon das einzige Problem gewesen, für das sie gesorgt hätten, hätten sie sich darauf beschränkt, überall Gerüchte zu streuen, wo der Zirkus anhielt, hätte er sagen können, dass diese Tage nicht mehr als erträglich schlecht gewesen wären. Unglücklicherweise hatten sie zur Zeit des Aufbruchs aus Jurador erfahren, wer Tuon war. Nicht dass sie die Tochter der Neun Monde war, aber dass sie eine seanchanische Hochlady war, jemand von Rang und Einfluss.
»Haltet Ihr mich für einen Narren?«, protestierte Luca, als Mat ihn beschuldigte, es ihnen verraten zu haben. Er baute sich neben seinem Wagen auf, die Fäuste in die Hüften gestemmt, ein großer, empörter Mann, bereit, deswegen zu kämpfen. »Das ist ein Geheimnis, das ich tief begraben will, bis… nun… bis sie sagt, dass ich den Schutzbrief benutzen kann. Er wird nicht viel nutzen, wenn sie ihn widerruft, weil ich etwas verrate, das sie geheim halten will.« Aber seine Stimme war eine Spur zu ernst, und er wich Mats Blick aus. Die Wahrheit war, Luca prahlte fast genauso gern, wie er Gold mochte. Er musste geglaubt haben, dass es sicher warsicher! —, es den Schwestern zu verraten, und den Schlamassel, den er angerichtet hatte, erst hinterher erkannt hatte.
Und es war ein Schlamassel, so verwickelt wie eine Schlangengrube. Die Hochlady Tuon, in unmittelbarer Nähe, bot eine Gelegenheit, der keine Aes Sedai hätte widerstehen können. Teslyn war genauso schlimm wie Joline und Edesina. Die drei besuchten Tuon täglich in ihrem Wagen und stürzten sich auf sie, sobald sie einen Spaziergang machte. Sie sprachen von Waffenstillstand und Verträgen und Verhandlungen, versuchten in Erfahrung zu bringen, welche Verbindungen sie zu den Anführern der Invasion hatte, versuchten sie davon zu überzeugen, Gespräche zu arrangieren, um die Kämpfe zu beenden. Sie boten ihr sogar an, ihr dabei zu helfen, den Zirkus zu verlassen und nach Hause zurückzukehren!
Es war ihr Pech, dass Tuon da keine Aes Sedai sah, Repräsentanten der Weißen Burg, die vielleicht größte Macht auf der Welt, nicht einmal nachdem die Näherinnen ihre Reitkleider geliefert hatten und sie die Lumpen ausziehen konnten, die Mat für sie aufgetrieben hatte. Sie sah zwei entkommene Damane und eine Marath'damane, und sie hatte keinerlei Verwendung für sie, bevor sie an die Leine gelegt waren. Das waren ihre Worte. Wenn sie zu ihrem Wagen kamen, verriegelte sie die Tür, und wenn es ihnen gelang, vorher einzudringen, ging sie. Wenn sie sie in die Ecke drängten oder es versuchten, ging sie einfach um sie herum wie um einen Baumstumpf. Sie redeten sich fast heiser. Und sie weigerte sich zuzuhören.
Jede Aes Sedai konnte einem Stein Geduld beibringen, wenn sie Anlass dazu hatte, aber sie waren es nicht gewohnt, einfach ignoriert zu werden. Mat konnte ihre wachsende Frustration sehen, die angespannten Augen und zusammengepressten Lippen, die immer länger brauchten, um sich wieder zu entspannen, die Hände, die sich in Röcke vergruben, um zu verhindern, dass sie Tuon packten und sie schüttelten. Es kam früher zur Explosion, als er erwartet hätte, und überhaupt nicht auf die Weise, mit der er gerechnet hatte.
Am Abend, nachdem er Tuon die Stute geschenkt hatte, aß er mit ihr und Selucia. Und natürlich mit Noal und Olver. Die beiden schafften es, genauso viel Zeit mit Tuon zu verbringen wie er. Lopin und Nerim, so förmlich, als wären sie in einem Palast statt in dem engen Raum, servierten eine typische frühe Frühlingsmahlzeit, zähes Lamm mit Erbsen, die getrocknet gewesen waren, und Rüben, die zu lange in jemandes Keller gelegen hatten. Es war noch zu früh, als dass etwas zur Ernte gereift gewesen wäre. Immerhin hatte Lopin Pfeffersoße für das Lamm gemacht, Nerim hatte Piniennüsse für die Erbsen gefunden, es gab genug, und nichts schmeckte merkwürdig, also war es eine Mahlzeit, die so gut war, wie unter den Umständen möglich war. Olver ging nach dem Essen, da er bereits mit Tuon gespielt hatte, und Mat tauschte mit Selucia den Platz, um Steine zu spielen. Auch Noal blieb trotz etlicher bezeichnender Blicke, erzählte weiter von den Sieben Türmen im untergegangenen Malkier, die angeblich alles in Cairhien überragten, und Shol Arbela in Arafel, der Stadt der Zehntausend Glocken, und allen möglichen Wundern der Grenzländer, seltsamen Turmspitzen aus Kristall härter als Stahl und einer Metallkuppel von hundert Schritten Durchmesser auf einem Hügel und dergleichen. Manchmal machte er Bemerkungen über Mats Spiel, dass er sich auf der linken Seite eine Blöße gab, dass er auf der rechten Seite eine schöne Falle aufstellte, und das in dem Moment, als Tuon bereit schien hineinzutappen. Eben diese Art Sachen. Mat enthielt sich jeden Kommentars und plauderte mit Tuon, aber er musste mehr als einmal die Zähne zusammenbeißen, um das zu schaffen. Tuon fand Noals Geschwätz unterhaltsam.
Mat studierte das Brett und überlegte, ob er eine kleine Chance hatte, einen Gleichstand zu erreichen, als Joline Teslyn und Edesina in den Wagen führte; die personifizierte Hochmut, Aes Sedai bis zu den Zehenspitzen. Joline trug ihren Großen Schlangenring. Sie drängten sich an Selucia vorbei und bedachten sie mit ausgesprochen kalten Blicken, als sie nur langsam zur Seite rückte, und bauten sich vor dem kleinen Tisch auf. Noal wurde ganz still und musterte die Schwestern von der Seite, eine Hand unter dem Mantel, so als würde der Narr glauben, dass seine Messer hier etwas ausrichten könnten.
»Es muss ein Ende haben, Hochlady«, sagte Joline und ignorierte Mat geflissentlich. Sie stellte etwas fest und bat nicht, verkündete, wie es ablaufen würde, weil es so sein musste. »Euer Volk hat einen Krieg in diese Länder gebracht, wie wir ihn seit dem Hundertjährigen Krieg nicht mehr erlebt haben, vielleicht sogar nicht mehr wie seit den Trolloc-Kriegen. Tarmon Gai'don nähert sich, und dieser Krieg muss enden, bevor es eintritt, weil es sonst zu einer Katastrophe für die ganze Welt werden wird. Es droht nicht weniger zu werden. Also wird Eure Verstocktheit ein Ende haben. Ihr werdet unser Angebot demjenigen überbringen, der bei Euch die Befehle gibt. Bis zu Eurer Rückkehr in Euer eigenes Land jenseits des Meeres kann Frieden herrschen, oder Ihr werdet mit der geballten Macht der Weißen Burg konfrontiert werden, der jeder Thron von den Grenzländern bis zum Meer der Stürme folgen wird. Der Amyrlin-Sitz hat sie vermutlich schon gegen Euch zusammengerufen. Ich habe von einem gewaltigen Grenzländerheer gehört, das schon im Süden ist, und andere Heere sind auf dem Weg. Aber es ist besser, das ohne weiteres Blutvergießen zu beenden. Also verhindert die Vernichtung Eures Volkes und helft Frieden zu schaffen.«