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Es war zu spät. Vermutlich war es das schon von Anfang an gewesen. Mit dem Hut in der Hand sprang der dicke Hausierer vom Kutschbock, um nachzusehen, was eigentlich mit seinen Pferden war. Bei der Landung stolperte er unbeholfen und schaute nach unten. Der Hut fiel ihm aus der Hand, landete auf der harten Straße. Das war der Augenblick, in dem er zu schreien anfing. Das Kopfsteinpflaster war weg, und er stand bis zu den Knöcheln in die Straße versunken, genau wie seine kreischenden Pferde. Bis zu den Knöcheln versunken und tiefer in den steinharten Lehm hineinsinkend, als wäre es ein Sumpf, genau wie sein Gespann und der Wagen. Und das Dorf mit seinen Häusern und Menschen sackte langsam in den Boden. Die Leute hielten nicht in ihren Beschäftigungen inne. Frauen gingen mit ihren Körben am Arm weiter, ein paar Männer trugen einen großen Baumstamm auf den Schultern, Kinder liefen umher, der Bursche am Schleifstein schärfte sein Beil, und sie alle befanden sich mittlerweile knietief im Boden.

Tuon griff an der einen Seite nach Mats Mantel, Selucia an der anderen. Erst da wurde ihm bewusst, dass er Pips angetrieben hatte. Auf den Hausierer zu. Beim Licht!

»Was glaubt Ihr tun zu können?«, wollte Tuon wild wissen.

»Nichts«, erwiderte er. Sein Bogen war fertig, die Hornkerben angepasst, die Leinensehne geflochten und gewachst, aber er hatte noch nicht eine Pfeilspitze an den Eschenholzstab angelegt, und wegen des vielen Regens in der letzten Zeit war der Leim, der die Befiederung aus Gänsefedern hielt, noch immer klebrig. Das war alles, woran er jetzt denken konnte, an die Gnade eines Pfeils in das Herz des Hausierers, bevor er vom Boden verschluckt wurde. Würde der Mann sterben, oder wurde er dorthin befördert, wohin auch immer die toten Shiotaner gingen? Das war es, was ihn bei den Gebäuden stutzig gemacht hatte. So baute die Landbevölkerung in Shiota seit fast dreihundert Jahren.

Er konnte den Blick nicht losreißen. Der versinkende Hausierer schrie laut genug, um über das Kreischen seiner Pferde gehört werden zu können.

»Hilfe!«, schrie er und fuchtelte mit den Armen. Er schien Mat direkt anzusehen. »Helft mir!« Immer wieder.

Mat wartete darauf, dass er starb, er hoffte, dass er starb — sicherlich war das besser als das andere —, aber der Mann schrie weiter, während er bis zur Taille versank, dann bis zur Brust. Verzweifelt warf er den Kopf zurück wie ein Ertrinkender, schnappte ein letztes Mal nach Luft. Dann verschwand sein Kopf und nur die Arme blieben, die wild umherfuchtelten, bis auch sie verschwanden. Nur der auf der Straße liegende Hut verriet, dass da je ein Mann gewesen war.

Als die letzten Strohdächer und hohen Schornsteine verschwunden waren, stieß Mat die Luft aus. An der Stelle, an der sich das Dorf befunden hatte, war eine weitere Wiese mit Wildblumen, auf der rote und gelbe Schmetterlinge von Blüte zu Blüte flatterten. So friedlich. Er wünschte sich, er könnte glauben, dass der Hausierer tot war.

Abgesehen von den wenigen Wagen, die Luca auf die Wiese gefolgt waren, standen die anderen noch auf der Straße, und jeder war abgesprungen; Frauen trösteten weinende Kinder, Männer versuchten zitternde Pferde zu beruhigen, und jeder sprach furchtsam und vor allem laut, um sich über dem Lärm der Löwen, Bären und Leoparden verständlich machen zu können. Nun ja, jeder mit Ausnahme der drei Aes Sedai. Sie rauschten eilig die Straße entlang, Joline mit Blaeric und Fen im Schlepptau. Den Mienen der Aes Sedai wie auch der Behüter nach zu urteilen hätte man glauben können, dass im Erdboden versinkende Dörfer so gewöhnlich wie Hauskatzen waren. Die drei Frauen blieben neben dem breiten Hut des Hausierers stehen und starrten ihn an. Teslyn hob ihn auf und drehte ihn in den Händen um, dann ließ sie ihn fallen. Die Schwestern begaben sich auf die Wiese, wo das Dorf gestanden hatte, diskutierten, sahen sich dies und das an, als könnten sie etwas von den Wildblumen und dem Gras erfahren. Keine von ihnen hatte sich die Zeit genommen, einen Umhang umzuwerfen, aber dieses eine Mal konnte ihnen Mat das nicht zum Vorwurf machen. Möglicherweise benutzten sie die Macht, aber wenn dem so war, reichte die Menge nicht aus, um den Fuchskopf erkalten zu lassen. Er hätte es ihnen nicht vorgeworfen, wenn es denn so war. Nicht heute, nicht nach dem, was er hatte ansehen müssen.

Die Diskussionen fingen augenblicklich an. Niemand wollte das Stück Lehmstraße überqueren, das anscheinend gepflastert gewesen war. Jeder brüllte lauter als der andere, einschließlich der Pferdeknechte und Näherinnen, und sie alle sagten Luca, was zu tun war und zwar sofort. Einige wollten weit genug umkehren, um eine Landstraße zu finden und diese schmaleren Wege benutzen, um nach Lugard zu gelangen. Andere waren dafür, Lugard ganz zu vergessen und stattdessen auf diesen Landstraßen nach Illian zu fahren oder gar bis nach Ebou Dar zurückzukehren. Es gab immer noch Amadicia und Tarabon. Und Ghealdan, was das anging. Dort gab es viele Dörfer und Städte, und sie waren weit von diesem vom Schatten verfluchten Ort entfernt.

Mat saß auf Pips Sattel, spielte mit den Zügeln und hielt während des ganzen Herumgebrülls und Armwedeins den Mund. Der Wallach zitterte noch dann und wann, aber er versuchte nicht länger durchzugehen. Thom bahnte sich einen Weg durch die Menge und legte Pips die Hand auf den Hals. Juilin und Amathera kamen direkt hinter ihm, sie klammerte sich an den Diebefänger und musterte das Artistenvolk furchtsam, dann kamen auch Noal und Olver. Der Junge sah aus, als hätte er sich gern auf der Suche nach Trost an jemandem festgeklammert, egal wen, aber er war alt genug, dass er sich so etwas nicht anmerken lassen wollte, falls es tatsächlich so war. Auch Noal schien beunruhigt, er schüttelte den Kopf und murmelte etwas Unhörbares. Er schaute immer wieder zu den Aes Sedai hinüber. Zweifellos würde er am Abend behaupten, etwas Ähnliches schon zuvor erlebt zu haben, nur in viel größerem Ausmaß.

»Ich glaube, wir sollten von jetzt an allein Weiterreisen«, sagte Thom leise. Juilin nickte grimmig.

»Wenn es notwendig wird«, erwiderte Mat. Kleine Gruppen würden jenen auffallen, die auf der Jagd nach Tuon waren, nach der entführten Erbin des seanchanischen Kaiserreichs, sonst hätte er den Zirkus schon vor langer Zeit verlassen. Ohne den Wanderzirkus als Deckung in Sicherheit zu gelangen würde viel gefährlicher sein, aber man konnte es schaffen. Aber er würde es nicht schaffen, die Meinung dieser Leute zu ändern. Ein Blick in jedes dieser verängstigten Gesichter verriet ihm, dass er dazu nicht genug Gold hatte. Vermutlich gab es dazu nicht genug Gold auf der ganzen Welt.

Luca hörte schweigend zu, in einen hellroten Umhang gehüllt, bis die Energie der meisten Artisten verbraucht war. Als ihr Geschrei abebbte, warf er den Umhang zurück und begab sich mitten unter sie. Jetzt gab es keine großen Gesten. Hier schlug er einem Mann auf die Schulter, dort sah er einer Frau ernst in die Augen. Die Landstraßen? Sie würden sich durch den Frühlingsregen in Schlamm verwandelt haben, mehr Bach als Straße sein. Es würde doppelt so lange dauern, Lugard auf diese Weise zu erreichen, dreimal so lang, vielleicht sogar länger. Mat blieb beinahe die Luft weg, als er Luca Schnelligkeit zu einem Argument machen hörte. Aber er hatte sich kaum warm geredet. Er sprach von der Mühe, stecken gebliebene Wagen flottzumachen, führte seinen Zuhörern plastisch vor Augen, wie sie sich anstrengen mussten, um den Gespannen durch Morast zu helfen, der beinahe bis zu den Radnaben reichte. Nicht einmal eine Landstraße würde so schlimm sein, aber er ließ es sie sehen. Oder zumindest ließ er es Mat sehen. Zwischen diesen abseits gelegenen Straßen würde es nur wenige Städte geben, die Dörfer größtenteils winzig. Wenige Orte, um auftreten zu können, und es würde schwer fallen, so viele Menschen mit Nahrung zu versorgen. Das sagte er, während er ein kleines Mädchen nicht älter als sechs Jahre traurig anlächelte, das aus dem Schutz der Röcke seiner Mutter zu ihm hochschaute, und man wusste einfach, wie er es sich hungrig und nach Essen bettelnd vorstellte. Mehr als nur eine Frau zog ihre Kinder enger an sich.