»Soll man mich doch als Narr verbrennen«, murmelte er.
»Ich gehe mit.«
Ein Donnerschlag krachte ohrenbetäubend im Einklang mit einem Blitz, der so grell war, dass er durch die Zeltplane schien. Als das Grollen verklang, herrschte in Mats Kopf Totenstille. Der letzte Satz Würfel war verstummt. Er hätte weinen können.
11
Eine Spelunke in Maderin
Obwohl an jenem Abend alle spät zu Bett gegangen waren, brach der Zirkus am nächsten Morgen in aller Frühe auf. Mat schleppte sich schlaftrunken aus seinem Zelt, während der Himmel noch dunkel war, um Männer und Frauen vorzufinden, die mit Laternen umhergingen, um alles bereitzumachen, wenn sie nicht sogar liefen, und fast jeder brüllte irgendjemand anderen an, sich schneller zu bewegen. Viele hatten den unsicheren Schritt von Leuten, die nicht geschlafen hatten. Jeder wollte den Ort weit hinter sich lassen, an dem das Dorf vor ihren Augen verschwunden war. Lucas großer grellbunter Wagen rollte auf die Straße, bevor die Sonne über den Horizont gestiegen war, und wieder schlug er ein gutes Tempo an. Zwei Kaufmannskarawanen, die aus etwa zwanzig Wagen bestanden und nach Süden rollten, passierten sie unterwegs, genau wie eine langsame Kesselflickerkarawane, aber niemand fuhr in ihre Richtung. Je weiter, desto besser.
Mat ritt mit Tuon, und Selucia unternahm keine Anstalten, den Falben zwischen sie zu drängen, aber es gab keine Unterhaltung, ganz egal, wie er sich auch bemühte, eine in Gang zu bringen. Bis auf den gelegentlichen unleserlichen Blick, wenn er einen Witz erzählte, sah Tuon stur geradeaus, und die blaue Umhangkapuze verbarg ihr Gesicht. Nicht einmal Jonglieren erregte ihre Aufmerksamkeit. Da war etwas Missmutiges an ihrem Schweigen, und das bereitete ihm Sorgen. Wenn eine Frau einem Schweigen entgegenbrachte, lauerten für gewöhnlich Schwierigkeiten auf einen. Wenn sie missmutig war, dann konnte man das mit dem gew öhn l ic h glatt vergessen. Er bezweifelte, dass das Dorf der Toten der Grund war. Dafür war sie zu zäh. Nein, da lauerte Ärger.
Kaum eine Stunde nach ihrem Aufbruch kam ein Bauernhof in Sicht, mit Dutzenden schwarzköpfiger Ziegen, die auf einer großen Wiese und in einem Olivenhain grasten. Jungen, die zwischen den Reihen dunkelblättriger Olivenbäume Unkraut jäteten, ließen ihre Hacken fallen und eilten zu den Steinmauern, um den vorbeifahrenden Zirkus zu betrachten. Sie wollten aufgeregt wissen, wer sie waren und wo sie hinfuhren und wo sie herkamen. Aus dem großen Bauernhaus und zwei Scheunen kamen Männer und Frauen und beschatteten die Augen, um sich das anzusehen. Mat sah das mit Erleichterung. Die Toten interessierten sich nicht für die Lebenden.
Es gab immer mehr Höfe und Olivenhaine, bis sie nebeneinander standen und zu beiden Seiten den Wald eine Meile weit zurückdrängten, und ungefähr in der Mitte des Vormittags erreichte der Wanderzirkus ein wohlhabendes Dorf, das etwas größer als Jurador war. Ein langer Kaufmannszug aus Planwagen fuhr durch das Haupttor, an dem ein halbes Dutzend Männer mit konischen Helmen und Ledermänteln mit aufgenähten Stahlplättchen aufpassten. Weitere Männer mit Armbrusten standen auf den beiden Wachtürmen auf ihren Posten. Aber wenn der Lord von Maderin, ein gewisser Nathin Sarmain Vendare, Ärger erwartete, waren die Wächter das einzige Anzeichen. Bauernhöfe und Olivenhaine reichten bis zu den Steinmauern von Maderin, eine unkluge Praxis, und ziemlich kostspielig, sollte die Stadt jemals verteidigt werden müssen. Luca musste mit einem Bauern um das Recht schachern, den Zirkus auf einer ungenutzten Wiese aufstellen zu dürfen, und er kam zurück und murmelte etwas davon, dass er dem Schurken gerade eine neue Ziegenherde oder auch zwei beschert hatte. Aber die Zeltplane wurde bald errichtet, während Luca jeden antrieb. Sie sollten noch am heutigen Tag auftreten und am frühen Morgen Weiterreisen. Am sehr frühen Morgen. Niemand beschwerte sich oder sagte auch nur ein unnötiges Wort. Je weiter, desto besser.
»Und erzählt keinem, was ihr gesehen habt«, mahnte Luca sie mehr als einmal zur Vorsicht. »Wir haben nichts Ungewöhnliches gesehen. Wir wollen die Zuschauer nicht verscheuchen.« Die Leute sahen ihn an, als hätte er den Verstand verloren. Niemand wollte an das versunkene Dorf oder den Hausierer denken, geschweige denn darüber reden.
Mat saß in Hemdsärmeln in seinem Zelt und wartete darauf, dass Thom und Juilin von ihrem Abstecher in die Stadt zurückkamen, um zu erfahren, ob es hier Seanchaner gab. Er spielte gedankenverloren mit einem Satz Würfel, die er auf den Tisch warf. Nachdem er zuerst hohe Augenzahlen geworfen hatte, starrten jetzt schon zehnmal hintereinander fünf einzelne Augen zu ihm hoch; die meisten Männer betrachteten die Augen des Dunklen Königs als einen Wurf, der Pech brachte.
Selucia schlug den Zelteingang zurück und trat ein. Trotz des einfachen braunen Reitrocks und der weißen Bluse schaffte sie es, wie eine Königin auszusehen, die einen Stall betrat. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, einen schmutzigen Stall, obwohl Lopin und Nerim seine Mutter hätten zufrieden stellen können, wenn es ums Saubermachen ging.
»Sie will Euch sehen«, sagte sie gebieterisch und tastete nach ihrem blumengemusterten Kopftuch, um sich zu vergewissern, dass ihr kurzes gelbes Haar bedeckt war. »Kommt.«
»Was will sie denn von mir?«, sagte er und stützte die Ellbogen auf den Tisch. Er streckte sogar die Beine aus und überkreuzte die Knöchel. Sobald man eine Frau glauben ließ, dass man sprang, sobald sie rief, erholte man sich nie wieder davon.
»Sie wird es Euch sagen. Ihr verschwendet Zeit, Spielzeug.
Sie wird nicht erfreut sein.«
»Wenn mein Juwel erwartet, dass ich angerannt komme, wenn sie bloß den Finger krumm macht, dann sollte sie lieber lernen, daran Gefallen zu finden, nicht erfreut zu sein.«
Selucia verzog das Gesicht — auch wenn ihre Herrin den Namen tolerierte, für sie blieb es eine persönliche Beleidigung — und verschränkte die Arme unter dem eindrucksvollen Busen.
Es war so klar wie gutes Glas, dass sie hier warten wollte, bis er sie begleitete, und er hatte gute Lust, sie lange warten zu lassen. Er würfelte. Die Augen des Dunklen Königs. Erwarteten von ihm, dass er sprang, wenn Tuon Kröte sagte. Hah! Noch ein Wurf, und sie rollten über den Tisch und einer fiel fast herunter. Die Augen des Dunklen Königs. Doch er hatte im Moment nichts Besseres zu tun.
Trotzdem ließ er sich Zeit, den Mantel anzuziehen, gute bronzefarbene Seide. Als er den Hut nahm, konnte er hören, wie sie ungeduldig mit dem Fuß auftappte. »Nun, worauf wartet Ihr?«, fragte er. Sie fauchte ihn an. Sie hielt die Zeltplane zur Seite, aber sie fauchte wie eine Katze.
Setalle und Tuon saßen auf einem der Betten und unterhielten sich, als er den purpurfarbenen Wagen betrat, aber sie verstummten wie abgeschnitten in dem Moment, in dem er durch die Tür kam, und warfen ihm kurze, aber abschätzende Blicke zu. Was ihm verriet, dass Mat Cauthon ihr Thema gewesen war. Ihm sträubten sich die Haare. Es war offensichtlich, was auch immer Tuon wollte, es war etwas, von dem sie glaubten, dass er es missbilligen würde. Und genauso offensichtlich würde sie es trotzdem machen wollen. Der Tisch war zur Decke hochgezogen, und Selucia drängte sich an ihm vorbei und nahm den Platz hinter Tuon ein, während sich die kleine Frau mit ernster Miene auf den Hocker setzte. Hängt sofort alle Gefangenen.
»Ich möchte den Gemeinschaftsraum eines Gasthauses besuchen«, verkündete sie. »Oder eine Schenke. Ich habe beide noch nie von innen gesehen. Ihr werdet mich in dieser Stadt in eines davon ausführen, Spielzeug.«
Er wagte weiterzuatmen. »Das ist nicht schwer. Sobald Thom oder Juilin mich wissen lassen, dass es sicher ist.«
»Es muss ein billiger Laden sein. Die, die man auch Spelunke nennt.«
Ihm blieb der Mund offen stehen. Ein billiger Laden? Spelunken waren das Niedrigste vom Niedrigsten, schmutzig und schlecht beleuchtet, wo das Ale und der Wein billig und trotzdem nicht mal die Hälfte dessen wert waren, was man bezahlt hatte, wo das Essen noch schlechter war und jede Frau, die sich zu einem auf den Schoß setzte, versuchte, einem den Geldbeutel zu stehlen oder ihn aufzuschlitzen oder zwei Männer oben warten hatte, die einem einen Scheitel zogen, sobald man durch die Tür war. Zu jeder Tages- und Nachtstunde konnte man ein Dutzend Würfelspiele finden, manchmal mit überraschend hohen Einsätzen, wenn man die Umgebung in Betracht zog. Kein Gold — nur ein Narr zeigte in einer Spelunke sein Gold —, aber Silber. Nur wenige der Spieler würden auch nur auf halbwegs ehrliche Weise an ihre Münzen gekommen sein, und diese wenigen würden genauso kalte Augen wie die Schläger und Messerstecher haben, die in der Nacht über die Betrunkenen herfielen. Spelunken hatten immer zwei oder drei Rausschmeißer mit Schlagstöcken, um Kämpfe zu beenden, und an den meisten Tagen mussten sie hart für ihren Lohn arbeiten. Für gewöhnlich hielten sie die Gäste davon ab, sich gegenseitig umzubringen, aber wenn sie versagten, schleifte man die Leiche hinten raus und ließ sie irgendwo in einer Gasse liegen oder warf sie auf einen Müllhaufen. Und während sie sie fortschafften, ging das Trinken genauso weiter wie das Spielen. Das war eine Spelunke. Woher hatte sie überhaupt von solchen Orten gehört?