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Tuon musterte ihn ausdruckslos, während sie den leeren Krug zur Seite schob. Ihn noch immer musternd, hob sie die Linke und schnippte mit zwei Fingern, und Selucia klatschte laut in die Hände. Mehrere Gäste sahen überrascht zu ihnen herüber. »Ihr habt Euch als Spieler bezeichnet«, sagte Tuon, »und Meister Merrilin hat Euch den Mann mit dem meisten Glück auf der Welt genannt.«

Jera kam angerannt, und Selucia gab ihr den Krug. »Noch einen, schnell«, befahl sie, wenn auch durchaus nicht unfreundlich. Aber sie hatte eine majestätische Art an sich. Jera machte hastig einen Knicks und eilte los, als hätte man sie angeschrien.

»Manchmal habe ich Glück«, sagte Mat vorsichtig.

»Lasst uns doch mal sehen, ob das heute der Fall ist, Spielzeug.« Tuon blickte zu dem Tisch hinüber, an dem die Würfel rollten.

Er konnte darin kein Problem erkennen. Er würde mehr gewinnen als verlieren, das war eine Tatsache, und er hielt es für unwahrscheinlich, dass einer der Kaufleute ein Messer zücken würde, ganz egal, wie viel Glück er hatte. Ihm war bei niemandem eines dieser langen Gürtelmesser aufgefallen, die weiter südlich jeder trug. Er erhob sich, bot Tuon den Arm, und sie legte die Hand leicht auf sein Handgelenk. Selucia ließ den Wein auf dem Tisch stehen und blieb dicht hinter ihrer Herrin.

Zwei der Altaraner — der eine war schlank und bis auf einen Haarkranz kahl, der andere hatte ein Mondgesicht über einem Dreifachkinn — runzelten die Stirn, als Mat fragte, ob sich ein Fremder an dem Spiel beteiligen durfte, und der Dritte, ein langsam ergrauender stämmiger Bursche mit einer dicken Unterlippe, wurde so steif wie ein Zaunpfahl. Die tarabonische Frau war nicht so unfreundlich.

»Natürlich, natürlich. Warum nicht?«, sagte sie leicht lallend. Ihr Gesicht war gerötet, und das an ihn gerichtete Lächeln wirkte irgendwie unkontrolliert. Offensichtlich gehörte sie zu jenen, die nicht viel vertragen konnten. Und die Ortsansässigen wollten sie wohl bei guter Laune halten, denn die finsteren Blicke verschwanden, obwohl der Grauhaarige auch weiterhin eine versteinerte Miene zeigte. Mat nahm von einem Nachbartisch zwei Stühle für sich und Tuon. Selucia zog es vor, sich hinter Tuon zu stellen, was auch in Ordnung war. Sechs Leute am Tisch waren mehr als genug.

Jera kam, machte einen Knicks und bot Tuon mit beiden Händen einen nachgefüllten Krug, während sie »Meine Lady« murmelte, und eine andere Schankmagd stellte eine neue Weinkanne auf den Spielertisch. Der Kahlköpfige füllte den Becher der Tarabonerin lächelnd bis zum Rand. Sie wollten sie fröhlich und betrunken halten. Sie leerte den Becher zur Hälfte und wischte sich mit einem spitzenbesetzten Taschentuch geziert die Lippen ab. Sie benötigte zwei Anläufe, um das Tuch wieder im Ärmel zu verstauen. Sie würde heute keine guten Abschlüsse machen.

Mat sah eine Weile beim Spiel zu und erkannte es bald.

Sie nahmen vier Würfel statt zwei, aber es handelte sich ohne jeden Zweifel um eine Version von Pin', ein Spiel, das schon tausend Jahre vor Artur Falkenflügels Aufstieg zur Macht populär gewesen war. Vor jedem Spieler lagen kleine Silberstapel, in denen die eine oder andere Goldmünze funkelte, und Mat warf eine Silbermark in die Tischmitte, um die Würfel zu kaufen, während der stämmige Mann seine Gewinne vom letzten Wurf einsammelte. Er erwartete von den Kaufleuten zwar keinen Ärger, andererseits war es weniger wahrscheinlich, dass es Ärger gab, wenn sie Silber statt Gold verloren.

Der schlanke Mann ging bei dem Einsatz mit, und Mat ließ die scharlachroten Würfel im Zinnbecher kreisen, dann warf er sie auf den Tisch. Vier Fünfen.

»Ist dass ein Siegeswurf?«, wollte Tuon wissen.

»Nicht, wenn ich nicht gleichziehe«, erwiderte Mat und schob die Würfel zurück in den Becher. »Ich darf aber jetzt keine Vierzehn oder die Augen des Dunklen Königs werfen.« Die Würfel ratterten in dem Becher, rollten über den Tisch. Vier Fünfen. Sein Glück hatte Bestand, so viel war sicher. Er schob die Münzen zu sich und ließ eine in der Mitte liegen.

Abrupt schob der Grauhaarige den Stuhl zurück und stand auf. »Mir reicht es«, murmelte er und fing an, das vor ihm liegende Geld in seine Manteltaschen zu packen. Die beiden anderen Altaraner starrten ihn ungläubig an.

»Ihr geht, Vane?«, sagte der Schlanke. »Jetzt schon?«

»Ich sagte, ich habe genug, Camrin«, knurrte der Grauhaarige und stürmte auf die Straße hinaus, gefolgt von Camrins finsterem Blick.

Die Tarabonerin beugte sich unsicher vor, und ihre perlenverzierten Zöpfe schleiften klirrend über die Tischplatte. Sie tätschelte das Handgelenk des Dicken. »Das bedeutet bloß, dass ich meine Lackierware von Euch kaufe, Meister Kostelle«, sagte sie undeutlich. »Von Euch und von Meister Camrin.«

Kostelles Dreifachkinn bebte, als er kicherte. »Das tut es, Frau Aistaing. Das tut es. Tut es das nicht, Camrin?«

»Vermutlich«, erwiderte der Kahlköpfige mürrisch. »Vermutlich.« Er schob eine Mark nach vorn, um mit Mats Einsatz gleichzuziehen.

Wieder rollten die Würfel über den Tisch. Dieses Mal ergaben sie Vierzehn.

»Oh«, sagte Tuon und klang enttäuscht. »Ihr habt verloren.«

»Ich habe gewonnen, mein Juwel. Das ist ein Siegeswurf, wenn es der Erste ist.« Er ließ seinen ursprünglichen Einsatz in der Tischmitte liegen. »Noch einmal?«, fragte er.

Sein Glück war da, keine Frage, so groß wie immer. Die hellroten Würfel rollten über den Tisch, sprangen über den Tisch, prallten manchmal von dem dort liegenden Einsatz ab, und einen Wurf nach dem anderen lagen vierzehn weiße Augen oben. Er warf jedes Mal Vierzehn. Selbst mit nur einer Münze als Einsatz wuchs der Silberstapel vor ihm zu einem netten Sümmchen an. Die Hälfte der Gäste des Gemeinschaftsraumes kamen an ihren Tisch, um zuzusehen. Er grinste Tuon an, die ihm knapp zunickte. Er hatte das vermisst, Würfel in einem Gemeinschaftsraum oder einer Schenke, Münzen auf dem Tisch, die Spannung, wie lange sein Glück andauern würde. Und eine hübsche Frau an seiner Seite, während er spielte. Am liebsten hätte er vor Vergnügen gelacht.

Als er die Würfel wieder im Becher klappern ließ, schaute ihn die Kauffrau aus Tarabon an, und einen Augenblick lang sah sie alles andere als betrunken aus. Plötzlich war seine Lust zu lachen wie weggewischt. Sofort wurde ihr Blick wieder leicht unscharf, aber in diesem Moment hatten ihre Augen stechend wie Dolche gewirkt. Sie konnte den Wein viel besser vertragen, als er geglaubt hatte. Anscheinend würde es Camrin und Kostelle doch nicht gelingen, schlampige Arbeit zu Höchstpreisen zu verkaufen, oder wie auch immer ihr Plan ausgesehen hatte. Ihn beschäftigte jedoch viel mehr, dass die Frau ihn mit Misstrauen betrachtete. Und wenn er so darüber nachdachte, hatte sie nicht eine Münze gegen ihn gesetzt. Die beiden Altaraner sahen ihn auch finster an, aber so kommentierten Männer, die verloren, nun einmal ihr Pech. Sie glaubte, er hätte eine Möglichkeit gefunden, wie er sie betrügen konnte. Ganz egal, dass er ihre Würfel benutzte oder vielmehr die Würfel der Taverne, was wahrscheinlicher war; die Beschuldigung, ein Betrüger zu sein, konnte einem selbst in einer Kaufmannsschenke eine Abreibung einbringen. Männer warteten nur selten ab, bei einer solchen Beschuldigung Beweise präsentiert zu bekommen.

»Ein letzter Wurf«, sagte er, »dann höre ich lieber auf. Frau Heilin?« Die Wirtin stand bei den Zuschauern. Er gab ihr eine kleine Hand voll seiner gewonnenen Silbermünzen.

»Um mein Glück zu feiern gebt jedem der hier Anwesenden zu trinken, was er will, bis das Geld alle ist.« Beifälliges Gemurmel ertönte, und jemand hinter ihm schlug ihm auf die Schulter. Jemand, der seinen Wein trank, war weniger geneigt zu glauben, dass man ihn mit zu Unrecht gewonnenen Münzen bezahlte. Oder sie würden wenigstens lange genug zögern, um ihm die Chance zu geben, Tuon hier rauszuschaffen.

»Er kann das nicht ewig durchhalten«, murmelte Camrin und rieb sich mit der Hand durch das Haar, das er nicht länger hatte. »Was meint Ihr, Kostelle? Die Hälfte?« Er legte den Finger auf die Goldmünze, die neben seinem Münzstapel lag, dann schob er sie neben Mats Silbermark. »Wenn es der letzte Wurf ist, lasst uns einen richtigen Einsatz machen. So viel Glück muss das Pech folgen.« Kostelle zögerte, rieb sich nachdenklich die vielen Kinne, dann nickte er und steuerte eine eigene Goldmünze bei.