Zehn Minuten später trafen weitere Paare ein. Adam legte eine CD mit Weihnachtsliedern von Elvis Presley auf, und je mehr Gäste sich hinzugesellten, desto mehr ähnelte die Stimmung dem, was man unter einer Party verstand.
»Die meisten Leute hier in der Nachbarschaft sind relativ umgänglich«, bemerkte Adam, während er Drinks für seine Gäste mischte. Wir waren gerade allein in der Küche. »Natürlich gibt es aber wie in jeder Stadt auch hier welche, denen du lieber aus dem Weg gehen wirst.« Er schnitt eine Limette in zwei Halbmonde und fügte hinzu: »Gary Sanduski, zum Beispiel. Wenn er über sein Autohaus erzählt, würdest du dir am liebsten einen Cocktailpicker in den Kopf rammen.«
»Okay. Immer einen kleinen Plastikspieß zur Hand haben.«
»Die Sandersons. Die sind auch ein schräges Duo. Ich wette einen Hunderter darauf, dass er schwul ist. Er leitet ein Raumausstatter-Unternehmen von zu Hause aus, und seine Frau ist Hypothekenmaklerin oder so. Wie dem auch sei: Richtig befreundet sind wir hier mit niemandem. Dennoch wollte Beth die gesamte gottverdammte Nachbarschaft einladen. Sie sagte, es tue unserem Karma gut, und so oder so solltet ihr eure unmittelbaren Nachbarn kennenlernen.« Adam schnalzte mit der Zunge. »Immer der Stratege, meine Frau.«
Die Escobars, die Sturgills, die Copelands, die Denaults, Poans, Lundgards und Mortases; Pater Gregory, der engelsgleiche katholische Priester aus Beths Kirchengemeinde; Douglas Cordova, ein stämmiger Kerl und Adams Polizeikollege; Tooey Jones, der Besitzer der Kneipe Tequila Mockingbird, die Jodie und mir bei unserer Ankunft in der Stadt aufgefallen war. Das Haus meines Bruders verwandelte sich auf wundersame Weise in eine Schaubühne für karierte Leinenhemden und Outdoor-Stiefel, auf der man sich im ländlichen Dialekt unterhielt und frisch nach Gebirgsluft duftete.
Viele meiner neuen Nachbarn bestanden darauf, gemeinsam mit mir anzustoßen. Da ich nicht unhöflich wirken wollte, war ich schon halb voll, als die Männer mich in der Küche bedrängten. Sie waren ohne Ausnahme sympathisch und freundlich auf ihre kleinstädtische Weise, und da ich eine Menge trank, fand ich den Ansturm nicht weiter schlimm.
Im Wohnzimmer unterhielt Jodie die Frauen. Ihre Stimmen hallten laut und schrill über den Flur in die Kochnische.
Tooey schüttete irgendetwas aus einer dunklen Flasche ohne Etikett in Biergläser. Zunächst dachte ich, es sei etwas Hochprozentiges – Bourbon vielleicht –, doch beim Einschenken bildete sich Schaum an der Oberfläche des Getränks. Ein paar der Männer lachten einhellig über Tooeys Bemerkung und einer klopfte ihm auf den Rücken. Als ein anderer versuchte, eines der Gläser vorzeitig wegzunehmen, klopfte Tooey ihm im gespielten Ernst auf die Finger.
»Warte, warte, warte«, sagte Tooey und drückte mir einen der Drinks in die Hand. »Zuerst muss jeder ein Glas haben.«
»Warum hast du nicht auch auf meiner Weihnachtsfeier Barkeeper gespielt, Jones?«, wollte einer der Nachbarn wissen.
»Wäre vielleicht besser gewesen. Hätte sicherlich für mehr Stimmung gesorgt.«
Grölendes Gelächter.
»Komm schon, beeil dich«, drängte ein anderer.
Ich wandte mich zu Adam, den man ebenfalls mit einem Glas der dunklen Flüssigkeit mit Schaumkrone bedacht hatte, und fragte im Flüsterton: »Was ist das für ein Zeug?«
»Tooeys Tonic«, antwortete er.
»Und was soll das sein?«
»Bier.«
»Echt?« Ich hielt es ins Licht. Es war grünlich und ich konnte kleine Partikel am Bodenglas schwimmen sehen. Ich dachte an kichernde Hexen vor einem brodelnden Kessel.
»Die Zusammensetzung ändert sich nahezu wöchentlich«, flüsterte mir Adam ins Ohr. »Er will schon seit Jahren Vertriebshändler dafür begeistern, aber man kann das Zeug bislang nur in seinem Laden kaufen.«
»Sieht aus als sollte es verboten werden«, entgegnete ich vermutlich einen Tick zu laut, denn ein paar der Umstehenden unterdrückten ein Lachen.
»Grün«, proklamierte Tooey, »heilt Krebs. Grün regiert die Welt. Grün ist Gold.«
»Es ist nicht nur einfach grün«, fügte ich an.
Tooey öffnete den Mund und brach in wüstes Gelächter aus. Es sah erzwungen aus, klang aber aufrichtig. Er hatte breite Lippen, aber eingefallene Wangen, und ich erkannte die Plomben in seinen Zähnen, obwohl ich in der anderen Ecke der Küche stand. Seine Kleidung – Flanellhemd, Lederweste und ausgebleichte Bluejeans – schlackerte an seinem Körper, als habe man sie über einen Zaunpfahl drapiert. Das einzig Ansehnliche an ihm waren die Augen – klein, blassblau, aufrichtig, tief, menschlich.
»Der war gut, Shakespeare«, sagte Tooey. Hätte jemand anders mich so genannt, wäre ich an die Decke gegangen, aber dieser Typ – vielleicht lag es an diesen Augen – wirkte so ungezwungen, dass es fast anheimelnd bis zärtlich klang. Wie bei alten Armee-Kumpel, die füreinander Spitznamen haben. »Aber – aber – koste es. Schmecke es.«
Ich setzte das Glas an, nippte kurz und versuchte, mich nicht angewidert zu sträuben. »Uah …«
Tooey lachte wieder. »Und?«
»Köstlich.«
»Komm schon, sei ehrlich.«
»Ich bin neu hier«, erinnerte ich ihn. »Ich weiß nicht, ob ich das tun sollte. Heute Abend wollte ich neue Freunde gewinnen.«
»Komm schon, raus damit!«
Ich verzog das Gesicht. »Es ist grauenhaft. Es schmeckt wie eine Mischung aus Motoröl und Hustensaft.«
»Ahhhh! Du meinst also, ich sollte den Hustensaft reduzieren.«
»Oder das viele Öl«, schlug ich vor.
Nachdem er mich zum Versuchskaninchen erkoren hatte, schickten sich einige der mutigeren Nachbarn an, ebenfalls von Tooeys Gebräu zu kosten. Angeekelte Grimassen überwogen.
»Austrinken, Männer«, gebot Adam neben mir. Er schaute verlegen auf sein eigenes Glas. »Das gehört zur Tradition.«
Ich stellte mir Tooey Jones als durchgeknallten Forscher im Getränkekeller des Tequila Mockingbird vor, wo Reagenzgläser blubberten und rauchende Ampullen an zahllosen Klammern hingen, ein Netz aus Zugrollen und Haken über seinem Kopf, während er seine jüngste Schöpfung zusammenbraute.
Eine Handvoll Männer tauchte in der Küchentür auf, nachdem sie die Frauen im Wohnzimmer allein gelassen hatten – genau zur rechten Zeit, als wir die letzten Tropfen Tooeys Tonic hinuntergewürgt hatten.
Mitchell Denault nickte und trat auf mich zu. »Ich will dich nicht in Verlegenheit bringen.« Ein paar Gefolgsleute harrten hinter ihm aus. »Kannst du dich hierauf verewigen?« Wie ein Glücksspielkönig in Las Vegas, der ein Royal Flush präsentierte, knallte er die Taschenbuchausgabe meines letzten Romans Waterview auf die Anrichte.
Dick Copeland, einer der Typen hinter ihm und von Beruf Anwalt, tastete die Brusttasche seines Oxford-Hemdes ab, vermutlich nach einem Kugelschreiber.
»Verstehe, Adam will sich also seine fünfzehn Prozent am Gewinn verdient machen, indem er die Werbetrommel für meine Arbeit rührt.« Ich nahm das Buch zur Hand und schlug die erste Seite auf. Das Papier war makellos, und auch der Rücken zeigte keine Knicke; das Exemplar war eindeutig erst kürzlich gekauft worden und daher noch ungelesen. Dick holte seinen Stift heraus und überreichte ihn mir nervös wie ein Zehnjähriger beim Vorlegen seiner Zensuren. Ich signierte das Buch und schob es über die Arbeitsplatte, damit sich Mitchell, Dick und sein Gefolge nicht großartig danach ausstrecken mussten.
Gegen zehn Uhr brachen die meisten Gäste auf. Ich schüttelte Hände und setzte ein Lächeln auf, während ich mich von Menschen zum Dinner einladen ließ, die ich immer noch kaum kannte. Ein paar wenige blieben. Die Frauen belagerten immer noch das Wohnzimmer, nur dass sie nun leise redeten, in dieser geheimnisvollen Art, wie nur Frauen es konnten. Die wenigen verbliebenen Männer lungerten in der Küche herum, naschten am Rest des Dips und tranken den harten Alkohol aus.