Ich schlich gerade rechtzeitig den Flur hinunter, um zu beobachten, wie jemand am Ende langsam die Kellertür hinter sich zuzog. Als das Schloss einrastete, klang dies als ob jemand eine Pistole nachlud. Ich schluckte einen dicken Schleimklumpen hinunter.
»Du bist beängstigend wortkarg. Einen Aufschub willst du doch hoffentlich nicht, oder? Der Veröffentlichungstermin steht!«
Irgendwie fand ich meine Stimme wieder. »Nein, das sind klasse Neuigkeiten.« Die Worte blieben mir regelrecht im Halse stecken. Die Stufen der Kellertreppe knirschten, als jemand hinunterging. Ich pirschte mich mit vehement klopfendem Herzen an die Tür.
»Was zum Teufel ist los mit dir?«, bellte Holly. »Du klingst, als stündest du komplett neben dir, Mann.«
»Ich muss aufhören. Ruf dich zurück.«
»Was ist denn?«
»Ich glaube, hier ist gerade jemand eingebrochen.«
»Travis? Du meinst, in euer Haus?«
»Ich muss jetzt.«
»Soll ich –«
»Ich melde mich wieder«, sagte ich und legte auf. Das Handy rutschte vor Schweiß in meiner Hand. Ich ließ es in die Hosentasche gleiten, dann öffnete ich die Kellertür. Unten brannte Licht, das ich definitiv nicht eingeschaltet hatte. Und Jodie war, soweit ich wusste, seit Längerem nicht nach unten gegangen. »Hey«, rief ich im verbissenen Versuch, bedrohlich zu klingen, und scheiterte kläglich. »Ich weiß, dass Sie da unten sind. Kommen Sie hoch, wir können über alles reden. Ich habe nicht vor, die Polizei zu rufen.«
Ich stand eine gefühlte Ewigkeit lang am Ende der Stufen und schwitzte wie verrückt. Gerade als sich mein Herzschlag weitgehend erholte, erklang ein dumpfer Knall gefolgt von wiederholtem Klicken, ebenfalls hohl und wie aus der Ferne, als fielen Bleistifte auf den Betonboden. Dabei schien der Schweiß augenblicklich auf meiner Haut zu gefrieren. Fast schaffte ich es, mir einzureden, ein Tier sei ins Haus gelangt, schnüffle im Keller herum und veranstalte ein heilloses Durcheinander. Dann sah ich, dass der Teppichläufer auf der Treppe triefte, eindeutig von nassen Fußabdrücken.
Unsichtbare Hände schlossen sich um meine Kehle. Mit einem Mal wurde das Atmen zu einer kaum bewältigbaren Aufgabe. Ich zückte das Handy, um die Notrufnummer zu wählen – trotz einer erdrückenden Ahnung am Grunde meiner Seele, dass dem, was dort unten lauerte, weder Kugeln noch Handschellen Einhalt gebieten konnten.
Nein, erhob sich eine Stimme in meinem Hinterkopf. Das ist dämlich. Hör auf, dich selbst in Panik zu versetzen.
Quälend langsam machte ich mich auf den Weg nach unten, wobei die Bohlen unter meinem Gewicht ächzten. Am Fuß der Treppe atmete ich tief ein und zählte im Kopf bis fünf, bis ich um die Ecke schnellte und mich darauf gefasst machte, wem oder was auch immer die Stirn zu bieten.
Der Keller war leer. Im Hauptraum standen weitere verwaiste Sachen – Dinge, von denen wir noch nicht wussten, wo wir sie verstauen sollten – und die einzelne Glühbirne an der Decke warf Schatten an alle Wände. Ich stand mit angehaltener Luft da und harrte eines weiteren Geräusches, um genau ausmachen zu können, wo sich der Eindringling versteckte – ein Waschbär oder Opossum sicherlich –, vernahm aber bis auf meinen eigenen Herzschlag kein weiteres Geräusch mehr. Dann stach mir etwas ins Auge: Eigentlich war es unmöglich, da ich es beim Umzug weggeworfen hatte, und die Erinnerung daran, wie es in den Müllcontainer hinter unserer Wohnung in London gewandert war, stand mir so deutlich vor Augen, dass ich die schwindende Wärme der Sonne im Nacken beinahe spürte und die angrenzenden Bäume roch.
Es ist nicht hier, redete ich mir ein. Ich habe es weggeworfen und es existiert nicht mehr.
Dennoch schritt ich hinüber, wobei ich einen verzerrt langen Schatten an die Wand gegenüber warf. Ich kniete mich nieder, immer noch mein Handy im Griff und starrte es an.
Wirf einen Anker aus und finde Halt, bevor du versuchst, eine konkrete Richtung einzuschlagen, riet einst mein Therapeut Was notierst du eigentlich ständig auf diesen Blöcken?
Was vor mir auf dem Kellerboden lag – wie eine Kugel, die jemand aus der Vergangenheit in die Gegenwart abgefeuert hatte –, war eines jener Notizbücher. Er war irgendwo in der Mitte aufgeschlagen und ich erkannte meine kindliche Handschrift auf den Seiten wieder. Die Tinte war an manchen Stellen verschmiert. Hier standen meine Ausführungen zu dem, was Kyle widerfahren war, aufgeschrieben aus einem unbewussten Drang zur Bewältigung, im Zuge einer entmutigten Phase – ein weiterer Begriff, den der Therapeut geprägt hatte – meiner Jugend.
Ich berührte das Notizbuch mit einer Hand, als könne ich es dadurch seiner Existenz berauben und wie Konfettiregen vor schillerndem Discolicht zurück in das Paralleluniversum befördern, aus dem es stammte. Die Seiten waren kalt, sehr kalt.
Während ich mit stockendem Atem umblätterte, war mir bewusst, auf was ich stoßen würde, bevor ich es sah, ein verblasstes Polaroid-Foto von Kyle, Adam und mir am Flussufer in Eastport. Wir hielten einander in den Armen, und Kyles kurzer Blondschopf hob sich von Adams beziehungsweise meinem struppigen dunklen Haar ab. Wir sahen alle drei den Fotografen an – unseren Vater, dessen Schatten abscheulich verheißungsvoll auf Kyle fiel. Ich hatte das Bild an jenem Nachmittag eingeklebt, als Adam von Dad zum College zurückgefahren worden war, während sich in unserem Haus unheilvoll drohende Stille ausbreitete, wie Eiswasser.
Ich schlug das Notizbuch zu, stand aber nicht sofort wieder auf. Dies lag daran, dass meine Beine vor Entsetzen steif geworden waren; ich konnte nunmehr genauso wenig auf sie bauen wie ein Querschnittsgelähmter. So rieb ich meine Augen mit einem Handballen, wobei die Feuchtigkeit meinen Blick vorübergehend trübte. Als ich wieder klar sehen konnte, schaute ich zufällig auf eine der angeschlagenen Gipswände gegenüber.
In der ersten Woche hatte ich auf Jodies Bitte hin ein paar Behälter Halbglanzfarbe gekauft, um Diele und Wohnzimmer dezent graugrün zu streichen. Fast zwei Tage waren dabei draufgegangen, und am Ende hatten wir einen halben Eimer übrig. Ich hatte den Deckel wieder festgeklopft und das Gefäß unter die Kellertreppe gestellt. Doch jetzt stand es nicht mehr da, sondern zwischen zwei Paaren Skiern und einem alten Couchtisch. Der Deckel lag mit der verschmierten Seite nach oben direkt daneben. An der Wand prangte genau in der Mitte des gleichmäßig weißen Gipses ein Handabdruck in der entsprechenden Farbe.
Später und für den Rest der Woche, in der ich den Augenblick im Geiste abermals durchspielte, wurde mir klar, dass ich nicht länger als zehn bis fünfzehn Sekunden dort gekniet und auf den Abdruck gestarrt hatte, obwohl ich es zu jenem Zeitpunkt wie eine volle Stunde empfunden hatte. Diese war mit der Behäbigkeit einer evolutionären Entwicklung verstrichen. Ich nahm die Fasern meiner Kleidung wahr und die Hitze, die plötzlich von mir abstrahlte, ganz zu schweigen von der Gänsehaut und den aufgestellten Nackenhaaren. Vor meinen Augen tänzelten geisterhafte Amöben, und es brannte, als seien Blutgefäße geplatzt. Jeden Muskelstrang meines klopfenden Herzens spürte ich, jede Sehne und jedes Band, das sich durch meinen Körper zog.
Ich erhob mich und näherte mich dem Abdruck mit weichen Knien. Als ich ihn mit zwei Fingern berührte, war er immer noch klebrig, also nicht völlig eingetrocknet.
Er stammte von einer Kinderhand.
»Wer ist hier unten?« Die Worte klangen zittrig und leidlich überzeugend. »Kyle?«, fügte ich an und ängstigte mich umso mehr.
Erneut vernahm ich ein schwaches Klicken von der anderen Seite des Raumes und erschrak so sehr, dass ich herumfuhr und praktisch genau mit dem Hintern auf dem offenen Farbkübel landete. Als er unter mir wegrutschte, fiel ich auf die Seite. Wie in Zeitlupe verfolgte ich mit, dass er umkippte und im Halbkreis herumrollte, wobei er einen graugrünen Bogen auf dem Beton hinterließ.