»Nein.« Mein Kopf lag auf ihrer Brust und ich sprach zu ihren Brüsten.
»Weshalb brauchten sie deine Hilfe?«
»Informationen.« Ich konnte es nicht im Einzelnen ausführen, nicht jetzt. Wie aus dem Nichts packte mich die Erschöpfung, als hätte mir jemand eins übergezogen. »Details. Dinge, die ich im Zuge meiner Nachforschungen in Erfahrung gebracht habe.«
»Mein schlauer Schriftsteller.« Sie gab mir einen Kuss auf den Kopf. »Wow. Und stinkender Schriftsteller.«
»Ich geh duschen.«
Im Bad schälte ich mich aus meinen Klamotten und stellte mich unter den heißen Strahl, bis er erkaltete. Als ich ins Schlafzimmer zurückkehrte, war die Leselampe aus, und Jodies leises Schnarchen übertönte das Ticken der Uhr auf dem Gang.
Die Gestalt eines kleinen Jungen stand im Türrahmen. Um ihn genau zu erkennen, fehlte das Licht, aber ich wusste, dass es Elijah war.
»Was ist los?«, wisperte ich. »Was willst du noch?«
Der Schatten schwebte geräuschlos hinaus. Ich ging hinterher. Das Treppenhaus im Obergeschoss war verlassen, und Mondlicht fiel durch die Fenster auf den Boden. Ich stand auf der oberen Stufe und schaute in den dunklen Schacht der Diele. Die Uhr im Flur tickte lauter.
Elijah bewegte sich als Schatten vor noch dunkleren Hintergründen über den Flur.
Die Stufen unter meinen nackten Füßen fühlten sich kalt an, als ich die Treppe hinunterging. Ich trug nur eine Jogginghose und war noch nass vom Duschen, eine Gänsehaut überzog meine Brust.
»Elijah!«, zischelte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen – etwa wie ein Vater, der sein Kind in der Kirche zum Schweigen anhält. »Wo bist du?«
Der Junge war zwischen Sofa und Beistelltisch, Lampen, Fernseher und Sesseln verschwunden. Von oben hörte ich immer noch das Ticken der Wanduhr, das einzige Geräusch, das sich unter mein verhaltenes Keuchen mischte.
Aber … es war nicht die Uhr …
Das Geräusch kam von den Holzklötzen, auf dem Kaffeetischchen. Es war zu dunkel um sie zu sehen, aber ich konnte sie hören, nicht einmal fünf Fuß vor mir – klack, klack, klack. Langsam und gleichmäßig.
Ich bückte mich, um den Beistelltisch gegen das dumpfe Licht zu erkennen, das durch die Vorhänge fiel. Mein Atem stockte: Die Klötze formten eine Pyramide, die sich schwarz gegen die Fenster abzeichnete, und als ich noch genauer hinschaute, sah ich einen auf den anderen stapeln, so als schwebten sie.
Ich hatte keine Angst. Vielmehr überkam mich seltsamer Gleichmut. Mein Körper prickelte und ich hatte weiche Knie. Ich landete mit dem Hintern hart auf dem Boden. Neben mir erwachte die Heizlüftung zum Leben – ein Dröhnen wie das Nebelhorn auf hoher See.
Etwas huschte am Fenster vorbei, definitiv der Umriss eines Kindes; plötzlich da und dann wieder verschwunden.
Ich spürte mein Herz bis zum Hals schlagen. Althea raunte in meinem Kopf: Eines Nachmittags spielte ich zwischen den Palmen, als ich durch die Äste ein kleines Mädchen auf dem anderen Feld sah. Die Erinnerung an ihre Worte ließ mich aufspringen.
Ich konnte ihn hören, wie er sich hinter dem Sofa regte, dann vor der hohen Kommode, das Geräusch kleiner nackter Füße bis auf den Fransenteppich. Er bewegte sich schnell.
Ich rief seinen Namen, mein Atem rasselte durch zusammengebissene Zähne. Dann hechtete ich blindlings im Dunkeln auf das Geräusch zu, doch jedes Mal, wenn ich die Stelle erreichte, an der ich ihn vermutete, hörte ich ihn aus einer anderen Ecke. Er flatterte umher wie ein verstörter Vogel, der sich ins Haus verirrt hatte und in verzweifelter Panik wieder hinausfinden wollte.
Es gibt keine Welt mehr dort draußen, kam mir in den Sinn. Wir alle sind unter Wasser.
Ungewissheit packte mich plötzlich. Ich verharrte mit dem Rücken an der Wand und lauschte der Bewegung im Raum. Einen Augenblick später durchzuckte meine rechte Schulter ein Schock, es fühlte sich an wie ein elektrischer Schlag, der durch meinen Arm fuhr, die Energie strahlte aus meinen Fingerspitzen und verflüchtigte sich im finsteren Raum.
Er hat mich berührt, stellte ich fest und begann zu zittern.
Dann waren die Schritte am anderen Ende der Diele. In einer Mischung aus Furcht und Perplexität horchte ich, ohne mich zu rühren. Die Kellertür flog auf, so heftig, dass ich glaubte, sie werde aus den Angeln gerissen. Die Schritte, die folgten, waren eindeutig; jede einzelne Stufe knarrte unter einem imaginären Gewicht, und mein Herz schlug wie ein Echo. Als es auf der Diele still wurde, hallten die Geräusche durch den Heizungsschacht zu meinen Füßen wider: Unruhe und Erschütterungen von jemandem, der dort unten im Keller rumorte. Ein tiefes resonantes Klappern kam durch die Rohre, vermutlich aus dem Inneren des Heizungskessels.
Zuletzt wurde es totenstill. So schnell, als hätte mir jemand Watte in die Ohren gestopft, oder wie vom Schlachtfeld in einen stillen Bunker.
Ich stand sehr lange einfach nur da, bevor ich wieder Herr über meine Muskeln wurde. Als es so weit war, wagte ich mich in den Keller und tappte über den eiskalten Betonboden. Ich schaltete das Deckenlicht ein, beschattete meine Augen, bis sie sich an die Helligkeit gewöhnten, und ging mit ausgestrecktem Arm auf die Heizung zu. Mit Bestimmtheit näherte ich mich dem Ofen und öffnete die Kolben in der Metallverblendung. Dahinter kam eine Eisenklappe zum Vorschein, ich hob sie an und schaute in die finstere Luke. Es kam einem Blick in den Bauch eines altertümlichen Roboters gleich.
Wenn die Leiche hier verbrannt wurde, hätte man sie in kleine Teile zerstückeln müssen, um sie durch die Öffnung zu zwängen; wenn die Leiche hier verbrannt wurde, werde ich höchstwahrscheinlich keine Spuren im Kessel finden.
Oder doch?
Als sich die ersten Sonnenstrahlen am Himmel blicken ließen, hatte ich mehrere Handvoll klebrigen Ruß aus der Heizung geschaufelt. Die Masse lag nun auf Zeitungspapier am Boden, stank nach Öl und sah aus wie schwarzer Eiter, den ein fieberkrankes Pferd abgesondert hatte. Zu Anfang hatte ich noch gehofft, Knochensplitter oder so etwas in der Art in dem Brei zu finden, aber nun, da die Schlacke auf der Zeitung vor mir ausgebreitet lag, wusste ich, dass alles gelogen war, was ich in Filmen gesehen und in Büchern gelesen hatte: Außer Kohlenstoff und nasser Asche bleibt von uns nichts übrig.
Erschöpft und deprimiert kehrte ich nach oben zurück, wo der Wecker neun Minuten nach sechs zeigte. Im Bett schmiegte ich mich an Jodie und hoffte, dass ihr Atemgeräusch mich in den Schlaf wiegen würde.
Tat es nicht.
Kapitel 33
Gegen Mittag klingelte das Telefon.
»Wir brauchen deine Hilfe«, sprach Adam nahezu atemlos.
»Worum geht es?«
»Dentman will unter einer Bedingung aussagen.« Er hielt inne, vielleicht um es dramatischer klingen zu lassen. »Er möchte zuerst mit dir reden.«
»Ich bin in zehn Minuten da«, versprach ich und legte auf.
»Das«, rief Paul Strohman, »ist kompletter Bullshit.«
Wir saßen in seinem engen Büro, er hinterm Schreibtisch, Adam neben mir auf einem der beiden Stühle ihm gegenüber. Strohman hatte seine langen Füße auf die Tischplatte gelegt, weshalb sie leicht durchhing.
»Es wird schon nichts schiefgehen«, befand Adam.
»Oder aber, es lässt das ganze Department aussehen wie einen Schulbus voller Schwachköpfe.«
»Er hat ausdrücklich nach Travis verlangt. Danach wird er seine Aussage machen.«
»Na, wenn er es versprochen hat, ist ja alles klar.« Hätte Strohman im selben Moment nicht geseufzt und wäre mit der Hand durchs Haar gefahren, hätte sein Sarkasmus ein wenig härter getroffen. Er wandte sich an mich: »Bevor Sie da reingehen, möchte ich Ihnen die Grundregeln erklären. Zuallererst gab es von unserer Seite aus keinerlei Versprechungen. Wenn er also plaudert, tut er es aus eigenem Antrieb. Ich will diesen Narren nicht lossprechen, nur um mir dann anhören zu müssen, dass er das Kind zu Hackfleisch verarbeitet und die Einzelteile im Wald verscharrt hat.«