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Mitten in der Regent Street begann der Motor zu knattern und setzte aus; zuletzt stand er still.

Sie stieg aus dem Wagen, um den Rest des Weges zu Fuß zu gehen. Sie hatte die Wagentür eben hinter sich zugeschlagen, als sie angerufen wurde:

»Hallo! Nur eine Minute, Kamerad!«

Sie wandte sich um und sah einen Mann nähertappen.

»Was ist?« fragte sie, vom Aussehen des Näherkommenden nicht eben eingenommen.

Sein Verhalten änderte sich, als er ihre Stimme hörte.

»Habe mich verirrt. Weiß nicht, wo ich bin«, sagte er.

»Das ist hier Regent Street«, informierte sie ihn. Sie wandte sich um, um zu gehen.

»Führen Sie mich doch an den Randstein, Fräulein, bitte«, ersuchte er sie.

Sie zögerte, und da war er auch schon da. Seine ausgestreckte Hand berührte ihren Ärmel. Er schnellte vorwärts und umklammerte ihre Arme mit einem schmerzhaften Griff.

»Sie können also sehen!« rief er. »Wieso in 's Teufels Namen können Sie's und ich nicht und niemand sonst?«

Ehe sie wußte, was geschah, hatte er sie herumge-rissen und zum Sturz gebracht; sie lag auf der Straße und spürte sein Knie im Rücken. Er umfaßte ihre beiden Handgelenke mit einer seiner Pratzen und band sie mit einem Stück Schnur, das er in seiner Tasche fand, zusammen. Dann stand er auf und zerrte sie hoch.

»So«, sagte er. »Jetzt wirst du deine Augen für mich gebrauchen. Ich habe Hunger. Du führst mich hin, wo es was Gutes zu essen gibt. Also los.«

Josella suchte von ihm loszukommen.

»Ich will nicht. Lassen Sie meine Hände los. Ich –«

Ein Schlag ins Gesicht ließ sie stocken.

»Und ob du wollen wirst, Mädel«, erwiderte er.

Am Ende hatte sie sich fügen müssen.

»Ich muß einfach den Kopf verloren haben«, erklärte sie. »Jetzt sehe ich ein halbes Dutzend Möglichkeiten, wie ich ihn hätte loswerden können.

Wahrscheinlich hätte ich ihn getötet, wenn Sie nicht gekommen wären. Noch war ich es nicht imstande, man wird nicht im Handumdrehen ein Totschläger.

Er war vielleicht gar nicht so schlimm, wie er aussah«, meinte sie, »es war nur die Angst. Im Grunde hatte er weit mehr Angst als ich. Er ließ mich essen und trinken. Er begann mich zu schlagen, weil er betrunken war und weil ich nicht mit ihm nach Hause gehen wollte. Ich weiß nicht, was geschehen wäre, wenn Sie nicht eingegriffen hätten.«

Es war ihr anzusehen, daß sie sich besser fühlte, doch zuckte sie zusammen, als sie nach ihrem Glas griff.

»Jeder, der etwas Kostbares besitzt, ist in Gefahr«, sagte sie nachdenklich.

»Werde mir das für künftighin merken«, versprach ich. »Und was soll nun geschehen?« fragte ich.

»Ich muß nach Hause zurück. Mein Vater wartet.

Den Doktor zu suchen, hat ja nun keinen Sinn mehr – auch wenn er zu den Verschonten gehört.«

»Soll ich nicht mitkommen?« fragte ich. »Ich glaube nicht, daß es in dieser Zeit für uns ratsam ist, so allein umherzuwandern.«

Sie blickte mich dankbar an.

»Ich wollte schon fragen. Dann dachte ich, daß Sie vielleicht anderwärts erwartet werden.«

»Niemand erwartet mich«, gab ich zur Antwort.

»Das ist gut. Nicht daß ich Angst habe, noch einmal eingefangen zu werden – davor werde ich mich hüten. Ich fürchte aber die Verlassenheit, das Alleinsein.

Man kommt sich so verloren vor.«

Wiederum zeigten sich mir die Dinge in einem anderen neuen Licht. In das Gefühl der Befreiung mischte sich die Ahnung künftiger Schrecknisse. Anfangs mußte man Überlegenheit und daher Zuversicht empfinden. Wir hatten ja unendlich viel mehr Aussicht, die Katastrophe zu überleben, als die andern. Wo sie tasten, tappen und raten mußten, brauchten wir nur zuzugreifen. Aber darüber hinaus gab es noch vieles andere ...

Ich sagte: »Ich wüßte gern, wieviel Sehende es noch gibt. Scheint, daß das Sehvermögen eine große Seltenheit geworden ist. Einige von den anderen haben offenbar schon begriffen, daß sie, um am Leben zu bleiben, einen Sehenden brauchen. Sobald das alle begriffen haben, werden unsere Aussichten alles eher als gut.«

Die Zukunft schien mir nur zwei Möglichkeiten zu bieten: ein einsames Dasein unter ständiger Furcht, gefangen und versklavt zu werden, oder die Bildung einer Gruppe, die ausgesucht war und vor anderen Gruppen Schutz gewährte. Wir würden eine Doppelrolle spielen: Führer und Gefangene zugleich sein. Josella riß mich aus meinen Gedanken.

»Ich muß gehen«, sagte sie. »Mein armer Vater. Es ist vier vorüber.«

In der Regent Street hatte ich einen Einfall.

»Kommen Sie«, sagte ich. »Hier irgendwo muß ein Laden sein ...«

Er war noch da. Wir rüsteten uns darin mit ein paar handlichen Dolchmessern aus und den dazu nötigen Gürteln.

Ein Stück weiter fanden wir eine große funkelnde Limousine stehen. Wir fuhren nordwärts, wichen den herrenlos parkenden Fahrzeugen aus und den Wanderern, die bei unserer Annäherung mitten auf der Fahrbahn zur Reglosigkeit erstarrten und deren Gesichter, wenn sie uns kommen hören, hoffnungsvoll aufleuchteten und wieder erloschen, wenn wir uns entfernten. Ein Gebäude, an dem wir vorüberfuhren, stand in hellen Flammen, und eine Rauchwolke stieg über einer anderen Brandstelle auf, irgendwo in der Oxford Street. Und dann ging's am Rundfunkgebäude vorbei nach Norden zur Autostraße durch Regent's Park.

Endlich offenes Land und nicht mehr die Häuserzeilen mit den ziellos umherirrenden Unglücklichen.

Die einzigen Dinge, die wir auf den ausgedehnten Grasflächen in Bewegung sahen, waren zwei, drei kleine Gruppen von Triffids, die südwärts stelzten.

Irgendwie war es ihnen gelungen, die Pflöcke loszureißen, die sie nun an ihren Ketten nachschleiften.

Auf der restlichen Strecke hatten wir wenig Aufenthalt. Ein paar Minuten und ich bremste vor dem Haus, das sie mir zeigte. Wir stiegen aus dem Wagen, und ich machte das Tor auf. Ein kurzer Fahrweg bog um das Buschwerk, das die Straßenfront des Hauses verdeckte. An der Biegung schrie Josella plötzlich auf und lief vorwärts. Auf dem Kies lag ein Mann, den Rücken nach oben, aber den Kopf zur Seite gedreht, so daß eine Hälfte seines Gesichtes sichtbar war. Auf den ersten Blick erkannte ich die brandigrote Strieme über der Wange.

»Halt!« schrie ich.

Der Schreckensruf ließ sie stocken.

Ich war die Triffid nun gewahr geworden. Sie lauerte im Gebüsch in der Nähe des Gestürzten.

»Zurück! Schnell!« sagte ich.

Sie zögerte, noch immer auf den Hingestreckten blickend.

»Aber ich muß –«, begann sie und wandte sich mir zu. Sie stockte, mit schreckgeweiteten Augen. Dann schrie sie.

Ich fuhr herum und sah eine Triffid knapp hinter mir aufragen.

Mit einer automatischen Bewegung hielt ich die Hände vor meine Augen. Ich hörte den Stachel durch die Luft zischen – doch die lähmende Wirkung blieb aus, auch der brennende Schmerz. In solchen Augenblicken vermag der Geist blitzschnell zu reagieren, ich sprang auf die Pflanze los, ehe sie einen neuen Schlag tun konnte. Sie kippte um und ich fiel mit ihr, suchte aber noch im Sturz, den Kelch mit dem Stachel vom Stengel zu reißen. Der Stengel einer Triffid läßt sich zwar nicht abknicken, wohl aber zerknittern.

Der, den ich diesmal in Händen hatte, war gründlich zerknittert, als ich aufstand.

Josella stand erstarrt noch immer auf derselben Stelle.

»Kommen Sie hierher«, sagte ich. »Im Gebüsch hinter Ihnen ist noch eine.«

Erschreckt blickte sie sich um und kam.