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»Sie sind doch getroffen worden!« rief sie ungläubig. »Wieso sind Sie –?«

»Ich weiß nicht. Eigentlich sollte ich«, gab ich zur Antwort.

Ich starrte auf die Triffid zu meinen Füßen. Da erinnerte ich mich an die Dolchmesser, die wir für ganz andere Gegner mitgenommen hatten, und schnitt mit dem meinen den Stachel aus dem Kelchboden. Ich untersuchte ihn genau.

»Das ist die Erklärung.« Ich wies auf den Giftbeutel. »Sehen Sie? Sie sind schlaff und leer. Wären sie voll gewesen, auch nur zum Teil, dann ...« Ich drehte den Daumen nach unten. Diesem Umstand und meiner Widerstandskraft gegen das Gift verdankte ich meine Rettung. Dennoch lief mir über Handrücken und Hals eine blaßrote, teuflisch juckende Strieme.

Ich rieb sie, während ich den Stachel besah.

»Sonderbar«, murmelte ich, mehr zu mir selber als zu meiner Begleiterin, doch sie hörte mich.

»Was ist sonderbar?«

»So leere Giftbeutel sind mir bisher nicht untergekommen. Die muß ja höllisch viel Stiche ausgeteilt haben.«

Es war zweifelhaft, ob sie mich hörte. Ihre Aufmerksamkeit galt wieder dem Mann auf dem Kiesweg und der neben ihm lauernden Triffid.

»Wie können wir ihn von hier wegschaffen?« fragte sie.

»Überhaupt nicht, solange das Ding dort nicht unschädlich gemacht worden ist«, erklärte ich. »Und dann, fürchte ich, kommt jede Hilfe zu spät.«

»Er ist tot?«

Ich nickte. »Wer war es?«

»Der alte Pearson. Er war unser Gärtner und Vaters Chauffeur. Ein so prächtiger alter Mann.«

»Es tut mir leid, daß –«, begann ich, da mir nichts Besseres einfiel, als sie mich unterbrach.

»Dort! Dort! Sehen Sie nur!« Sie deutete auf einen um das Haus biegenden Pfad. Ein schwarzbestrumpftes Bein mit einem Damenschuh war an der Ecke sichtbar.

Halb auf dem Weg, halb in einem Blumenbeet lag ein Mädchen in einem schwarzen Kleid. Über ihr frisches hübsches Gesicht zog sich eine blutrote Strieme.

Josella stockte der Atem. Tränen traten in ihre Augen.

»Oh, Annie! Arme, kleine Annie!« flüsterte sie.

Ich versuchte, sie ein wenig zu trösten.

»Sie haben kaum viel gelitten, die beiden«, sagte ich. »Ist der Stich tödlich, dann geht es schnell.«

Keine andere Triffid lauerte hier. Vermutlich waren die beiden von einer einzigen niedergestreckt worden. Wir überquerten gemeinsam den Pfad und traten durch eine Seitentür ins Haus. Josella rief. Keine Antwort. Sie rief noch einmal. Nichts regte sich. Still schritt sie mir voran durch einen Flur, der vor einer tuchbespannten Tür endete. Als sie öffnete, peitschte etwas knapp über ihren Kopf hinweg und traf klatschend den Türrahmen. Sie schlug hastig die Tür zu und sah mich mit entsetzten Augen an.

»Im Vorzimmer ist auch eine.«

Sie sagte es im Flüsterton, als fürchte sie, behorcht zu werden. Wir gingen den Flur zurück und um-schritten das Haus, auf dem Rasen, um kein Geräusch zu machen, bis wir zu einer Stelle kamen, wo man in das Vorzimmer blicken konnte. Die Glastür, die in den Garten führte, war offen, eine ihrer Scheiben eingeschlagen. Eine Fährte von Schlammspritzern lief über die Stufe und den Teppich. An ihrem Ende stand mitten im Zimmer eine Triffid, deren leise schwankende Stengelspitze fast die Decke streifte.

Neben ihrem erdigen, zottigen Strunk lag, mit einem hellfarbigen seidenen Schlafanzug bekleidet, der Körper eines älteren Mannes. Ich faßte Josella am Arm. Damit sie nicht hineinlief.

»Ist es – Ihr Vater?« fragte ich, obwohl ich die Antwort schon wußte.

Sie nickte und schlug die Hände vor das Gesicht.

Sie zitterte. Ich stand still und ließ die Triffid nicht aus den Augen, falls sie sich nähern sollte. Dann reichte ich Josella mein Taschentuch. Hier war nicht viel zu machen. Nach einer Weile gewann sie ihre Fassung zurück. Sie sah wieder hinein in das Zimmer. »Was sollen wir tun? Ich kann ihn doch nicht so–«

In diesem Augenblick glitt der Reflex einer Bewegung durch die heil gebliebene Scheibe der Glastür.

Als ich mich umblickte, sah ich eine Triffid aus dem Gebüsch hervorkommen. Sie stelzte über den Rasen gerade auf uns zu.

Da war keine Zeit zu verlieren. Wieder faßte ich Josella am Arm und lief mit ihr den Weg zurück, den wir gekommen waren; als wir im Wagen und in Sicherheit waren, begannen die Tränen zu strömen.

Weinen erleichtert das Herz.

Je länger ich über die neue Lage nachdachte, um so weniger gefiel sie mir. Ich hatte keine Ahnung, wie viele Triffids es in London gab. In jedem Park waren zumindest ein paar zu finden. Gewöhnlich ohne Stachel. Die durften sich frei bewegen. Oft aber waren auch solche mit Stachel da, entweder angepflockt oder hinter engmaschigen Drahtgittern. Und die, die wir in Regent's Park gesehen hatten – wie viele wurden in den Hürden neben dem Tiergarten gehalten?

Und wie viele waren ausgebrochen? Und auch in Privatgärten gab es eine Anzahl; sicherheitshalber wahrscheinlich beschnitten – doch wer weiß, die Leute waren manchmal von einem unbegreiflichen Leichtsinn.

Außerdem gab es weiter draußen noch Zuchtanstalten und Versuchsstationen für die Dinger ...

Irgend etwas regte sich im Untergrund meines Gedächtnisses, während ich diese Überlegungen anstellte; eine Gedankenverbindung, die nicht recht zustande kommen wollte. Ich suchte eine Weile: und auf einmal war sie da. Ich glaubte förmlich, Walters Stimme zu hören:

»Eine Triffid, behaupte ich, hat mehr Aussicht, am Leben zu bleiben als ein Blinder.«

Ich rief mir das Gespräch ins Gedächtnis zurück ...

»Nimm uns unser Sehvermögen«, hatte er gesagt,

»und es ist aus mit unserer Überlegenheit ihnen gegenüber.«

Ein Knirschen im Kies brachte mich in die Gegenwart zurück. Eine Triffid schwankte den Fahrweg herunter und auf das Tor zu. Ich lehnte mich zurück und kurbelte das Wagenfenster hoch.

»Fahren wir! Fahren wir!« flüsterte Josella in panischer Angst.

»Hier drinnen kann uns doch nichts geschehen«, beruhigte ich sie. »Ich möchte nur sehen, was sie macht.«

Beim Tor blieb die Pflanze stehen. Man hätte schwören mögen, sie horche. Wir saßen vollkommen starr und lautlos. Ich erwartete einen Schlag auf den Wagen. Aber nichts geschah. Die kurzen kahlen Stiele begannen unvermittelt an den Hauptstamm zu trommeln. Das ganze Gebilde schwankte, torkelte schwerfällig seitwärts und verschwand hinter der nächsten Wegkurve.

Josella atmete auf.

»Oh, fahren wir, bevor sie zurückkommt«, bat sie.

Ich setzte den Motor in Gang, drehte um und dann fuhren wir wieder nach London zurück.

Ein Licht in der Nacht

Allmählich gewann Josella wieder ihr seelisches Gleichgewicht. Offenbar suchte sie Ablenkung von dem eben Erlebten, als sie fragte:

»Wohin fahren wir jetzt?«

»Zuerst nach Clerkenwell«, antwortete ich. »Nachher wollen wir uns für Sie um Kleider umsehen. Bond Street, wenn Sie wollen. Aber Clerkenwell zuerst. Ich kenne dort eine Firma, die die besten Triffidflinten und Triffidmasken der Welt herstellt.«

Die Straßen um King's Cross Station waren ungewöhnlich belebt. Obwohl ich die Hand nicht mehr von der Hupe ließ, wurde das Fahren immer schwieriger. Und vor dem Stationsgebäude war ein Durchkommen ausgeschlossen. Ich habe keine Ahnung, was diese Menschenansammlung verursachte. Die gesamte Bevölkerung des Stadtteils schien an dieser Stelle zusammengeströmt zu sein. Die Menge vor uns war undurchdringlich, und ein Blick nach hinten zeigte, daß uns auch der Rückweg versperrt war. Die Leute, an denen wir vorbeigefahren waren, holten uns schon ein.

»Raus, schnell!« sagte ich. »Sonst haben sie uns.«

»Aber –«, begann Josella.

»Rasch«, drängte ich.

Ich betätigte noch einmal die Hupe, dann stieg ich auch aus, ohne den Motor abzustellen. Keine Minute zu früh; denn ein Mann klinkte bereits die hintere Wagentür auf und tastete umher. Die herandrängende Menge warf uns beinahe um. Wildes Geschrei erscholl, als die Vordertür geöffnet wurde und man auch hier die Sitze leer fand. Während so ringsum die Verwirrung wuchs, ergriff ich Josellas Hand und begann, so unauffällig wie möglich, aus dem Gedränge hinauszusteuern.