»Das wäre das richtige. Aber den dicht besiedelten Gebieten zu nahe. Glauben Sie nicht, daß wir weiter weg sollten?«
»Ich überlege gerade. Wie lange wird es dauern, bis man eine Stadt wieder ohne Gefahr aufsuchen kann?«
»Keine Ahnung«, bekannte ich. »Etwa ein Jahr, meiner Meinung nach.«
»Wenn wir zu zweit weggehen, werden wir später mit der Versorgung Schwierigkeiten haben.«
»Das ist sicher zu berücksichtigen«, gab ich zu.
Wir vertagten die Erörterung dieser Frage und wandten uns den Einzelheiten unseres Umzugs zu.
Am nächsten Morgen sollte zuerst einmal ein geräumiges Lastauto herangeschafft werden, und nun stellten wir gemeinsam eine Liste der Gegenstände zusammen, die wir aufladen wollten. Die Abfahrt setzten wir auf den nächsten Abend fest, wenn wir es bis dahin schaffen konnten; wenn nicht – und der Umfang der Liste ließ das wahrscheinlicher erscheinen –, wollten wir noch eine Nacht in London riskieren und erst am folgenden Tag wegfahren.
Es ging schon auf Mitternacht, als die Liste fertig war. Sie hatte viel Ähnlichkeit mit einem Warenhauskatalog. Sie hätte ihren Zweck erfüllt, wenn sie uns auch nur an diesem Abend Beschäftigung und Ablenkung gegeben hatte.
Josella gähnte und erhob sich.
»Schläfrig«, meinte sie. »– Und Daunendecken warten in einem phantastischen Bett.«
Sie schien über den dicken Teppich zu schweben.
Die Hand am Türgriff, hielt sie inne, um sich feierlich in einem großen Wandspiegel zu betrachten.
»Schön war es doch«, sagte sie, ihrem Spiegelbild eine Kußhand zuwerfend.
»Gute Nacht, Sie schönes Traumbild«, verabschiedete ich mich. Ein schwaches Lächeln erhellte ihr Gesicht, dann verschwand sie hinter der Türe wie ein Nebelstreif.
Ich schenkte mir noch einen letzten Schluck des wundervollen Brandys ein, wärmte das Glas in meiner Hand und schlürfte es leer.
»Nie wieder wirst du so etwas zu sehen bekommen«, monologisierte ich. »Nie wieder. Sic transit ...«
Und dann, bevor mich der Trübsinn endgültig überwältigte, suchte ich mein bescheidenes Nachtlager auf.
Ich war schon behaglich ausgestreckt, am Einschlummern, als es an die Tür klopfte.
»Bill«, ertönte Josellas Stimme, »kommen Sie rasch.
Ein Licht ist da!«
»Was für ein Licht?« fragte ich, aus dem Bett kletternd.
»Draußen. Kommen Sie und sehen Sie sich's an.«
Es war ein Licht. Von ihrem Schlafzimmerfenster, das, meiner Schätzung nach, nach Nordost ging, konnte ich einen hellen Lichtkegel sehen, dem eines Scheinwerfers ähnlich, der unverrückt nach oben zeigte.
»Dort muß doch jemand sein, der sehen kann«, erklärte Josella.
»Sicher«, stimmte ich zu.
Ich versuchte, die Stelle zu bestimmen, von der das Licht ausging, aber die ringsum herrschende Finsternis vereitelte diesen Versuch. Weit weg war es nicht, dessen war ich sicher, und da es mitten im Luftraum zu entstehen schien, kam es vermutlich von einem hohen Gebäude. Ich zögerte.
»Warten wir, bis es Tag ist«, entschied ich.
Eine Wanderung durch die finsteren Straßen hatte nichts Verlockendes.
Ich hockte mich nieder, die Augen in der Höhe des Fensterbretts, und kerbte mit einer Nagelfeile in der Richtung der Lichtquelle eine Linie in das Holz. Dann kehrte ich in mein Zimmer zurück.
Eine Stunde oder länger lag ich wach. Die Nacht vertiefte die Stille und machte die Laute, die sie unterbrachen, trostloser. Von Zeit zu Zeit klangen Stimmen von der Straße herauf, schrill und hysterisch. Einmal gellte ein bluterstarrender Schrei auf, in dem der Irrsinn zu frohlocken schien. Irgendwo in der Nähe ging ein Schluchzen endlos und hoffnungslos fort. Zweimal hörte ich den scharfen Knall von Pistolenschüssen ... Ich fühlte meine Dankesschuld gegenüber dem – was immer es war –, das Josella und mich zusammengeführt hatte.
Alleinsein war jetzt das fürchterlichste. Allein war man nichts. Gemeinschaft hieß, ein Ziel haben, und ein Ziel verscheuchte Angst und Panik.
Um die Laute nicht zu hören, dachte ich an das, was morgen und übermorgen und an den folgenden Tagen getan werden mußte; ich grübelte nach, was wohl der Lichtstrahl bedeuten konnte. Aber das im Hintergrund andauernde Schluchzen mahnte mich an die Dinge, die ich tagsüber gesehen hatte und morgen sehen würde ...
Als die Tür aufging, fuhr ich erschreckt empor. Es war Josella, sie trug eine brennende Kerze. Ihre Augen waren groß und umschattet; sie hatte geweint.
»Ich kann nicht schlafen«, sagte sie. »Ich habe Angst, entsetzliche Angst. Hören Sie sie – all die armen Menschen? Ich kann es nicht ertragen ...«
Sie kam wie ein Kind, das Trost sucht. Ich weiß nicht, wer von uns beiden trostbedürftiger war.
Sie schlief früher ein als ich, mit dem Kopf an meiner Schulter.
Noch immer ließen mir die Bilder des vergangenen Tages keine Ruhe. Endlich kam auch für mich der Schlaf.
Zusammenkunft
Als ich aufwachte, konnte ich Josella schon in der Küche rumoren hören. Auf meiner Uhr war es knapp vor sieben. Während ich mich rasierte und anzog, verbreitete sich der Duft von gerösteten Brötchen und von Kaffee durch die Wohnung. Ich fand Josella bei der Vorbereitung des Frühstücks; sie hielt eine Pfanne über den Petroleumofen. Etwas Selbstsicheres und Praktisches war in ihrem Wesen; keine Spur von den Schrecken der vergangenen Nacht war zurückgeblieben. »Wir müssen mit Kondensmilch vorliebnehmen«, informierte sie mich. »Die Eismaschine steht. Sonst ist alles in Ordnung.« Einen Augenblick lang war es schwierig, in dem zweckmäßig gekleideten Mädchen die Ballsaalerscheinung des vergangenen Abends zu erkennen. Sie trug nun einen dunkelblauen Skianzug, weiße Socken, die über festen Schuhen aufgerollt waren. An einem dunklen Ledergürtel hing ein trefflich gearbeitetes Jagdmesser.
»Tauglich?« fragte sie.
»Und ob«, antwortete ich. Ich sah an mir herunter.
»Ich wollte, ich hätte auch so viel Voraussicht gehabt.
Ein Modeanzug ist nicht das richtige für den Job.«
»Das meine ich auch«, bestätigte sie mit einem kritischen Blick auf meinen zerknüllten Anzug.
»Das Licht von gestern nacht«, fuhr sie fort, »kam vom Turm der Universität; ich bin dessen ziemlich sicher. Es gibt sonst nichts Auffälliges in dieser Richtung. Auch die Entfernung stimmt.«
Ich ging in ihr Zimmer und visierte nach dem Strich, den ich in das Fensterbrett geritzt hatte. Er zeigte wirklich auf den Turm. Und ich gewahrte noch etwas. Vom Fahnenmast auf dem Turm wehten zwei Flaggen. Eine konnte zufällig hängen geblieben sein, bei zweien war das ausgeschlossen; sie ersetzten tagsüber das Signallicht. Beim Frühstück beschlossen wir, das in Aussicht genommene Programm zu ver-tagen und zunächst einmal eine Erkundungsfahrt zu dem Turm zu unternehmen.
Wir verließen die Wohnung eine halbe Stunde später. Wie ich es erwartet hatte, stand unser Lieferwagen unangetastet in der Mitte der Fahrbahn. Wir verstauten Josellas Gepäck hinten unter der Triffidausrüstung und fuhren los.
Wir sahen wenig Leute. Diejenigen, die schon unterwegs waren, hielten sich mehr an den Außenrand der Gehsteige und nicht, wie am Vortag, an die Mauern. Die meisten hatten Stöcke oder Latten in den Händen und tappten auf diese Art die Randsteine entlang.
Unsere Fahrt verlief ohne Zwischenfall, und nach kurzer Zeit bogen wir in die Store Street ein, an deren Ende der Universitätsturm aufragte.
»Langsam«, warnte mich Josella, als wir in die leere Straße einbogen. »Ich glaube, beim Tor stehen Leute.«
Es war so. Als wir näher kamen, sahen wir, daß es eine recht große Anzahl von Leuten war. Solche Ansammlungen waren uns seit dem Vortag unsympathisch. Ich schwenkte in die Gower Street ab, fuhr etwa fünfzig Meter und hielt. »Was glauben Sie, kann dort los sein?« fragte ich. »Rekognoszieren wir, oder hauen wir ab?«