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»Hört her«, sagte ich zu den anderen. »Macht alle kehrt, marschiert gradaus fort. Bleibt beisammen, sonst stehe ich für nichts. Los, vorwärts.«

Ich schloß eine Handschelle auf, befreite mich von der Kette und kletterte über die Mauer in einen Privatgarten. Dort hockte ich nieder und entledigte mich der zweiten Fessel. Dann schlich ich in die andere Gartenecke, um vorsichtig über die Mauer zu spähen.

Der junge Mann mit der Pistole war uns nicht sofort nachgeeilt, wie ich befürchtet hatte. Er stand noch immer bei seinen Leuten und gab ihnen Instruktionen. Wozu auch eilen? Da wir nicht zurückgefeuert hatten, durfte er annehmen, daß wir unbewaffnet waren, und rasch wegkommen konnten wir auch nicht.

Nachdem er mit seinen Anordnungen fertig war, schritt er zuversichtlich auf die Straße bis zu einer Stelle, wo er meinen abziehenden Trupp sehen konnte, und ging ihm nach. An der Ecke blieb er stehen, um meine zwei niedergestreckten Wachthunde zu betrachten. Aus der Kette schien er zu schließen, daß einer von ihnen das Auge meiner Leute gewesen war, denn er steckte die Pistole ein und begann der Schar im Schlenderschritt zu folgen.

Das war nicht, was ich erwartet hatte, und erst nach einer Minute durchschaute ich sein Vorhaben.

Ich erkannte, daß es für ihn am günstigsten war, wenn er meinem Trupp bis zu unserem Hauptquartier nachging, um sich da nach Beute umzusehen. Ich mußte zugeben: er war entweder im Erspähen einer Chance geistesgegenwärtiger als ich, oder hatte die Möglichkeiten, die sich ergeben konnten, gründlicher erwogen. Zum Glück hatte ich meinen Leuten aufgetragen, gradaus fortzumarschieren. Zwar würden sie bald ermüden, aber ich rechnete damit, daß keiner von ihnen imstande war, den Rückweg ins Hotel zu finden und so als unfreiwilliger Führer zu dienen.

Solange sie beisammen blieben, ließen sie sich später alle unschwer sammeln. Die Frage war nur, was tun einem Mann gegenüber, der eine Pistole in der Tasche hatte und sie ungescheut gebrauchte.

In anderen Weltgegenden hätte man in das erstbeste Haus gehen können, das in Sicht war, und durfte sicher sein, irgend eine Feuerwaffe vorzufinden.

Nicht in Hampstead; das war ein ungemein solider Vorort, leider. Vielleicht ließ sich ein Jagdgewehr irgendwo aufstöbern, aber auch das hätte man suchen müssen. Ich vermochte mir weiter nichts auszudenken, als den Rotkopf im Auge zu behalten und auf eine Gelegenheit zu hoffen, wo sich etwas tun ließ. Ich brach mir einen Ast von einem Baum, kletterte über die Gartenmauer zurück und begann, meinen Weg an den Randsteinen entlang zu klopfen, so wie ich es die zahllosen Blinden tun sah, die überall umherwanderten. Die Straße lief eine Strecke weit gerade. Etwa fünfzig Meter vor mir schritt der rotköpfige junge Mann, und wieder fünfzig Meter vor diesem tappte meine Gruppe dahin. Etwas mehr als eine halbe Meile wanderten wir so hintereinander her. Zu meiner Erleichterung machte keiner meiner Leute Miene, in die Straße einzubiegen, die zu unserer Basis führte.

Ich fing an, mich zu fragen, wann sie haltmachen würden, als ein unvorhergesehener Zwischenfall eintrat. Ein Mann, der sich schon eine Zeitlang hinter den anderen hergeschleppt hatte, hielt plötzlich an.

Er ließ seinen Stock fallen, preßte die Arme um seinen Bauch und krümmte sich. Dann fiel er um und wälzte sich vor Schmerz auf dem Boden. Die anderen wanderten weiter. Sie mußten sein Stöhnen gehört haben, ahnten aber anscheinend nicht, daß es von einem der ihren kam.

Der junge Mann blickte zu dem Gestürzten hinüber und trat zögernd näher. Etwa eine Viertelminute lang betrachtete er ihn aufmerksam. Dann zog er langsam und bedächtig die Pistole und schoß ihm durch den Kopf.

Als der Schuß krachte, blieb die Gruppe vorn stehen. Auch ich. Der junge Mann machte keinen Versuch, sie einzuholen – ja, er schien plötzlich alles Interesse an ihr zu verlieren. Er kehrte um und kam mitten auf der Fahrbahn zurückgeschritten. Mich an die Rolle erinnernd, die ich zu spielen hatte, begann ich wieder, meinen Weg vorwärtszutappen. Er ging an mir vorüber, ohne mich zu beachten, aber ich konnte sein Gesicht sehen: es war voll Sorge und von grimmiger Entschlossenheit ... Ich wanderte unentwegt weiter, bis ich ihn ein gutes Stück hinter mir wußte, dann eilte ich zu meinen Leuten, die, durch den Schuß gestört, sich berieten, ob sie weitergehen sollten oder nicht.

Ich machte der Debatte ein Ende, indem ich er-klärte, nun, da ich ohne Fesseln und Wachthunde war, würden wir die Dinge anders anpacken. Ich würde nach etwa zehn Minuten mit einem Lkw zurückkommen, um sie in das Quartier zu fahren.

Die Entdeckung einer zweiten organisierten Gruppe verursachte neue Besorgnisse, doch im Hotel fanden wir alles unverändert. Nur waren noch zwei Männer und eine Frau von heftigen Bauchschmerzen befallen und in das Nachbarhaus gebracht worden.

Wir trafen Verteidigungsvorbereitungen gegen Marodeure, die während meiner Abwesenheit auftauchen konnten. Dann verfrachtete ich einen neuen Trupp auf dem Lkw und fuhr los, diesmal in eine andere Richtung.

Ich war bei meinen früheren Besuchen in Hampstead Heath oft an der Endstelle einer Autobuslinie ausgestiegen, wo sich eine Menge Geschäfte und kleine Läden zusammendrängen. Der Platz ließ sich mit Hilfe meiner Straßenkarte leicht auffinden. Er erwies sich auch als fast unberührt und unbeschädigt.

Drei, vier eingeschlagene Fenster ausgenommen, machte er den Eindruck des Ladenschlusses am Wochenende.

Unterschiede waren freilich da. Eine solche Stille hatte es hier weder wochentags noch sonntags gegeben. Und dann lagen Leichen auf der Straße. Das war ein Anblick, an den ich mich so gewöhnt hatte, daß ich ihn kaum beachtete. Ich wunderte mich sogar, daß es nicht mehr waren, und hatte den Schluß gezogen, daß sich die meisten Leute irgendwohin verkrochen, aus Angst, oder später aus Schwäche. Es war einer der Gründe, weshalb man Hemmungen fühlte, ein Wohnhaus zu betreten. Ich hielt mit dem Wagen vor einem Konsumgeschäft und horchte ein paar Sekunden. Die Stille sank auf uns herab wie eine Decke.

Kein Tappen ließ sich vernehmen, kein wandernder Blinder war zu sehen. Nichts regte sich.

»Okay«, sagte ich. »Hier wird abgestiegen.«

Die versperrte Ladentür stand bald offen. Drinnen fanden wir Butter in Fässern, Käse, Speckseiten, Säcke mit Zucker und anderes mehr, alles in schönster Ordnung und unangetastet. Meine Leute machten sich an die Arbeit. Sie hatten nun schon einige Vorteile heraus und waren sicherer. Ich konnte sie eine Weile allein lassen und mich inzwischen hinten in den Magazinen umsehen; zuletzt stieg ich in den Keller hinab.

Ich musterte unten gerade die Kisten, als von draußen Geschrei erscholl. Gleich darauf trampelten und polterten schwere Schritte über mir. Durch die Falltür kam ein Mann heruntergestürzt, schlug mit dem Kopf auf dem Boden auf und blieb lautlos und reglos liegen. In der Meinung, oben sei ein Kampf mit einem rivalisierenden Trupp entbrannt, stieg ich über den Gestürzten hinweg und kletterte, einen Arm zum Schutz über den Kopf haltend, vorsichtig die leiterähnliche Treppe empor. Das erste, was ich sah, waren stampfende Füße, bedenklich nahe und rücklings auf die Falltür zugedrängt. Ich schnellte heraus, bevor sie über mir waren. In dem Augenblick wurde die Scheibe des Schaufensters eingedrückt. Mit ihr fielen drei Männer in die Auslage. Eine lange grüne Geißel peitschte ihnen nach und traf einen. Die zwei anderen rappelten sich aus dem Getrümmer hoch und stolperten tiefer ins Ladeninnere. Dadurch wurden die anderen weiter zurückgeschoben, und wieder stürzten zwei Männer durch die offene Falltür.

Ein Blick auf die grüne Geißel sagte mir, woran ich war. Im Trubel der letzten Tage hatte ich die Triffids fast vergessen. Von einer Kiste aus konnte ich über die Köpfe der Männer hinwegsehen. Ich hatte drei Triffids im Blickfeld: eine stand draußen auf der Straße, zwei waren auf dem nahen Gehsteig. Vier Männer lagen draußen; regungslos. Nun verstand ich, weshalb wir die Läden unangetastet vorgefunden hatten; und weshalb die Nachbarschaft so ausgestorben war.