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»Hätten sie zu einer großen gehört, hätten sie weniger Nervosität und mehr Neugier gezeigt«, behauptete er. »Aber wenn die Gruppe Beadley in dieser Gegend ist, muß sie irgendwie zu finden sein.« Er wandte sich an den Blonden: »Wie wäre es, wenn wir mit euch kämen? Wir können unser Teil Arbeit leisten, und sollten wir die Gruppe finden, wäre uns allen gedient.«

Die drei blickten einander fragend an, dann nickten sie.

»Gut«, stimmte der Blonde zu. »Helft uns aufladen, und wir fahren.«

Charcot Old House mußte, seinem Aussehen nach, einmal so etwas wie eine Feste gewesen sein. Nun war es im Begriff, wieder eine Feste zu werden. Der ringsum laufende Wassergrabe war zwar vor Zeiten trockengelegt worden, doch Stephen glaubte, das Abflußsystem derart zerstört zu haben, daß der Graben allmählich wieder vollaufen mußte. Die verlandeten Stücke wollte er sprengen, um die frühere Unzu-gänglichkeit herzustellen. Unsere Erklärung, daß dies unnötig war, enttäuschte ihn sichtlich. Das Haus hatte dicke Steinmauern. Wenigstens drei Fenster der Front waren mit Maschinengewehren bestückt, er deutete auf zwei weitere, die auf dem Dach montiert waren. Die Haupteinfahrt beherbergte ein kleines Arsenal von Mörsern und Bomben, darunter, wie er uns stolz zeigte, auch einige Flammenwerfer.

»Wir haben ein Waffenlager aufgestöbert«, erklärte er, »und einen Tag dazu verwendet, die Sachen heranzuschaffen.«

Angesichts dieses gestapelten Kriegsmaterials erkannte ich zum ersten Male, was uns erspart worden war. Wäre die Katastrophe weniger total gewesen und wären zehn oder fünfzehn Prozent der Bevölkerung verschont geblieben, hätten sich Kämpfe kaum vermeiden lassen. Nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge waren Stephens Kriegsvorbereitungen wahrscheinlich überflüssig. Für eine Waffe aber gab es eine Verwendungsmöglichkeit. Ich deutete auf die Flammenwerfer. »Gut gegen Triffids«, sagte ich.

Er grinste.

»Da muß ich Ihnen recht geben. Äußerst wirksam.

Haben uns davon überzeugt. Die einzige Sache, wovor eine Triffid todsicher Reißaus nimmt. Man kann sie in Fetzen schießen, ohne daß sie sich vom Fleck rühren. Wahrscheinlich wissen sie nicht, woher die Schüsse kommen. Aber ein warmer Spritzer aus den Dingern hier, und sie hauen ab, wie vom Teufel gejagt.«

»Haben sie euch viel zu schaffen gemacht?« fragte ich.

War anscheinend nicht der Fall gewesen. Gelegentlich waren zwei oder drei in die Nähe gekommen und mittels der Flammenwerfer vertrieben worden.

Die Begegnungen, die sie auf ihren Ausfahrten hatten, waren glücklich verlaufen; auch hatten sie ihre Fahrzeuge gewöhnlich nur in besiedeltem Gebiet verlassen, wohin sich Triffids selten verirrten.

An diesem Abend stiegen wir alle nach Einbruch der Dunkelheit auf das Dach des Hauses. Es war vor Mondaufgang. Vollkommen schwarz lag das Land unter uns. Nicht das schwächste Lichtpünktchen war zu erblicken. Auch hatte niemand von den Anwesenden jemals bei Tag ein Rauchwölkchen gesehen. Wir gingen wieder in den lampenerhellten Wohnraum hinunter; ich war in gedrückter Stimmung.

»Da bleibt uns nur eines übrig«, sagte Coker. »Wir müssen die Gegend planmäßig durchkämmen.«

Sein Ton war nicht zuversichtlich. Ich nahm an, daß er so wie ich der Meinung war, die Gruppe Beadley würde bei Nacht ein Licht und bei Tag ein anderes Signal zeigen, etwa eine Rauchsäule aufsteigen lassen.

Da niemand einen besseren Vorschlag zu machen hatte, gingen wir daran, an Hand einer Straßenkarte unsere Routen festzulegen, wobei wir uns bemühten, daß es auf jeder einen hochgelegenen Punkt gab, der weiten Ausblick gewährte.

Am folgenden Tag fuhren wir in einem Lastauto in die Stadt, und von da in einem kleineren Wagen auf unsere Suche.

Das war unzweifelhaft der traurigste Tag, seit ich in Westminster nach den Spuren Josellas gesucht hatte.

Der Anfang ließ sich nicht einmal so schlimm an.

Vor mir lag die Straße im Sonnenlicht und die grüne frühsommerliche Landschaft. Noch immer wiesen die Straßentafeln nach ›Exeter and The West‹ und anderen Gegenden, als sei nichts geschehen. Manchmal, wenn auch selten, waren Vögel zu sehen. Und am Straßenrand blühten die Wiesenblumen, wie sie immer geblüht hatten.

Aber das war nur die eine Seite des Bildes. Da waren Felder, wo verendetes Vieh lag oder erblindetes umherirrte und ungewartete Kühe brüllten; wo Schafe, die sich im Dorngestrüpp oder im Stacheldraht verfangen hatten, mutlos und ergeben das Ende erwarteten, während andere verloren grasten oder hungernd umherlagen, mit einem Blick des Vorwurfs in ihren erloschenen Augen.

Gehöfte waren ungute Orte geworden, denen man sich nicht gern näherte. Ich hatte das Wagenfenster aus Sicherheitsgründen ohnedies nur einen zollbreiten Spalt weit offen, aber ich schloß es ganz, sobald ich vor mir ein Bauernhaus neben der Straße auftauchen sah.

Allenthalben waren Triffids zu sehen. Querfeldein stelzend oder reglos in den Hecken lauernd. In mehr als einem Bauernhof hatten sie sich auf dem Dünger-haufen einquartiert und warteten dort, bis die Tierkadaver den nötigen Fäulnisgrad erreichten. Ich empfand nun einen Abscheu vor ihnen wie nie zuvor ...

Widerwärtige fremdartige Gewächse, von einigen von uns geschaffen und von unserer Habgier über die ganze Erde verbreitet. Man konnte sie nicht einmal echte Produkte der Natur nennen; sie waren Züchtungsergebnisse wie gewisse Blumen und Hundearten ... Ich verabscheute sie nun nicht nur wegen ihrer Aasfresserei, sondern mehr noch als die Nutznießer des Unheils, das über uns hereingebrochen war. – Je weiter der Tag; fortschritt, um so mehr vertiefte sich in mir das Gefühl der Verlassenheit. Auf jeder Erhöhung oder Bodenwelle hielt ich an und suchte mit dem Fernglas die Gegend ab. Einmal sah ich Rauch aufsteigen; als ich die Stelle erreichte, fand ich einen auf freier Strecke ausgebrannten Zug – mir bis heute unerklärlich, denn es war niemand in der Nähe. Ein andermal eilte ich in ein Haus, von dem eine Flagge wehte: ich fand es still – doch nicht leer. Dann wieder sah ich auf einer fernen Berglehne etwas Weißes flattern; das Glas zeigte, daß es ein halbes Dutzend Schafe waren, von panischer Angst im Kreis gejagt, während eine Triffid unablässig und erfolglos auf ihre wolligen Rücken lospeitschte. Und nirgends die Spur eines lebenden menschlichen Wesens. In den Haltepausen aß ich hastig, die lastende Stille bedrückte mich, und ich war froh, daß mir beim Fahren wenigstens die Motorengeräusche Gesellschaft leisteten.

Und dann begann die Einbildung ihr Spiel. Einmal glaubte ich, jemand aus einem Fenster winken zu sehen, beim Näherkommen stellte sich heraus, daß es ein vor dem Fenster schwankender Zweig war. Mitten in einem Feld sah ich einen Mann stehenbleiben und sich nach mir umdrehen; das Glas zeigte mir, daß er weder stehengeblieben war, noch sich umgedreht haben konnte: es war eine Vogelscheuche.

Dann vernahm ich Stimmen, die mich anriefen und das Motorengeräusch übertönten; ich hielt an und schaltete aus. Die Stimmen schwiegen; nichts war zu hören als die von weither kommenden Klagelaute einer ungemolkenen Kuh.

Ich stellte mir vor, daß es im Land verstreut Menschen geben mochte, die glaubten, daß sie vollkommen allein und die letzten Überlebenden waren. Sie schienen mir zu den bedauernswertesten Opfern der Katastrophe zu gehören.

Mit wenig Hoffnung setzte ich während des Nachmittags meine Kreuz- und Querfahrten durch den mir zugewiesenen Abschnitt fort, um meine innere Gewißheit bestätigt zu finden. Zuletzt war ich überzeugt, wenn es hier eine größere Gruppe gab, verbarg sie sich vorsätzlich. Ich hatte zwar nicht jede Nebenstraße befahren können, aber meine lautstarke Hupe war überall in meinem Sektor zu hören gewesen: das konnte ich beschwören. Ich machte endlich Schluß und fuhr zu unserem Parkplatz zurück. In der düstersten Stimmung meines Lebens. Da noch keiner von den anderen da war, suchte ich das nächste Wirtshaus auf, um mir mit einem kräftigen Schluck Brandy die innere Kälte zu vertreiben.