Dann traf Stephen ein. Die Fahrt schien auf ihn ähnlich wie auf mich gewirkt zu haben, denn auf meinen fragenden Blick schüttelte er nur den Kopf und griff nach der Flasche, die ich geöffnet hatte.
Zehn Minuten später gesellte sich der Radiohändler zu uns. Er brachte einen verwahrlosten, wirr blickenden, jungen Mann mit, der sich offenbar seit Wochen weder gewaschen noch rasiert hatte und auf der Straße zu Hause war. Dieser Walzbruder hatte eines Abends, an das Datum erinnerte er sich nicht mehr, sein Nachtquartier in einer komfortablen Scheune aufgeschlagen und war, da er einen langen Marsch hinter sich hatte, sofort eingeschlafen. Am nächsten Morgen war alles wie ein Alptraum gewesen, und auch jetzt wußte er nicht recht, ob er verrückt war oder die Welt. Einen kleinen Dachschaden hatte er jedenfalls, aber wozu Bier gut war, war ihm noch klar.
Eine halbe Stunde später erschien Coker. Mit einem jungen Wolfshund und einer unwahrscheinlich alten Dame. Sie blieb höflich an der Schwelle stehen, während Coker sie vorstellte.
»Darf ich euch mit Mrs. Forcett bekannt machen, Alleininhaberin des Kaufhauses von Chippington Durney, ein Ort mit zehn Häusern, zwei Wirtshäusern und einer Kirche. Und Mrs. Forcett kann kochen. Junge, kann sie kochen!«
Mrs. Forcett grüßte mit Würde, trat mit Anstand ein, nahm langsam Platz und ließ sich ein Glas Portwein aufnötigen und dann ein zweites.
Auf unsere Frage bekannte sie, daß sie an dem verhängnisvollen Abend und in der folgenden Nacht ungewöhnlich fest und tief eingeschlafen war. Da niemand gekommen war, sie zu wecken, hatte sie noch den nächsten halben Tag verschlafen. Als sie dann aufstand und zur Tür ging, hatte sie im Garten eins dieser abscheulichen Triffiddinger gesehen und einen Mann, der knapp vor dem Eingang lag. Sie war im Begriff, zu ihm hinauszugehen, als die Triffid sich regte; sie hatte die Tür gerade noch zuschlagen können.
Und dann hatte sie gewartet, daß jemand kommen werde, um sowohl die Triffid wie den Mann fortzuschaffen. Und das hatte erstaunlich lange gedauert, zum Glück fand sie alles, was sie brauchte, in ihrem Laden. Sie hatte noch immer gewartet, erklärte sie, als Coker, durch den aus dem Schornstein aufsteigenden Rauch aufmerksam geworden, die Triffid mit einem Schuß geköpft und dann Nachschau gehalten hatte.
Sie hatte ihn bewirtet, und er hatte ihr als Entgelt seinen Rat gegeben. Es war nicht leicht gewesen, ihr die Lage klarzumachen. Er hatte ihr zuletzt empfohlen, sich im Dorf umzusehen, aber vor Triffids in acht zu nehmen, er werde um fünf nochmals vorüberkommen und sich Bescheid holen. Bei seiner Rückkehr hatte er sie in Reisekleidern und mit ihrem Gepäck abmarschbereit gefunden.
In Charcot Old House versammelten wir uns an diesem Abend wiederum vor dem Kartentisch. Coker begann, neue Abschnitte für die Suche einzuzeichnen.
Wir schauten ihm zu. Ohne Begeisterung. Da sagte Stephen, was wir alle dachten, ich glaube, auch Coker selbst:
»Fünfzehn Meilen in der Runde haben wir nun das ganze Gebiet durchsucht. In der näheren Umgebung sind sie nicht, das ist klar. Entweder seid ihr falsch informiert oder sie sind von hier weitergefahren. Meiner Meinung nach wäre es Zeitverschwendung, so wie heute weiterzusuchen.«
Coker legte den Zirkel, den er benützt hatte, nieder.
»Haben Sie einen anderen Vorschlag?«
»Ich glaube, wir könnten dieses Gebiet weit schneller und nicht weniger gründlich aus der Luft absuchen. Ich wette, jeder, der ein Flugzeug hört, wird ins Freie kommen und ein Zeichen geben.«
Coker schüttelte den Kopf. »Daran hätten wir schon früher denken können. Es müßte natürlich ein Hubschrauber sein – aber wo nehmen wir einen her, und wer soll ihn fliegen?«
»Oh, das getraue ich mir schon zu machen«, sagte der Radiomann zuversichtlich.
»Haben Sie schon einmal einen geflogen?« fragte Coker.
»Noch nicht«, gestand der Radiomann, »aber ich glaube, es wird keine Hexerei sein, wenn man den Kniff heraus hat.«
»Hm«, brummte Coker und sah ihn etwas von der Seite an. Stephen entsann sich, daß die R.A.F. hier in der Nähe zwei Flugplätze hatte und daß von Yeovil aus Rundflüge veranstaltet worden waren.
Unser Mißtrauen erwies sich als unberechtigt. Der Radiomann hielt Wort. Er konnte sich anscheinend auf seinen Instinkt für technische Dinge verlassen.
Nachdem er eine halbe Stunde lang geübt hatte, stieg er mit dem Hubschrauber auf und flog ihn nach Charcot zurück.
Vier Tage hintereinander zog die Maschine immer weitere Kreise über dem Land. Zwei Tage war Coker Beobachter, die anderen zwei ich. Wir entdeckten insgesamt zehn Gruppen. Keine wußte etwas von Beadley, in keiner traf ich Josella. Sobald wir eine solche Gruppe auffanden, landeten wir. Gewöhnlich waren es nur zwei, drei Personen. Die größte bestand aus sieben. Empfangen wurden wir mit hoffnungsvoller Erregung, doch sobald sich zeigte, daß wir nur die Repräsentanten einer weiteren kleinen Gruppe waren und nicht das Vorkommando eines Unternehmens im großen Stil, flaute das Interesse rasch ab.
Wir konnten ihnen wenig bieten, was sie nicht schon hatten. Einige machten ihrer Enttäuschung in sinnlosen Beschimpfungen und Drohungen Luft, die meisten sanken zurück in ihre Verzagtheit. Sie hatten, in der Regel, wenig Lust, sich an andere Gruppen anzu-schließen, und waren eher geneigt, möglichst bequeme Zufluchtstätten für sich einzurichten, um da die Ankunft der Amerikaner abzuwarten, die ja einmal kommen mußten. Das war ein weitverbreiteter und, wie es schien, unausrottbarer Glaube. Unser Einwand, die überlebenden Amerikaner würden bei sich daheim alle Hände voll zu tun haben, wurde als De-faitismus und Miesmacherei abgetan. Den Amerikanern, erklärte man uns, könne so etwas einfach nicht passieren. Wir ließen dennoch bei jeder Gruppe eine Karte zurück, wo die Positionen der übrigen von uns entdeckten Gruppen eingezeichnet waren, für den Fall, daß sie anderen Sinnes würden und gemeinsam etwas unternehmen wollten.
An sich waren die Flüge alles eher als eine Unterhaltung, den einsamen Autofahrten über Land aber immerhin vorzuziehen. Als auch der vierte Tag kein Ergebnis brachte, wurde beschlossen, die Suche einzustellen.
Zumindest beschlossen das die anderen. Bei mir lagen die Dinge anders. Ich hatte hier persönliche Motive, sie nicht. Für sie waren die Gesuchten Fremde, für mich war die Gruppe Beadley Mittel, nicht Zweck. Ich war, falls ich Josella dort nicht fand, entschlossen, weiterzusuchen. Das konnte ich von den anderen nicht verlangen.
Seltsam. Bisher hatte ich niemand getroffen, der irgendwen suchte. Alle, Stephen und seine Freundin ausgenommen, waren von Freunden und Verwandten und dem, was sie mit der Vergangenheit verband, losgerissen und im Begriff, ein neues Leben mit fremden Menschen zu beginnen. Nur ich, soviel ich sehen konnte, hatte sogleich eine neue Verbindung angeknüpft – und in so kurzer Zeit, daß mir gar nicht bewußt geworden war, wieviel sie für mich bedeutete ...
Nachdem der Beschluß, die Suche aufzugeben, feststand, sagte Coker:
»Gut. Und nun fragt sich, was wir für uns selber tun wollen.«
»Vorräte sammeln für den Winter und leben wie bisher. Was sollten wir sonst tun?« fragte Stephen.
»Ich habe mir die Sache durch den Kopf gehen lassen«, erklärte Coker. »Möglich, daß wir noch eine Weile so leben können – aber was dann?«
»Falls uns die Vorräte einmal ausgehen sollten, liegen ja noch massenhaft Sachen herum«, meinte der Radiomann.
»Und die Amerikaner werden ja vor Weihnachten da sein«, bemerkte Stephens Freundin.
»Lassen wir die Amerikaner eine Zeitlang aus dem Spiel«, empfahl ihr Coker. »Versuchen Sie, sich eine Welt vorzustellen, in der es keine Amerikaner gibt.«
Das Mädel starrte ihn an.
»Aber es muß sie doch geben«, entgegnete sie.