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Coker seufzte schwer. Dann wandte er sich zu dem Radiomann.

»Diese Vorräte werden nicht immer da sein. Wie ich die Dinge sehe, haben wir nur einen günstigen Start in einer neuen Welt. Kapital für den Anfang, nicht für ewig. Gewiß, wir können das, was da ist, nicht aufessen, auch nicht in Generationen – wenn es haltbar wäre. Es ist aber nicht haltbar. Eine Menge davon wird schnell schlecht. Schon jetzt. Und nicht bloß Lebensmittel. Langsam und sicher geht alles zugrunde. Wenn wir nächstes Jahr etwas Frisches haben wollen, müssen wir selber anbauen, und die Zeit wird kommen, wenn es auch noch so lang dauern mag, wo wir alles selber anbauen müssen. Ja, es wird eine Zeit kommen, wo alle Traktoren Alteisen sind, der Treibstoff ohnedies aus ist und wir zu den Pferden zurückkehren – falls noch welche da sind.

Was wir jetzt erleben, ist eine Pause – eine gottgeschenkte Pause –, während der wir über den ersten Schock hinwegkommen und uns sammeln können, aber es ist nur eine Pause. Später werden wir pflügen müssen, noch später lernen, wie man Pflugscharen macht, und noch später, wie man das Eisen für diese Pflugscharen gewinnt. Wir sind nun auf einer Straße, die uns weiter und weiter zurückführt, immer weiter zurück, bis wir wieder imstande sind, alles herzustellen, was wir verbrauchen. Erst wenn wir so weit sind, können wir auf diesem Rückzug in die Urzeit haltmachen und vielleicht wieder langsam aufwärtskriechen.«

Er blickte im Kreis umher, um zu sehen, ob wir ihm folgten. »Wir können es – wenn wir wollen. Das Wertvollste bei unserem jetzigen Start ist Wissen. Es ist der Vorsprung, den wir vor unseren Vorfahren voraushaben. Wir haben alles in den Büchern stehen und brauchen es nur nachzulesen.«

Alle sahen Coker neugierig an. Von seiner oratori-schen Seite kannten sie ihn noch nicht.

»Nun«, fuhr er fort, »soviel ich aus der Geschichte lernen konnte, braucht man für das Wissen Muße.

Wo jeder gezwungen ist, für seinen Lebensunterhalt schwer zu arbeiten, und für das Denken keine Muße bleibt, versumpft das Wissen und der Mensch mit ihm. Das Denken ist hauptsächlich das Geschäft von Leuten, die nicht unmittelbar produktiv sind – von Leuten, die scheinbar von der Arbeit anderer leben, tatsächlich aber langfristig angelegtes Kapital sind.

Wissen ist in den Städten und in großen Organisatio-nen entstanden, die von den Arbeitenden erhalten werden mußten. Stimmt ihr dem bei?«

Stephen furchte die Brauen.

»Mehr oder weniger – ich sehe nur nicht, wo das alles hinaus soll?«

»Es geht um das Wirtschaftsvolumen. Eine kleine Gemeinschaft wie die unsere wird nur dahinvegetie-ren und langsam absterben. Bleiben wir hier unser zehn – so wie wir sind – beisammen, ist ein allmählicher Verfall das unvermeidliche Ende. Werden uns Kinder geboren, können wir uns von der Arbeitszeit nur so viel abknappen, um ihnen die notdürftigste Erziehung zu geben; schon die nächste Generation wird aus Wilden bestehen, oder aus Klötzen. Wenn wir uns behaupten und das in, den Bibliotheken angesammelte Wissen nutzen wollen, brauchen wir den Lehrer, den Arzt und den Anführer, und müssen imstande sein, sie zu erhalten, während sie uns helfen.«

»Und?« sagte Stephen nach einer Pause.

»Ich habe an das Schloß in Tynsham gedacht, wo Bill und ich auf Besuch waren. Wir haben euch davon erzählt. Die Frau, die dort das Ganze zu leiten versucht, braucht Hilfe, und zwar dringend. Sie hat für fünfzig oder sechzig Leute zu sorgen, von denen etwa ein Dutzend sehen können. So wie es jetzt dort steht, kann sie es nicht schaffen. Das weiß sie selbst, wenn sie es auch uns gegenüber nicht zugeben wollte.

Wollte sich nichts vergeben und hat uns deshalb nicht zum Bleiben eingeladen. Wäre aber heilfroh, wenn wir zurückkämen und uns aufnehmen ließen.«

»Herrgott«, sagte ich. »Sie wird uns doch nicht absichtlich auf eine falsche Fährte geschickt haben?«

»Weiß ich nicht. Vielleicht tue ich ihr unrecht; merkwürdig ist es jedenfalls, daß wir hier rein gar nichts von Beadley & Co. gesehen und gehört haben, nicht? Sei dem wie immer, es kommt nun auf dasselbe heraus: denn ich habe mich entschlossen, zurück-zugehen. Und zwar vor allem aus zwei Gründen.

Einmal deshalb, weil es dort, wenn niemand die Sache fest in die Hand nimmt, zu einem Zusammenbruch kommt, was ein Jammer und eine Schande wäre für alle. Und dann sind die Bedingungen dort günstiger als hier. Es ist eine Bauernwirtschaft dabei, die sich leicht in Ordnung bringen läßt; die ganze Anlage ist abgeschlossen, kann aber nötigenfalls erweitert werden. Hier gäbe das alles viel mehr Arbeit.

Und was noch wichtiger ist, das ganze ist groß genug, daß Zeit bleibt für Schulung – Schulung sowohl der Blinden, die jetzt dort sind, wie der sehfähigen Kinder, die später geboren werden. Ich glaube, daß dort etwas getan werden kann, und will daher mein Bestes tun – und wenn es der hochmütigen Miß Durrant nicht paßt, kann sie von mir aus ins Wasser springen.

Der entscheidende Punkt ist nun der. Ich glaube, ich könnte es schaffen – so wie es jetzt dort steht –, aber ich weiß, wenn wir alle hinübergingen, können wir es in ein paar Wochen schaffen. Wir wären dann in einer Gemeinschaft, die weiterwächst und verdammt gute Aussicht hat, sich zu behaupten. Die Alternative ist: innerhalb einer kleinen Gruppe bleiben, die mit der Zeit immer kleiner wird und verlassener.

Wofür wollt ihr euch entscheiden?«

Man debattierte etwas und erkundigte sich nach Einzelheiten, aber die Entscheidung war nicht zweifelhaft. Die mit uns auf der Suche gewesen waren, hatten einen Begriff bekommen von der schrecklichen Verlassenheit, der man anheimfallen konnte. Niemand hatte eine besondere Vorliebe für den gegenwärtigen Aufenthaltsort. Er war einzig und allein wegen seiner Verteidigungsmöglichkeiten gewählt worden und wies sonst keinerlei Vorzüge auf. Und die meisten glaubten, die immer drückender werdende Last der Einsamkeit schon jetzt zu spüren, so daß der Gedanke an eine zahl- und abwechslungsrei-chere Gesellschaft bereits an sich als Lockung wirkte.

Nach einer Stunde wurde über Transportfragen und Einzelheiten des Umzugs diskutiert, womit Cokers Vorschlag so gut wie angenommen war. Nur Stephens Freundin hatte Bedenken. »Dieses Tynsham – es ist auf den meisten Karten wohl gar nicht eingezeichnet?« fragte sie mißtrauisch.

»Keine Sorge«, beruhigte sie Coker. »Die Amerikaner haben Spezialkarten.«

Irgendwann in den Morgenstunden des folgenden Tages entschied ich mich dafür, nicht mit den anderen nach Tynsham zu fahren. Später vielleicht, doch nicht jetzt ...

Zuerst hatte ich sie begleiten wollen, und sei es nur, um aus Miß Durrant herauszukriegen, wohin sich die Gruppe Beadley tatsächlich gewendet hatte. Aber dann mußte ich mir wieder sagen, daß ich gar nicht wußte, ob Josella bei ihnen war – ja, daß alles, was ich bisher erfahren hatte, dagegen sprach. Sie war nicht durch Tynsham gekommen, das stand wohl fest.

Wenn sie die Gruppe nicht gesucht hatte, wohin konnte sie gefahren sein? Oder gab es im Universitätsgebäude eine zweite Adresse, die ich übersehen hatte? Höchst unwahrscheinlich ...

Und da durchzuckte es mich mit Blitzeshelle, und ich erinnerte mich an unser Gespräch in der geka-perten Wohnung. Ich sah Josella wieder vor mir sitzen im blauen Abendkleid und die Diamanten im Licht der Kerzen auffunkeln, während wir sprachen

... »In den Sussex Downs vielleicht? – Ich kenne an der Nordseite ein nettes altes Bauernhaus ...« Und da wußte ich, was ich zu tun hatte ...

Ich sprach darüber am Morgen mit Coker. Er war verständnisvoll, aber offensichtlich bestrebt, meine Hoffnungen nicht übermäßig zu steigern.

»Okay. Halten Sie das, wie es Ihnen am besten scheint«, meinte er. »Ich hoffe nur – nun, Sie wissen ja, wo wir sind, und ihr könnt beide nach Tynsham nachkommen und mithelfen, das Weib dort zur Vernunft zu bringen.«