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»Fragt sich nur, wann?« entgegnete Josella. »In Generationen? Vielleicht erst lange nach unserer Zeit.

Nein – wir sind die Überlebenden einer untergegangenen Welt ... Wir müssen von vorn anfangen, ohne auf Hilfe zu rechnen ...«

Sie hielt inne. Eine seltsame Leere, wie ich sie nie zuvor bei ihr gesehen hatte, kam in ihr Gesicht.

»Liebes ...«, sagte ich.

»Oh, Bill, Bill, ich bin nicht geschaffen für ein solches Leben. Wenn du nicht da wärst, ich ...«

»St, mein Kind«, beruhigte ich sie und strich über ihr Haar. Nach einigen Augenblicken erlangte sie ihre Fassung wieder.

»Verzeih mir, Bill. War Selbstbemitleidung ... widerwärtig. Wird nicht mehr vorkommen.«

Sie betupfte ihre Augen mit dem Taschentuch.

»Also werde ich eine Farmersfrau sein. Jedenfalls freue ich mich, daß ich deine Frau bin, Bill – wenn wir auch keine richtige Hochzeit gehabt haben.«

Verengte Welt

Von da an führte ich ein Journal. Tagebuch, Vorratsliste und Notizkalender in einem. Darin finden sich Aufzeichnungen über meine Fahrten, über die eingeholten Waren, ihre Menge und Herkunft; Anmerkungen darüber, was wegen leichter Verderblichkeit bevorzugt abtransportiert werden mußte. Lebensmittel, Brennstoff und Saatgut waren ständig gesucht, doch nicht nur sie allein. Die Eintragungen verzeichneten die verschiedensten Dinge: Kleider, Werkzeug, Hausleinen, Pferdegeschirr, Küchengerät, Holzpfähle, Draht, Draht und nochmals Draht, auch Bücher.

Ich sehe hier, daß ich in der Woche nach meiner Rückkehr aus Tynsham mit der Aufstellung eines Drahtzaunes begann zur Sicherung gegen die Triffids. Garten und Haus waren zwar schon durch Sperren geschützt, doch nun wollte ich ein größeres Gebiet einzäumen. Zu diesem Zweck mußte ein starker äußerer Drahtzaun gezogen werden und ein schwächerer, innerer, der verhüten sollte, daß man unversehens dem Hauptzaun zu nahe kam und in den Bereich der Giftstacheln. Es war eine mühsame, langwierige Arbeit, die Monate dauerte. Gleichzeitig suchte ich mir die Grundbegriffe der Landwirtschaft anzueignen. Keine Sache, die man leicht aus Büchern erlernt. Schon deshalb nicht, weil anscheinend kein Lehrbuchverfasser auf die Idee gekommen ist, ein angehender Landwirt könne wirklich ganz von vorn anfangen. Alle diese Werke begannen daher für mich gleichsam in der Mitte und setzten ein Wissen und eine Terminologie voraus, über die ich nicht verfügte.

Angesichts der Praxis, um die es hier ging, waren meine biologischen Spezialkenntnisse so gut wie wertlos. Die Theorie verlangte Materialien und Substanzen, die für mich entweder unerreichbar waren oder, falls ich sie fand, unerkennbar. Nach Streichung alles dessen, was in kurzer Zeit nicht mehr zu haben war, wie Kunstdünger, Futtermittel aus dem Ausland und kompliziertere Maschinen, sah ich sehr bald, daß die Erträge unsicher bleiben und viel Schweiß und Mühe kosten würden.

Mit Buchwissen allein läßt sich weder im Pfer-destall noch in der Milchkammer oder im Schlachthaus viel anfangen. Auch kann man nicht in jeder Situation einfach das einschlägige Kapitel nachlesen.

Die Wirklichkeit ist von bestürzender Vielfalt, die Abweichungen sind zahlreich, Bücher vereinfachen.

Zum Glück hatten wir Zeit genug, um Fehler zu machen und aus ihnen zu lernen. Nach Jahren erst waren wir auf die eigenen Kräfte angewiesen; wir brauchten über Fehlschläge nicht zu verzweifeln.

Noch gab es Vorräte in Fülle.

Aus Sicherheitsgründen wartete ich ein volles Jahr, ehe ich wieder nach London fuhr. Es war das ergiebigste Gebiet für meine Beutezüge, aber auch das trostloseste. Noch immer erweckte die tote Stadt den Eindruck, als bedürfe es nur der leichten Berührung mit einem Zauberstab, um sie ins Leben zurückzurufen, obwohl viele Fahrzeuge in den Straßen anfingen, rostig zu werden. Ein Jahr später waren die Änderungen auffälliger. Große Mörtelstücke hatten sich von den Fassaden gelöst und waren auf die Gehsteige gestürzt. Dachziegel und Trümmer von Schornsteinen lagen auf den Straßen. Gras und Unkraut hatten sich in den Gossen festgesetzt und verlegten die Abflußrinnen. Laub verstopfte die Dachtraufen, und in den Ritzen und in den verschlammten Röhren wuchs noch mehr Gras, ja sogar kleines Strauchwerk. Fast jedes Gebäude trug eine grüne Perücke, unter welcher das nasse Dachgebälk faulte. Durch viele Fenster sah man eingestürzte Zimmerdecken, herabhängende Tapeten und feuchtglitzernde Wände. Gärten und Parkanlagen waren verwildert und wucherten über die angrenzenden Straßen. Überall sproßte, trieb und grünte es; aus Pflasterfugen und Betonrissen, selbst aus den Sitzen der verlassenen Fahrzeuge. Von allen Seiten drängten und rückten die Gewächse herbei, die Plätze wieder in Besitz zu nehmen, von denen der Mensch sie vertrieben hatte. Und seltsam, so wie das Leben die Oberhand gewann, verlor das Bild den bedrückenden Charakter. Es entfernte und milderte sich, war nicht mehr gespenstische Gegenwart, sondern Vergangenheit, Geschichte.

Meine erste Probefahrt dorthin unternahm ich allein; zurück brachte ich Kisten mit Triffidbolzen, Papier, Maschinenteile, die von Dennis so heiß begehrten Bücher in Blindenschrift und die Schreibmaschi-ne, einige Luxuswaren, wie Getränke, Süßigkeiten, Grammophonplatten, und noch mehr Bücher für uns alle. Eine Woche später begleitete mich Josella auf eine mehr praktische Suche nach Wäsche und Kleidern, nicht nur oder nicht in erster Linie für uns Erwachsene, sondern für Marys Baby und das, welches sie nun selbst erwartete. Der Besuch verursachte einen Schock und blieb ihr einziger.

Ich fuhr weiterhin von Zeit zu Zeit in die tote Rie-senstadt, die eine oder andere benötigte Seltenheit zu holen, und nahm bei dieser Gelegenheit immer einige Luxusgegenstände mit. Nie bekam ich etwas zu sehen, das sich bewegte, ein paar Spatzen und vereinzelte Triffids ausgenommen.

Es war am Ende des vierten Jahres, als ich meinen letzten Ausflug dorthin machte und einsehen mußte, daß diese Fahrten nun mit Wagnissen verbunden waren, die ich nicht auf mich nehmen durfte. Die erste Warnung war ein Donnergetöse hinter mir, irgendwo in einem inneren Stadtteil. Ich hielt meinen Lastwagen an und blickte zurück, wo eine Staubwolke von einem Trümmerhaufen aufstieg, der quer über der Straße lag. Offenbar hatte die Erschütterung, die mein Fahrzeug verursachte, einer wackligen Fassade den letzten Stoß gegeben. Ich brachte keine weiteren Häuser zum Einsturz an diesem Tag, verlebte ihn aber in ständiger Angst vor einer neuen Schuttlawine. In der Folgezeit besuchte ich nur kleinere Orte, und gewöhnlich zu Fuß.

Brighton, welches unsere nächste und ergiebigste Bezugsquelle gewesen wäre, ließ ich unbesucht. Zur Zeit, da ich es für besuchsreif hielt, hatten dort schon andere das Kommando übernommen. Wer und wie viele, blieb mir unbekannt. Ich fand die Zufahrtsstraße durch eine aus Steinen aufgeschichtete, primitive Barrikade verrammelt und mit der aufgemalten Warnung versehen:

ACHTUNG! SPERRZONE!

Dieser Ankündigung verlieh ein Gewehrschuß Nachdruck, der den Staub vor meinem Wagen aufspritzen ließ. Niemand war in Sicht, mit dem man hätte unterhandeln können – freilich war es ja auch keine Sache für Unterhandlungen.

Ich machte kehrt und fuhr nachdenklich zurück.

Ich fragte mich, ob nicht eine Zeit kommen würde, wo die Verteidigungsmaßnahmen des Mannes Stephen sich vielleicht doch nicht als völlig überflüssig erweisen würden. Jedenfalls holte ich vorsichtshalber ein paar Maschinengewehre und Mörser aus dem Lager, das uns die Flammenwerfer geliefert hatte, die wir gegen die Triffids verwendeten.

Im November dieses zweiten Jahres kam Josellas erstes Baby zur Welt. Es war ein Knabe, und wir nannten ihn David. Meine Freude an ihm war zuzeiten nicht ungetrübt, wenn ich an die Welt dachte, die wir ihm hinterlassen würden. Josella beunruhigte das weit weniger als mich. Sie war glücklich mit ihm. Er schien sie für vieles zu entschädigen, was sie verloren hatte, und paradoxerweise machte sie sich nun über die ungewisse Zukunft weniger Sorgen als früher. Jedenfalls war er ein kräftiger Junge, dem man schon einige Standfestigkeit zutrauen durfte. Ich unterdrückte daher meine Befürchtungen und verwendete meine ganze Arbeitskraft auf das Ackerland, das uns alle einmal ernähren mußte.