Nach einem Jahr beurteilten sowohl Michael wie der Oberst einen Aufenthalt auf lange Sicht höchst ungünstig. Es war schon viel Arbeit aufgewendet worden, doch am Ende des zweiten Sommers wurde der Beschluß zum Umzug gefaßt. Beim Aufbau einer Gemeinschaft mußte auf Jahre hinaus geplant werden. Auch war zu bedenken, daß der Umzug schwieriger wurde, je länger man zögerte. Was sie brauchten, war ein Gebiet, wo sie sich ausbreiten und entwickeln konnten; ein Gebiet mit natürlichen Verteidi-gungslinien, das sich, war es einmal von Triffids gesäubert, leicht freihalten ließ. Wo sie jetzt waren, nahm die Instandhaltung der Drahtzäune einen hohen Prozentsatz der Arbeitskraft in Anspruch. Und wuchs die Kopfzahl, mußten auch die Zäune verlängert werden. Klar, den besten natürlichen Schutz bot das Wasser. Inseln. Man hatte eine Diskussion abgehalten, wo das Für und Wider besprochen wurde.
Hauptsächlich des Klimas wegen hatte man sich zuletzt für die Insel Wight entschieden, trotz böser Vorahnungen hinsichtlich des Gebietes, das zu säubern sein würde. Sie hatten also im März des folgenden Jahres wieder gepackt und waren umgezogen.
»Als wir ankamen«, sagte Ivan, »schien es da noch mehr Triffids zu geben als an unserm früheren Aufenthaltsort. Kaum hatten wir uns in einem großen Landhaus in der Nähe von Godshill ein bißchen eingerichtet, als sie sich zu Tausenden um die Mauern versammelten. Wir ließen sie zwei Wochen lang kommen, dann fielen wir mit den Flammenwerfern über sie her.
Nachdem wir diesen ersten Haufen vernichtet hatten, ließen wir einen zweiten zusammenkommen und veranstalteten dann ein neues Massaker – und so fort. Wir konnten es uns leisten, gründlich zu Werk zu gehen, denn sobald die Säuberung durchgeführt war, brauchten wir die Werfer nicht mehr. Auf der Insel konnte es nur eine begrenzte Anzahl Triffids geben, und je mehr herbeikamen, um sich vertilgen zu lassen, um so lieber war es uns.
Doch erst nachdem wir dieses Gemetzel ein dutzendmal wiederholt hatten, stellte sich eine spürbare Wirkung ein. Wir hatten einen Ring von verkohlten Stümpfen um das Haus, bevor sie anfingen, scheu zu werden.
Es waren verteufelt mehr, als wir erwartet hatten.«
»Auf der Insel gab es mindestens ein halbes Dutzend Kulturen zur Aufzucht von Qualitätssorten – die in Parks und Privatgärten nicht gerechnet«, sagte ich.
»Das überrascht mich nicht. Es konnten, wie es dort aussah, hundert Kulturen sein. Vorher hätte ich die Gesamtzahl der Dinger im ganzen Land auf einige Tausend geschätzt, es müssen aber Hunderttausende gewesen sein.«
»Waren es auch«, sagte ich. »Sie wuchsen praktisch überall, und sie warfen einen netten Gewinn ab. Man sah nicht, wie viele es waren. Solange sie angepflockt und eingesperrt waren. Dennoch müssen, nach der Menge hier herum zu schließen, jetzt ganze Landstri-che von ihnen frei sein.«
»So ist es«, bestätigte er. »Aber gehen Sie hin und leben Sie dort, und in ein paar Tagen sammeln sie sich. Man kann es vom Flugzeug aus sehen. Ich hätte gewußt, daß hier jemand wohnte, auch ohne Susans Feuer. Sie bilden einen dunklen Saum um jede be-wohnte Stelle.
Nach und nach begannen sich die Scharen um unsere Mauern zu lichten. Vielleicht fanden sie die Gegend doch ungesund, oder es war ihnen unangenehm, auf den verkohlten Überresten ihrer Artgenossen herumzutrampeln – und natürlich waren sie weniger geworden. Wir fingen daher an, sie zu jagen, statt auf sie zu warten. War monatelang unser Hauptgeschäft. Wir kämmten die Insel Zoll für Zoll durch – oder glaubten, es getan zu haben. Glaubten, es sei uns keine, ob groß oder klein, durch die Maschen geschlüpft. Dennoch fanden wir einige im nächsten Jahr, und auch noch im übernächsten. Nun veranstalten wir jeden Frühling eine gründliche Suche, damit sich kein Same festsetzen kann.
Inzwischen ging unsere Organisationsarbeit weiter.
Am Anfang waren wir unser fünfzig oder sechzig. Ich unternahm mit dem Hubschrauber kurze Rundflüge, und wo ich die Spuren einer Gruppe sah, landete ich und lud ein, wer mitkommen wollte. Einige schlossen sich uns an – aber eine überraschende Zahl war einfach uninteressiert: sie waren das Regiertwerden satt und wollten, ungeachtet ihrer Nöte, nichts mehr davon wissen. In Südwales haben sich einige zu einer Art von Stammesgemeinschaften zusammengetan und lehnen jede Organisation ab, bis auf das Mindestmaß, das sie selber eingeführt haben. Ähnliche Gruppen findet man auch in der Nähe anderer Kohlenreviere. Die Führer sind gewöhnlich die Männer, die in der Schicht unter Tag waren und daher die grünen Sterne nicht sahen – weiß Gott, wie sie aus den Schächten kamen.
Einige lehnen jede Einmischung so entschieden ab, daß sie das Flugzeug beschießen – eine Gruppe dieser Art residiert in Brighton.«
»Weiß ich«, sagte ich, »wurde auch mit einem Warnungsschuß empfangen.«
»In jüngster Zeit gibt es mehrere dieser Art. In Maidstone, in Guildford und anderswo. Sie waren der Grund, warum wir Ihr Versteck hier nicht schon früher entdeckt haben. Die Gegend schien bei näherer Besichtigung nicht sehr gesund. Ich weiß nicht, was sich die Leute vorstellen – sind vermutlich an reichhaltige Lebensmittellager geraten und fürchten, daß sich andere da beteiligen könnten. Hätte jedenfalls keinen Sinn gehabt, Risikos einzugehen, so ließ ich sie schmoren. Dennoch schloß sich uns eine ganze Menge an. In einem Jahr stiegen wir bis auf etwa dreihundert – nicht alle sehfähig, natürlich.
Es ist erst einen Monat her, daß ich auf Coker und seine Gruppe stieß – und eine seiner ersten Fragen war übrigens, ob Sie bei uns aufgekreuzt seien. Sie hatten eine schlimme Zeit, besonders anfangs.
Ein paar Tage nach seiner Rückkehr nach Tynsham kamen zwei Frauen aus London und brachten die Seuche mit. Coker sonderte sie bei den ersten Sym-ptomen ab, aber es war zu spät. Er entschloß sich zu einem schnellen Umzug. Miß Durrant war nicht zum Weggehen zu bringen. Sie wollte bleiben, die Kranken pflegen und, wenn möglich, später nachkommen.
Sie kam nicht.
Sie nahmen die Ansteckung mit. Erst nach drei weiteren eiligen Umzügen gelang es ihnen, sie abzuschütteln. Sie waren dabei immer weiter nach Westen bis nach Devonshire gekommen und fanden dort eine Zeitlang Ruhe. Aber dann tauchten bei ihnen die gleichen Schwierigkeiten auf, die wir hatten – und Sie haben. Coker hielt dort fast drei Jahre durch und kam dann zu ähnlichen Schlußfolgerungen wie wir. Nur dachte er nicht an eine Insel. Statt dessen entschied er sich für eine Flußgrenze und eine Umzäunung, um eine Ecke von Cornwall abzuschneiden. Die ersten Monate verwendeten sie dort zum Aufbau einer Sperre und machten sich dann an das Ausrottungswerk wie wir auf der Insel. Sie hatten allerdings ein viel schwierigeres Gelände, und eine vollkommene Säuberung gelang ihnen nie. Die Umzäunung bot zwar einen wirksamen Schutz, war aber nicht so verläßlich wie das Meer; zuviel Arbeitskraft mußte mit der Bewachung vertan werden.
Coker ist der Meinung, sie hätten es geschafft, sobald die Kinder zur Mitarbeit herangezogen werden konnten, aber eine beschwerliche Sache wäre es immer geblieben. Sie zögerten daher nicht lange, auf meinen Vorschlag einzugehen. Fingen gleich an, ihre Fischerboote zu beladen und waren alle innerhalb von vierzehn Tagen auf der Insel. Als Coker sah, daß Sie nicht bei uns waren, beschrieb er uns, wo Sie etwa zu finden wären.«
»Sie können ihm ausrichten, daß aller Groll zwischen uns begraben ist«, sagte Josella.
»Er hat sich als ein sehr fähiger Mann entpuppt«, sagte Ivan. »Und nachdem, was er uns erzählt hat, sind Sie das auch«, fügte er mit einem Blick auf mich hinzu. »Sie sind doch Biochemiker, nicht wahr?«
»Biologe«, berichtigte ich, »mit ein bißchen Biochemie.«
»Diese Feinheiten müssen wir Ihnen überlassen.
Die Sache ist die: Michael hat versucht, ein wissenschaftliches Verfahren zur Vernichtung der Triffids entwickeln zu lassen. So etwas muß gefunden werden, wenn es weitergehen soll. Die Schwierigkeit ist nur, daß die Leute, die sich jetzt mit dieser Sache beschäftigen, ihre biologischen Schulkenntnisse zumeist vergessen haben. Wie wär's – wollen Sie sich nicht als Dozent etablieren? Wäre doch eine Aufgabe, die Sie reizen müßte.«