Drinnen musterten wir das Gefährt aus der Nähe.
Das Fahrgestell war auf Raupenketten montiert, die anscheinend aus Heeresbeständen stammten. Das ganze Vehikel sah aus wie ein Zwischending von Wohnwagen und Möbelwagen. Susan und ich schauten es an und schauten dann einander mit hochgezogenen Brauen an. Wir gingen ins Haus, um Näheres zu erfahren.
Im Wohnzimmer fanden wir außer den Hausbewohnern vier Männer in graugrünem Schidreß. Zwei trugen Pistolen in Halftern an der rechten Hüfte; die beiden anderen hatten ihre Maschinenpistolen neben ihre Sessel auf den Boden gelegt.
Als wir eintraten, wandte uns Josella ein völlig ausdrucksloses Gesicht zu.
»Hier ist mein Mann. Bill, dies ist Mr. Torrence. Er sagt, er komme in offiziellem Auftrag. Er hat uns Vorschläge zu machen.« Nie hatte ihre Stimme kälter geklungen.
Einen Augenblick lang blieb ich starr und stumm.
Der Mann, den sie mir vorstellte, erkannte mich nicht, wohl aber ich ihn. Gesichtszüge, die man hinter Kimme und Korn zu sehen bekommen hat, vergißt man nicht so leicht. Außerdem war da noch dieses auffällige rote Haar. Ich erinnerte mich gut, auf welche Art dieser tüchtige junge Mann meinen Trupp in Hamstead zum Rückmarsch gezwungen hatte. Ich nickte ihm zu. Er blickte mich an und sagte:
»Ich höre, daß Sie hier die Leitung innehaben, Mr. Masen?«
»Mr. Brent hier ist der Besitzer«, entgegnete ich.
»Aber Sie sind der Organisator dieser Gruppe?«
»Unter den gegenwärtigen Umständen, ja«, sagte ich.
»Gut.« Seine Miene drückte aus: Nun kommen wir zur Sache.
»Ich bin Kommandant, Südostsektor«, setzte er hinzu.
In einem Ton, als sollte mir das etwas sagen. Was nicht der Fall war. Gestand das auch unumwunden.
»Das heißt«, ergänzte er, »ich bin Chef der Exekutive des Katastrophenausschusses für Südostengland.
Zu meinen Obliegenheiten gehört es, Verteilung und Zuweisung des Personals zu überwachen.«
»So«, sagte ich. »Ich habe nie etwas gehört von diesem – ahem – Ausschuß.«
»Möglich. Auch wir wußten nichts von der Existenz Ihrer Gruppe, bis wir gestern das Feuer sahen.«
Ich wartete, daß er weitersprach ...
»Sobald eine solche Gruppe entdeckt wird«, fuhr er fort, »ist es meine Aufgabe, sie zu überprüfen und einzuschätzen und die notwendige Gleichschaltung durchzuführen. Ich bin also, wie Sie sehen, in einer offiziellen Mission hier.«
»Im Auftrag eines offiziellen Ausschusses – oder eines selbstgewählten?« forschte Dennis.
»Gesetz und Ordnung müssen sein«, erklärte der Mann kategorisch. Dann meinte er in verändertem Ton:
»Das ist ein gut ausgesuchter Platz, den Sie da haben, Mister Masen.«
»Den Mr. Brent hat«, berichtigte ich.
»Lassen wir Mr. Brent. Er ist nur hier, weil Sie es ihm ermöglichten, hier zu bleiben.«
Ich blickte zu Dennis hinüber, dessen Gesicht sich verfinsterte.
»Nichtsdestoweniger ist er der Eigentümer«, beharrte ich.
»War, wollen Sie sagen. Die gesellschaftlichen Zustände, die das Eigentum sanktionierten, existieren nicht mehr. Besitzansprüche sind damit ungültig geworden. Überdies hat Mister Brent sein Sehvermögen verloren, ist also gar nicht in der Lage, seine Rechte geltend zu machen.«
»So«, sagte ich nochmals.
Ich hatte schon bei unserem ersten Zusammentreffen eine Antipathie gefaßt gegen diesen jungen Mann und sein entschiedenes Auftreten. Nähere Bekanntschaft trug nicht dazu bei, dieses Gefühl abzuschwächen. Er fuhr fort:
»Heute geht es um das nackte Leben. Nicht um gefühlsmäßige Rücksichten, sondern um praktische Maßnahmen. Nach den Angaben von Mrs. Masen seid ihr acht im ganzen. Fünf Erwachsene, das Mädchen hier und zwei kleine Kinder. Alle sind sehfähig bis auf diese drei.« Er wies auf Dennis, Mary und Joyce.
»So ist es«, bestätigte ich.
»Hm. Zahlenmäßig ganz unhaltbare Verhältnisse.
Hier müssen einige Abänderungen getroffen werden, fürchte ich. In solchen Zeiten ist eine realistische Einstellung notwendig.«
Josella warf mir einen warnenden Blick zu. Aber es war ohnedies nicht meine Absicht, zu diesem Zeitpunkt loszubrechen. Ich wußte, wessen ich mich von dem Rothaarigen zu versehen hatte, und wollte mich nur vergewissern, wem ich da eigentlich gegenüber-stand. Anscheinend merkte er das.
»Damit Sie im Bilde sind«, sagte er. »Die Sache ist kurz die: Hauptquartier für diesen Sektor ist in Brighton. London wurde bald unhaltbar für uns. In Brighton gelang es uns, einen Teil der Stadt zu säubern und abzusperren und zu leiten. Brighton ist groß. Sobald die Krankheit abgeflaut war und man sich freier bewegen konnte, fanden wir eine Menge Proviant. Neuerdings haben wir auch von anderwärts Transporte herangefahren. Aber das geht jetzt zu Ende. Die Straßen werden für Lastkraftwagen unpassierbar, und wir müssen zu weit fahren. Das war na-türlich vorauszusehen. Wir haben allerdings gerechnet, es würde ein paar Jahre länger dauern – nun, da läßt sich nichts ändern. Möglich, daß wir am Anfang zu viele Blinde übernommen haben. Jedenfalls müssen wir uns jetzt dezentralisieren. Wir können nur auf dem Land weiterleben. Wir müssen uns daher in kleinere Gruppen aufteilen. Wir haben den Standard so bestimmt, daß pro Gruppe auf je eine sehfähige Person zehn Blinde kommen, plus Kinder in unbestimmter Zahl.
Sie haben hier ein gutes Stück Land, das ohne weiteres zwei Gruppen aufnehmen kann. Wir werden Ihnen siebzehn Blinde zuweisen, macht mit denen, die hier sind, zwanzig – selbstverständlich wieder plus Kinder in unbestimmter Zahl.«
Ich starrte ihn entgeistert an.
»Sie wollen im Ernst behaupten, daß zwanzig Erwachsene und ihre Kinder von diesem Stück Land leben können?« sagte ich. »Ist ganz und gar unmöglich.
Wir haben uns schon gefragt, ob es für uns reicht.«
Er schüttelte zuversichtlich den Kopf.
»Es ist durchaus möglich. Und was ich Ihnen anbiete, ist das Kommando über die beiden Gruppen, die wir hier einquartieren werden. Offen gesagt, falls Sie ablehnen, setzen wir einen anderen her. Wir dürfen uns in diesen Zeiten keine Vergeudung leisten.«
»Aber schauen Sie sich den Besitz an«, wiederholte ich. »Es ist einfach nicht zu machen.«
»Ich versichere Ihnen, es ist zu machen, Mr. Masen.
Natürlich müssen Sie Ihren Lebensstandard ein bißchen senken – müssen wir alle die nächsten paar Jahre, aber sobald die Kinder herangewachsen sind, haben Sie Arbeitskräfte und können Ihre Basis verbrei-tern. Sechs oder sieben Jahre werden Sie sich plagen müssen – dagegen läßt sich nichts tun. Dann aber können Sie allmählich nachlassen, bis Sie nur mehr die Aufsicht führen. Das ist doch gewiß ein schöner Gewinn für ein paar Jahre Plage?
Was für Aussichten haben Sie denn jetzt? Nichts als schwere Arbeit bis ans Ende – und Ihre Kinder würden es nicht besser haben, auch sie müßten sich abmühen um das nackte Leben. Woher sollen unter solchen Umständen die künftigen Führer und Verwalter kommen? Wenn Sie so weiter tun, sind Sie in zwanzig Jahren verbraucht und doch noch in den Sielen – und alle Ihre Kinder werden sture Klötze. Bei uns werden Sie Chef eines Clans, der für Sie arbeitet, und darüber hinaus erhalten Sie ein Erbe, das Sie Ihren Söhnen weitergeben können.«
Langsam dämmerte es bei mir. Erstaunt sagte ich:
»Verstehe ich recht, so bieten Sie mir ein Lehen an – eine Art Feudalherrschaft?«
»Aha«, sagte er. »Ich sehe, Sie fangen an, zu begrei-fen. Ein solches System ist unter den gegebenen Umständen die nächstliegende und natürlichste Gesellschafts- und Wirtschaftsform.« Kein Zweifel, daß es dem Mann mit diesem Projekt vollkommen ernst war.