Bastian erhob sich und trat zu ihnen.
Im ganzen Talkessel krabbelte und purzelte und flatterte es von den komischsten kleinen Gestalten, die er je gesehen hatte. Alle trugen bunte Mottenflügel auf dem Rücken und waren in allerhand karierten, gestreiften, geringelten oder gepunkteten Plunder gekleidet, doch schien jedes Kleidungsstück entweder zu eng oder zu weit, zu groß oder zu klein und sozusagen auf gut Glück zusammengenäht. Nichts stimmte, und überall, sogar auf den Flügeln, waren Flicken aufgesetzt. Keines der Wesen glich dem anderen, ihre Gesichter waren bunt wie die von Clowns, hatten runde, rote Nasen oder lächerliche Zinken und übertriebene Münder. Manche hatten Zylinderhüte in allen Farben auf, andere spitze Mützen, bei einigen standen nur drei knallrote Haarschöpfe in die Höhe, und ein paar hatten spiegelnde Glatzen. Der größte Teil von ihnen saß und hing an dem zierlichen Turm aus kostbarem Silberfiligran, turnte daran, hopste darauf herum und versuchte ihn kaputtzumachen.
Bastian rannte hinaus.
»He, ihr da!« schrie er hinauf, »hört sofort auf! Das könnt ihr doch nicht machen!«
Die Wesen hörten auf und blickten alle zu ihm hinunter.
Eines von ganz oben fragte: »Was hat er gesagt?«
Und ein anderes rief von unten hinauf:
»Der Dingsda sagt, wir können das nicht machen.«
»Warum sagt er, wir können das nicht machen?« fragte ein drittes.
»Weil ihr das eben nicht tun dürft!« schrie Bastian. »Ihr könnt doch nicht einfach alles kaputtmachen!«
»Der Dingsda sagt, wir können nicht alles kaputtmachen«, teilte die erste Clown-Motte den anderen mit.
»Doch, das können wir«, antwortete eine andere und riß ein großes Stück aus dem Turm.
Die erste rief wieder zu Bastian hinunter, wobei sie wie verrückt hopste: »Doch, das können wir!«
Der Turm schwankte und begann bedenklich zu knacken.
»Was macht ihr denn!« schrie Bastian. Er war zornig und erschrocken, aber er wußte nicht, wie er sich verhalten sollte, denn diese Wesen waren wirklich sehr komisch.
»Der Dingsda«, wandte sich die erste Motte wieder an ihre Genossen, »fragt, was wir machen.«
»Was machen wir eigentlich?« wollte eine andere wissen.
»Wir machen Spaß«, erklärte eine dritte.
Darauf brachen alle in der Umgebung in ein ungeheures Gekicher und Gepruste aus.
»Wir machen Spaß!« rief die erste Motte zu Bastian hinunter und verschluckte sich fast vor Lachen.
»Aber der Turm wird zusammenbrechen, wenn ihr nicht aufhört!« schrie Bastian.
»Der Dingsda«, teilte die erste Motte den anderen mit, »meint, der Turm wird zusammenbrechen.«
»Na und?« sagte eine andere.
Und die erste rief nach unten: »Na und?«
Bastian war sprachlos, und ehe er noch eine passende Antwort gefunden hatte, begannen alle Clown-Motten, die an dem Turm hingen, plötzlich eine Art Reigen in der Luft zu tanzen, wobei sie sich allerdings nicht an den Händen hielten, sondern teils an den Beinen, teils am Kragen, manche wirbelten im Kopfstand mit, und alle johlten und lachten.
Was die geflügelten Kerlchen da aufführten, sah derart komisch und vergnügt aus, daß Bastian gegen seinen Willen mitlachen mußte.
»Aber ihr dürft das nicht!« rief er. »Es ist das Werk der Acharai!«
»Der Dingsda«, wandte sich die erste Clown-Motte wieder an ihre Kumpane, »sagt, wir dürfen das nicht.«
»Wir dürfen alles«, schrie eine andere und schlug Kobolz in der Luft, »wir dürfen alles, was uns nicht verboten ist. Und wer verbietet uns was? Wir sind die Schlamuffen!«
»Wer verbietet uns was?« riefen alle Clown-Motten im Chor. »Wir sind die Schlamuffen!«
»Ich!« antwortete Bastian.
»Der Dingsda«, meinte die erste Motte zu den anderen, »sagt »ich« .«
»Wieso du?« fragten die anderen, »du hast uns gar nichts zu sagen.«
»Doch nicht ich!« erklärte die erste, »der Dingsda sagt »er« .«
»Warum sagt der Dingsda »er« ?« wollten die anderen wissen, »und zu wem sagt er überhaupt »er« ?«
»Zu wem sagst du »er« ?« rief die erste Motte hinunter.
»Ich habe nicht »er« gesagt«, schrie Bastian halb ärgerlich, halb lachend hinauf. »Ich sage, daß ich euch verbiete, den Turm zu demolieren.«
»Er verbietet uns«, erklärte die erste Motte den anderen, »den Turm zu demolieren.«
»Wer?« fragte eine neu Dazugekommene.
»Der Dingsda«, erwiderten die anderen.
Und die neu Angekommene sagte: »Ich kenne den Dingsda nicht. Wer ist das überhaupt?«
Die erste rief: »He, Dingsda, wer bist du überhaupt?«
»Ich bin kein Dingsda!« sqhrie Bastian nun doch ziemlich wütend, »ich bin Bastian Balthasar Bux und habe aus euch die Schlamuffen gemacht, damit ihr nicht mehr weint und jammert. Heute nacht wart ihr noch unglückliche Acharai. Ihr könntet eurem Wohltäter ruhig mit etwas mehr Respekt antworten!«
Alle Clown-Motten hatten gleichzeitig aufgehört, zu hopsen und zu tanzen und wendeten ihre Blicke zu Bastian hin. Plötzlich herrschte atemlose Stille.
»Was hat der Dingsda gesagt?« flüsterte eine Motte, die weiter entfernt saß, aber die neben ihr gab ihr einen Schlag auf den Hut, daß dieser ihr über Augen und Ohren rutschte. Alle anderen machten: »Pst!«
»Würdest du das bitte noch einmal ganz langsam und ausführlich sagen?« bat die erste Motte betont höflich.
»Ich bin euer Wohltäter!« rief Bastian.
Daraufhin brach eine geradezu lächerliche Aufregung unter den Clown-Motten aus, eine sagte es der anderen weiter, und schließlich krabbelten und flatterten all die unzähligen Gestalten, die bisher über den ganzen Talkessel verteilt gewesen waren, in einem Knäuel um Bastian herum, wobei sie sich gegenseitig in die Ohren schrien:
»Habt ihr das gehört? Habt ihr das begriffen? Er ist unser Tolwäter! Er heißt Nastiban Baltebux! Nein, er heißt Buxian Wähltoter! Quatsch, er heißt Saratät Buxiwohl! Nein, Baldrian Hix! Schlux! Babeltran Totwähler! Nix! Flax! Trix!«
Die ganze Gesellschaft schien außer sich vor Begeisterung. Sie schüttelten sich gegenseitig die Hände, lüpften die Hüte und schlugen sich auf Schultern und Bäuche, daß große Staubwolken aufstiegen.
»Was sind wir für Glückspilze!« riefen sie. »Hoch lebe unser Buxtäter Sansibar Bastelwohl!«
Und immerfort schreiend und lachend stob der ganze riesige Schwärm in die Höhe und wirbelte fort. Der Lärm verhallte in der Ferne.
Bastian stand da und wußte kaum noch, wie er richtig hieß.
Er war sich nicht mehr so sicher, ob er wirklich etwas Gutes getan hatte.
19.
Die Weggenossen
Sonnenstrahlen fielen schräg durch die dunkle Wolkendecke, als sie an diesem Morgen aufbrachen. Regen und Wind hatten endlich nachgelassen, zwei- oder dreimal gerieten die Reiter im Lauf des Vormittags noch in kurze, heftige Güsse, doch dann besserte sich das Wetter zusehends. Es wurde merklich wärmer.
Die Stimmung der drei Ritter war geradezu ausgelassen, sie scherzten und lachten und trieben allerhand Schabernack miteinander. Aber Bastian ritt auf der Mauleselin still und in sich gekehrt vor ihnen her. Und die drei Herren hatten natürlich viel zuviel Respekt vor ihm, um ihn in seinen Gedanken zu stören.
Das Land, durch das sie zogen, war noch immer jene felsige Hochebene, die kein Ende zu nehmen schien. Nur der Baumbestand wurde nach und nach dichter und höher.
Atréju, der nach seiner Gewohnheit auf Fuchur weit vorausflog und die Gegend auch nach den anderen Seiten hin erkundete, hatte Bastians grüblerische Stimmung schon beim Aufbruch bemerkt. Er fragte den Glücksdrachen, was man tun könne, um den Freund aufzuheitern. Fuchur rollte seine rubinroten Augenbälle und sagte: