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Sie ritten weiter nach Norden, ohne im Grunde wirklich zu wissen, wohin, oder gar warum, denn wenn Titch nicht zurücckam, dann waren sie so gut wie tot.

Nein, verbesserte sich Skar in Gedanken. Dann waren sie nicht so gut wie tot, dann waren sie tot, zwei Verlorene in einem Land, das nicht nur voller Feinde, sondern selbst ihr Feind war. Irgend etwas sagte Skar, daß sie hier nicht leben konnten, selbst wenn es die Quorrl und die Ssirhaa und alle anderen Ungeheuer, die sich noch in Cants finsteren Wäldern verbergen mochten, nicht gegeben hätte. Er hatte Ennarts Worte keine Sekunde vergessen: Diese Welt wurde gemacht, Satai. Und mehr noch als für irgendeinen anderen Teil Enwors galt dies für Cant. Es war ein Land, das geschaffen worden war, von Wesen, die er sich nicht einmal vorzustellen vermochte, und für Wesen, die den Menschen so fremd und unverständlich waren wie sie umgekehrt ihnen. Es war das Land der Quorrl, ihre ureigendste Heimat, in der nur sie leben konnten, und niemand sonst. Mit einem Mal fielen ihm all die Geschichten und Legenden über die Quorrl wieder ein; Geschichten, an deren Verbreitung er selbst früher kräftig mitgewirkt hatte. Sie waren lächerlich, eine wie die andere. Selbst wenn die Quorrl gewollt hätten - sie konnten Enwor gar nicht erobern. Ganz einfach, weil sie auf Dauer so wenig in der Lage waren, dort zu leben, wie die Menschen Enwors in diesem Land. Nicht die Quorrl, die du kennst, flüsterte der Daij-Djan. Aber vielleicht die, die Ennart und seine Brüder noch erschaffen werden. Ennart ist tot! dachte Skar zornig.

Bist du sicher, Bruder?

Sei still, antwortete Skar in Gedanken.

Aber - warum? Hast du immer noch Angst vor der Wahrheit, Bruder?

Vor dem, was du Wahrheit nennst, ja, antwortete Skar auf die gleiche, lautlose Weise. Trotzdem mußte etwas von seinem stummen Zwiegespräch mit jenem finsteren Teil seiner selbst spürbar sein, denn Kiina blickte plötzlich erschrocken hoch und sah ihn irritiert an. Skar wandte rasch den Blick und tat so, als konzentriere er sich völlig auf den aufgeweichten Weg. Sie bewegten sich dicht am Waldrand entlang, und auch das war etwas, was ihm Sorge machte - spätestens ihr letztes Gespräch mit Cron hatte ihm klargemacht, daß Cants Wälder nicht so leer und unbewohnt waren, wie es den Anschein hatte. Aber sie mußten jede Deckung ausnutzen, die sie bekommen konnten. Sie waren mehr als nur vogelfrei, ohne Titchs Begleitung, wie er sich in jeder Sekunde schmerzhaft vor Augen hielt. Wenn sie irgend jemand entdeckte - buchstäblich irgend jemand - waren sie tot. Außer, du nimmst meine Hilfe an.

»Verschwinde endlich«, sagte Skar. Er sagte es laut, schrie es fast, und wieder sah Kiina auf und blickte ihn gleichermaßen fragend wie erschrocken an, sagte aber auch jetzt kein Wort. »Ich brauche dich nicht!«

Bist du sicher, Bruder? antwortete der Daij-Djan spöttisch. Dann sieh nach Westen.

Skar tat es - und fuhr erschrocken zusammen, obgleich er zumindest geahnt hatte, was er sehen würde. Der Daij-Djan tat niemals etwas durch Zufall oder ohne Grund. Er hatte auch den Moment, wieder mit ihm zu sprechen, sorgsam gewählt.

Vielleicht hatte er sogar dafür gesorgt, daß die Quorrl ausgerechnet jetzt auftauchten, dachte Skar verbittert. Mittlerweile traute er dem Monster alles zu. Es hatte die Macht eines Gottes, auch wenn er das bis jetzt nicht hatte wahrhaben wollen. Es waren viele. Durch den nieselnden Regen und das blaßgraue Licht der Dämmerung fiel es Skar schwer, ihre Zahl zu schätzen, aber es mußten zwanzig sein, möglicherweise auch fünfzig oder zweihundert, das blieb sich gleich - es waren so oder so zu viele, um sich ihnen zu stellen.

Seine Hand glitt zum Schwert, verharrte einen Moment auf dem Griff der Waffe und löste sich wieder davon, ohne sie zu ziehen. Daß er die Quorrl gesehen hatte, bedeutete nicht, daß auch sie schon entdeckt worden waren. Sie waren nur zwei - vier, mit den Packpferden - aber sie hatten den Wald hinter sich, eine schwarze Mauer, die ihre Schatten verschlingen mußte. »Was hast du?« fragte Kiina, die seinen Schrecken natürlich bemerkt hatte.

Skar deutete stumm nach Westen, und nach ein paar Augenblicken verriet ihm der Ausdruck auf Kiinas Gesicht, daß auch sie die näher kommenden Reiter bemerkt hatte. Zu Skars Überraschung zeigte sie keine Spur von Schrecken oder gar Panik, sondern biß sich nur nachdenklich auf die Lippen und deutete dann auf den Waldrand.

Skar nickte, hob aber fast im gleichen Moment abwehrend den Arm, als Kiina unverzüglich ihr Pferd wenden und ins Unterholz führen wollte.

»Unsere Spuren«, sagte er mit einer besorgten Geste zu Boden. »Sie reiten fast genau auf uns zu. Sie werden sie sehen.« In dem aufgeweichten Morast, zu dem der Regen das Erdreich gemacht hatte, waren die Hufabdrücke ihrer Pferde tatsächlich kaum zu übersehen; nicht einmal für Wesen, die nicht über die scharfen Sinne eines Quorrl verfügten.

»Sie werden uns sehen, wenn wir noch lange hier herumstehen«, sagte Kiina betont. Sie machte eine ungeduldige Handbewegung. »Was hast du vor? Auf den Knien herumrutschen und die Spuren verwischen?«

»Nein«, antwortete Skar. »Aber ich ...« Er brach ab, warf einen sichernden Blick zu den Quorrl zurück - sie waren näher gekommen, aber noch nicht so weit, daß sie sie hätten sehen können - und zog schließlich doch sein Schwert. Mit der Spitze des Tschekal deutete er auf den Wald.

»Steig vom Pferd«, sagte er. »Aber paß auf. Du darfst keine Fußspuren hinterlassen. Versteck dich irgendwo.«

»Ja«, sagte Kiina sarkastisch. »Das beste wird sein, ich klettere auf einen Baum und sehe zu, wie sie dich abschlachten.«

»Ich habe nicht vor, mich umbringen zu lassen«, antwortete Skar ärgerlich. Das hatte er wirklich nicht. Er war sicher, daß es Momente gab, in denen ein Opfer sinnvoll war, aber dieser gehörte ganz gewiß nicht dazu.

»Ich reite zwei-, dreihundert Schritte weiter und verstecke mich dann auch«, sagte er. »Vielleicht sehen sie unsere Spuren ja gar nicht. Und wenn doch, ist es ziemlich sinnlos, daß sie uns beide erwischen, oder?«

Er gab Kiina gar keine Gelegenheit, erneut zu widersprechen, sondern versetzte ihr einen Stoß, der sie halbwegs aus dem Sattel warf, so daß sie ganz instinktiv nach einem tiefhängenden Ast griff und sich daran festklammerte. Ehe sie auch nur begriff, was er tat, griff er nach den Zügeln ihres Pferdes und sprengte los. Kiina stürzte mit einem Wutschrei zu Boden, aber Skar wußte, daß der weiche Morast ihren Sturz dämpfte, und sprengte weiter, ohne sich auch nur noch einmal nach ihr umzudrehen. Die beiden Packpferde folgten ihm ganz instinktiv.

Skar ritt wirklich nur eine kurze Strecke. Die zwei-, dreihundert Schritte, die er Kiina gegenüber zugegeben hatte, und dann noch einmal die gleiche Distanz, als Referenz an Kiinas Sturheit und die scharfen Sinne der Quorrl. Schließlich entdeckte er eine Lücke zwischen den Bäumen; keinen richtigen Weg oder gar eine Lichtung, aber eine schmale Bresche, die ihm und den Pferden Deckung gewährte und - mit ein bißchen Glück - von den Quorrl nicht gesehen wurde.

Aber es schien so, als wäre sein Vorrat an Glück endgültig aufgebraucht. Die Quorrl waren näher gekommen, und als sie nahe genug heran waren, daß Skar trotz des schlechten Lichtes Einzelheiten erkennen konnte, sah er seine Befürchtungen gleich in doppelter Hinsicht bestätigt: es waren weitaus mehr als zwanzig Reiter - mindestens fünfzig, schätzte er, wenn nicht hundert - und sie bewegten sich tatsächlich fast genau auf die Stelle am Waldrand zu, an der er sich von Kiina getrennt hatte.

Skar drängte Kiinas Pferd und die beiden Packtiere rücksichtslos in das dornige Unterholz des Waldrandes hinein, band ihre Zügel hastig aneinander und zwang dann sein eigenes Tier, ein paar Schritte rückwärts zu gehen, bis sich die Bresche wieder genug erweitert hatte, um es herumzudrehen. Dann band er es ebenfalls an einen Ast, stieg aus dem Sattel und näherte sich behutsam dem Waldrand.