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»Sie werden wissen, was hier vor sich geht«, vermutete Skar. »Und? Sie sind uns nichts schuldig.«

»Worauf willst du hinaus?« Skar sah nun doch auf und blickte den Quorrl scharf an. Er spürte, daß Titch ihm nicht alles gesagt hatte, was es über Caran zu wissen gab.

»Darauf, daß es vielleicht doch besser ist, wenn du dich von uns trennst«, antwortete Titch nach kurzem Zögern. »Noch ist Zeit dazu.«

»Und wie weit würde ich ohne dich kommen?« fragte Skar. »Vielleicht weiter als mit mir«, antwortete Titch mit großem Ernst. »Jetzt gerade. Die Tempelgarde hat alle Hände voll damit zu tun, mich und meine Männer zu jagen. Sie werden kaum Ausschau nach einem einzelnen Mann und einem Kind halten. Dort vorne -« Er deutete wieder auf die Berge. »- gibt es kein Zurück mehr. Hör auf mich, Skar. Nimm Kiina und gehe nach Ninga. Ich gebe dir zwei Krieger mit, die euch den Weg zeigen.« Skar zügelte sein Pferd, und auch Titch verhielt sein Tier. Die hinter ihnen reitenden Quorrl wichen nach rechts und links aus, und die Lücke blieb auch vor ihnen erhalten, als wollten sie ihnen Gelegenheit geben, in Ruhe zu reden und sich dann wieder an die Spitze des kleinen Heereszuges zu setzen.

»Du willst nicht, daß ich mitkomme«, sagte Skar ernst. »Nicht wahr? Es ist nicht nur deine Sorge um mich oder das Mädchen. Du willst nicht, daß wir nach Caran gehen.«

Titch schwieg, aber er tat es auf eine Art und Weise, die Skar begreifen ließ, daß er der Wahrheit sehr, sehr nahe gekommen war, mit seiner Vermutung. Und ganz plötzlich wußte er auch, warum: Caran war vielleicht das letzte Bollwerk der Freiheit in ganz Cant: vielleicht das einzige, das es jemals wirklich gegeben hatte.

»Du traust mir immer noch nicht«, sagte er leise.

»Doch«, antwortete Titch. »Dir schon, Skar.« Er lächelte traurig, sagte noch einmaclass="underline" »Dir schon, Satai«, und ließ sein Pferd weitertraben.

Skar wußte, daß es ein Fehler war - aber seine Hand reagierte fast ohne sein Zutun. Blitzschnell beugte er sich vor, ergriff den Quorrl am Arm und riß ihn mit solcher Macht herum, daß selbst Titch für einen Augenblick im Sattel wankte.

»Was willst du damit sagen?« schnappte er mit einer Stimme, die vor Wut zitterte - seltsam, dabei empfand er gar keinen Zorn, sondern nur einen tiefen, wühlenden Schmerz, wie von einer offenen Wunde, in die Titchs Worte Säure gegossen hatten. »Du glaubst, ich -«

Titch riß sich los. Zwei, drei der Krieger, die an ihnen vorüberritten, bewegten sich plötzlich langsamer, und Skar spürte die aufmerksamen Blicke, die Titch und ihn trafen. Aber er war nicht sicher, ob sich diese Männer wirklich einmischen würden, wenn es zwischen Titch und ihm zum Streit kam.

Plötzlich war aller Zorn verraucht. Er seufzte, sah Titch einen Moment lang fast bittend an und senkte dann den Blick. »Sprich es doch wenigstens aus«, sagte er.

»Was?« Titchs Stimme war hart, schneidend wie Glas. »Daß ich Angst vor dir habe? Ja. Jeder hier fürchtet dich, Satai; das, was du bist. Daß ich Angst habe, daß du auch noch Caran zerstörst? Ja, das habe ich! Und ich weiß nicht, was ich dagegen tun soll.«

»Aber das werde ich nicht«, sagte Skar. »Ich will doch nur -«

»Ich bin mit einem Heer zu dir gekommen, um dein Volk zu retten«, sagte Titch. »Du hast es zerstört. Wir sind nach Elay gegangen, um die Ehrwürdigen Frauen zu befreien, aber Elay ist in Flammen aufgegangen. Wir sind zu den letzten Errish geflüchtet. Sie wurden vernichtet. Wir haben die Ssirhaa getroffen, Skar - und du weißt, was mit ihnen geschehen ist.«

»Und jetzt kommen wir hierher und finden dein Volk sterbend vor«, flüsterte Skar. »Ich verstehe.«

In Titchs Augen blitzte es auf. »So, tust du das? Ich bin nicht sicher. O nein, ich bin ganz und gar nicht sicher. Vielleicht sollte ich dich umbringen, Satai, solange noch Zeit ist. Vielleicht sollte ich in Kauf nehmen, daß ich und alle meine Männer sterben, ehe ich zulasse, daß du diesem Berg auch nur nahe kommst. Vielleicht -«

Er sprach nicht weiter, aber Skar sah einen tiefen, quälenden Schmerz in seinen Augen, eine Pein, die mit Worten nicht zu beschreiben war, und er verstand nur zu gut, was der Quorrl in diesem Moment durchmachte. Was er am Morgen getan hatte, hatte nichts geändert: seine Zweifel waren da wie eh und je, vielleicht sogar stärker als zuvor.

Und er hatte recht, dachte Skar bitter. Vielleicht - nein, ganz bestimmt - waren sie Freunde, wenn auch auf eine Art, die schwer zu begreifen war und nichts mit den Gefühlen gemein hatte, die er Del oder Kiina entgegenbrachte - aber es war eine Freundschaft, die vom ersten Tag an unter einem blutigen Vorzeichen gestanden hatte, in der öfter das Schwert als das Wort gesprochen und die weniger von Vertrauen als nicht eingelöstem Mißtrauen geprägt worden war. Und Skar hätte Titchs Aufzählung noch nach Belieben fortsetzen können: er war es gewesen, der Titchs Vater erschlug, es war das Ding gewesen, von dem noch immer ein Teil in ihm war, das fast die Hälfte seines Heeres vernichtet hatte, und es war die gleiche, finstere Macht, die ganz Enwor verwüstete, die auch ihn erschaffen hatte. Ja - er war in Titchs Leben eingebrochen wie ein schwarzer Engel der Vernichtung. Wäre Titch ein Mensch gewesen, hätte er gar nicht anders gekonnt, als ihn zu hassen.

Aber nichts von alledem ist meine Schuld, Freund, dachte er. Er wollte es laut aussprechen, aber ein weiterer Blick in Titchs Augen hinderte ihn daran. Es wäre sinnlos gewesen. Der Quorrl wußte so gut wie er, daß er nichts von alledem gewollt, geschweige denn herbeigeführt hatte. Und trotzdem.

»Wenn du willst, dann gehe ich«, sagte er. »Sofort. Ohne ein weiteres Wort. Ohne eine Frage. Willst du es?«

Titch zögerte. Skars Worte irritierten ihn sichtlich. Einen Moment lang irrte sein Blick über Skars Gesicht und dann ins Nirgendwo, als hätte er völlig das Konzept verloren, dann schüttelte er abgehackt den Kopf.

»Nein«, sagte er. »Ich... verdammt, ich glaube, ich weiß selbst nicht mehr, was ich will.«

»Keiner von uns weiß das noch«, flüsterte Skar.

»Aber ich verspreche dir eines«, fuhr Titch fort, und plötzlich klang seine Stimme wieder hart und befehlend. »Wenn ich glaube, daß es in Caran wieder geschieht... wenn ich auch nur denke, daß du den Tod auch dorthin bringst, Skar, dann werde ich dich töten. Dich und das Mädchen. Ohne Gnade.« Er nickte heftig, um seine Worte zu bekräftigen, und legte die Hand auf das Schwert; eine Geste, die aus seiner Drohung ein feierliches Versprechen machte. »Willst du jetzt immer noch bleiben?«

Skar nickte. Er fragte sich, ob Titch wohl ahnen mochte, daß er ihn um genau dieses Versprechen gebeten hätte, hätte er es nicht von sich aus gegeben?

Titch starrte ihn noch für die Dauer eines Atemzuges lang an, dann riß er sein Pferd mit einer unnötig groben Bewegung herum und sprengte los, wieder zurück zur Spitze des Heeres. Hinter ihm schloß sich die Lücke in den Reihen der Quorrl wieder, so daß Skar ihm gar nicht hätte folgen können, selbst, wenn er gewollt hätte.

Aber er machte nicht einmal den Versuch. Niedergeschlagen, verkrampft und vielleicht zum ersten Mal im Leben aus Schmerz den Tränen nahe, sah er dem Quorrl nach, bis seine Gestalt zu einem goldenen Blitz im niederströmenden Grau geworden war, ehe er sein Pferd herumdrehte und langsam an Kiinas Seite zurückritt. Ist das deine Rache, Bruder? dachte er. Zerstörst du jetzt das einzige, was mir bisher noch die Kraft gegeben hat, dir zu widerstehen?

Die Stimme in seinem Inneren schwieg.