Schließlich wurde er in einen halbrunden, ebenfalls vollkommen leeren Raum gebracht, in dem ihn Titch und zwei weitere Krieger erwarteten. Skar warf einen raschen, besorgten Blick in Titchs Gesicht. Die Oberlippe des Quorrl hatte aufgehört zu bluten, und es waren keine neuen Verletzungen hinzugekommen. Zumindest schien Titch nicht mißhandelt worden zu sein. »Fahs hat mich nicht angerührt«, sagte Titch. Es war wohl nicht sehr schwer gewesen, in Skars Gesicht zu lesen. »Er ist verrückt, und es macht ihm Freude, zu quälen. Aber er ist auch ein Feigling.«
»Der Quorrl, der uns... empfangen hat?«
Titch grinste schief und rieb sich mit Daumen und Zeigefinger über die aufgeplatzte Lippe. »Wenn du es so nennen willst...«
»Ihr scheint alte Freunde zu sein«, sagte Skar.
»Wir kennen uns«, gestand Titch. Er grinste noch immer, aber etwas in seinem Lächeln warnte Skar, nicht danach zu fragen, was der Quorrl gemeint hatte, als er Titch als Schlächter bezeichnete. Es war verrückt - aber je länger er den Quorrl kannte, desto weniger schien er über ihn zu wissen.
»Was haben sie mit dir gemacht?«
»Gemacht?« Skar zuckte mit den Schultern. »Nichts. In ein eiskaltes dunkles Loch geworfen und mich hungern lassen, aber sonst nichts. Ihr Quorrl scheint eine sonderbare Auffassung von Gastfreundschaft zu haben.«
»Manche von uns, ja«, sagte Titch. »Sei froh, daß du noch lebst. Ich habe nicht damit gerechnet, so weit zu kommen. Wäre es nach Fahs gegangen, wären wir draußen geblieben. Aber verteilt über die ganze Höhle.«
Skar lächelte flüchtig, aber er antwortete nicht mehr. Die vier Quorrl, die sie bewachten, mußten sie ohnehin für verrückt halten, wenn sie der Sprache mächtig waren, in der sie sich unterhielten. Aber Skar ließ sich von Titchs scheinbar lockerem Ton nicht eine Sekunde täuschen. Der Quorrl war so nervös wie er, wahrscheinlich mehr, denn er wußte sehr viel besser, mit wem sie es zu tun hatten. Sie versuchten beide nur, sich einzureden, daß es keinen Grund gab, Angst zu haben.
»Wer ist Rowl?« fragte er.
»Ihr Anführer«, antwortete Titch. »Du würdest ihn einen Räuberhauptmann nennen.«
»Und du?«
Titch überlegte einen Moment. »Einen Rebellen«, sagte er. »Aber auch einen Mörder. Er ist gefährlich, Skar. Laß dich nicht von seinem Äußeren täuschen, oder von seiner Art, sich zu geben. Nur ein Ungeheuer kann ein Heer von Ungeheuern führen.«
Das klang nicht besonders ermutigend, fand Skar. Aber was hatte er erwartet? Daß Fahs sie am Leben gelassen hatte, bedeutete nicht, daß sie es auch bleiben würden.
Das Geräusch der Tür und ein warnender Blick Titchs ließen ihn verstummen. Skar drehte sich bewußt langsam herum, sah aber im ersten Moment nichts, denn die Wächter versperrten ihm die Sicht. Erst, als die beiden Krieger respektvoll zur Seite traten, sah er Rowl.
Er begriff fast augenblicklich, was Titch gemeint hatte, als er ihn vor Rowl warnte.
Der Anführer der Bastarde sah absolut normal aus - für einen Quorrclass="underline" ein sieben Fuß hoher Gigant mit schuppiger grüner Panzerhaut und Schultern, hinter denen sich ein Mann von Skars Statur bequem zweimal verstecken konnte. Sein Gesicht war flach und reptilienhaft, gleichzeitig aber auch mit der Andeutung menschlicher Züge, und selbst seine Kleidung unterschied sich kaum von der der Krieger, die sie hierhergebracht hatten. Er trug keine Waffen. Nichts an diesem Quorrl wirkte irgendwie gefährlich oder auch nur ungewöhnlich.
Nichts - außer seinen Augen, dachte Skar.
Es waren die kalten, pupillenlosen Fischaugen eines Quorrl, die ihm aus dem flachen Echsengesicht entgegenstarrten, aber es waren auch die Augen eines Mannes, der die Macht kennengelernt hatte; nicht die Augen eines Wahnsinnigen, wie Fahs, oder eines Fanatikers, wie es Ian gewesen war. Rowls Blick war der eines Herrschers. Skar hatte Augen wie diese schon gesehen; in den Gesichtern unterschiedlichster Wesen aus verschiedenen Völkern und Kulturen, und doch waren sie irgendwie alle gleich gewesen: Es war der Blick eines Mannes, der vielleicht keine Willkür oder Ungerechtigkeit, aber auch ganz bestimmt keine Gnade kannte. Aus den Augenwinkeln fing er einen warnenden Blick Titchs auf und trat zur Seite, als Rowl näher kam; aber er tat es absichtlich langsam, ohne eine Spur von Furcht oder gar Unterwürfigkeit, und die Reaktion in Rowls Blick sagte ihm, daß er auf die einzig richtige Art gehandelt hatte.
»Du bist also Skar«, sagte der Quorrl, nachdem er stehengeblieben und Titch und ihn einige Sekunden lang abwechselnd angesehen hatte. »Der Skar?«
Skar nickte. Bei jedem anderen hätte er versucht, die gewichtige Betonung des ersten Wortes durch eine lässige Bemerkung oder einen Scherz zu entschärfen. Bei Rowl wäre dies ein Fehler gewesen. Wenn es überhaupt etwas gab, was dieser Quorrl respektierte, dann war es Stärke.
»Und du Titch?«
»Der Titch«, fügte Titch kalt hinzu. »Ehe du fragst, Bastard.« Rowl lächelte flüchtig. »Ich hätte nicht gefragt«, sagte er. »Vielleicht kennst du mich nicht, Titch. Ich dich dafür um so besser.« Er wandte sich wieder an Skar, blickte ihn sekundenlang durchdringend und mit leicht gerunzelter Stirn an und trat dann einen Schritt zurück, um mit ihnen beiden zugleich reden zu können, ohne ständig den Kopf zu drehen.
»Jetzt, nachdem ich mich davon überzeugt habe, daß ihr wirklich die seid, von denen Fahs behauptete, daß sie es sind«, begann er umständlich (Um Zeit zu gewinnen? dachte Skar. Und wenn ja, warum?), »frage ich mich um so mehr, warum ihr gekommen seid. Ihr müßt entweder besonders dumm sein - oder besonders verzweifelt. Ihr seid auf der Flucht vor dem Heer aus Ninga?«
»Auf der Flucht ja«, antwortete Titch. »Aber nicht vor diesen Tölpeln, die kaum wissen, an welcher Seite sie ein Schwert anfassen müssen.«
»Oh, ganz so dumm sind sie leider nicht«, antwortete Rowl betrübt. »Du bist nicht der einzige Krieger, den dieses Land jemals hervorgebracht hat, Titch. Aber wenn ihr nicht vor ihnen flieht, warum sind all diese Krieger dann draußen auf dem Plateau? Und die gut tausend anderen, die ihnen noch folgen?«
»Wenn du alles so genau weißt«, mischte sich Skar ein, »dann weißt du auch, warum die Krieger gekommen sind. Sie suchen Schutz, Rowl. Sie wollen sich deinen Männern anschließen. Dir.«
»Mir?« Rowl lachte leise, aber es klang nur kalt. »Du scherzt, Satai. Was bringt dich auf die Idee, daß ich auch nur so viel für sie tun würde?« Er schnippte mit den Fingern. »Hältst du mich wirklich für so dumm, dem gleichen Heer Unterschlupf zu gewähren, das noch vor zwei Jahren dort draußen lag, um Caran zu überrennen?«
»Es ist nicht mehr das gleiche Heer«, antwortete Skar.
»Und wenn.« Rowl machte eine wegwerfende Handbewegung. »Sie waren meine Feinde. Und jetzt sind sie die Feinde derer, die noch meine Feinde sind. Sie interessieren mich nicht.« Er schnitt Skar mit einer herrischen Geste das Wort ab, als er widersprechen wollte, und fuhr fort: »Aber ihr interessiert mich. Fahs sagt, ihr hättet eine Nachricht von Cron für mich?«
»Keine Nachricht«, antwortete Titch.
»Was dann?«
»Sein Wort, Rowl. Das du einlösen wirst. Cron und ich schlossen einen Handel, bevor er starb.«