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»Und aus diesem Grund hat Cron ihn auch getötet«, fügte Titch hinzu. »Ich glaube, er wollte es nicht einmal. Es ging alles sehr schnell.«

Rowl starrte ihn an. Sein Gesichtsausdruck verriet, daß er Skar und Titch kein Wort glaubte.

Aber dann geschah etwas Seltsames: Mißtrauen und Zorn verschwanden wie weggezaubert aus seinem Blick. Er beugte sich zu Titch herab, nahm ihm den Deckel der Truhe aus der Hand und ließ ihn unendlich behutsam wieder einrasten. Mit einer kraftvollen Bewegung richtete er sich wieder auf, scheuchte Titch ein Stück zurück und winkte die vier Krieger herbei, die ihn begleitet hatten. Die Quorrl postierten sich rechts und links der beiden Truhen und streckten die Hände nach den Tragegriffen aus.

»Einen Augenblick«, sagte Titch.

Rowls Kopf flog mit einem Ruck in die Höhe.

»Du hast bekommen, was du wolltest«, sagte Titch. »Was ist mit uns?«

»Warum fragst du?« fragte Rowl. »Reicht dir mein Wort nicht? Die beiden Menschen und du -«

»Davon rede ich nicht«, unterbrach ihn Titch. Er wies mit den gespreizten Fingern der linken Hand auf die Krieger, die hinter Rowl und seinen vier Begleitern eine dicht geschlossene Mauer bildeten. »Ich spreche von ihnen, Rowl.«

»Du kennst die Antwort auf diese Frage ebenfalls«, antwortete Rowl. Er zog eine Grimasse. »Ich muß verrückt geworden sein, dir und diesem Satai Zuflucht in Caran zu gewähren. Aber so verrückt, dich mit einem Heer einzulassen, bin ich nun wieder nicht.«

»Hast du Angst?« fragte Skar.

»Vielleicht«, sagte Rowl gleichmütig. »Ich möchte nicht als der Mann in die Geschichte Cants eingehen, der Caran verlor - durch Dummheit.«

»Es wäre dümmer, sie nicht einzulassen«, antwortete Skar. »Diese Männer stehen auf deiner Seite, du Narr. Begreif das endlich. Sie haben nichts mehr mit den Herrschern von Ninga zu tun!«

»Ich weiß«, sagte Rowl. »Wenn ich es nicht wüßte, wäre keiner von ihnen noch am Leben. Niemand kommt Caran auch nur auf drei Meilen nahe, ohne daß ich es will.«

»Dann laß sie ein!« verlangte Skar noch einmal. »Verdammt, Rowl, sieh dich doch um! Diese Krieger sind auf der Flucht! Auf der Flucht vor einem Feind, der auch dich angreifen wird, wenn er sie vernichtet hat!«

»Wenn das stimmt, ist es nur um so klüger, sie hierzulassen, Satai«, antwortete Rowl kalt. »Denn wenn es diesen Feind wirklich gibt, von dem du sprichst, dann wird er erst einmal sie überwinden müssen, nicht wahr?«

Die eiskalte Verachtung, die aus den Worten des Quorrl sprach, erfüllte Skar mit plötzlicher, kalter Wut. Er ballte die Faust, trat auf den Quorrl zu und beherrschte sich im letzten Moment. Rowl betrachtete ihn aufmerksam, völlig ohne Furcht, aber mit fast wissenschaftlichem Interesse.

»Du wirst jeden einzelnen dieser Männer noch bitter nötig haben«, sagte Skar. »Vielleicht stehst du schon morgen wieder hier und bittest sie, dir zu helfen. Ich hoffe, sie sagen nein.«

»Das hoffst du nicht wirklich«, antwortete Rowl spöttisch. »Doch ich weiß, was du meinst, Satai. Aber du täuschst dich. Die Tempelgarde -«

»Ich spreche nicht von der Garde, du Narr!« unterbrach ihn Skar. Aufgebracht deutete er nach Süden. »Irgend etwas kommt auf uns zu. Spürst du es nicht? Und es sind nicht nur diese paar Krieger aus Ninga.«

Rowl machte ein abfälliges Geräusch. »Selbst wenn du recht hättest, Satai, würde das nichts an meinem Entschluß ändern. Sie bleiben hier. Sie können bleiben, so lange sie wollen. Ich gewähre ihnen freien Unterschlupf in den Bergen. Nicht in Caran.«

»Du fühlst dich sicher, nicht?« sagte Skar. »Du glaubst, nichts könnte dir in deiner verdammten Höhlenfestung dort oben gefährlich werden. Aber du täuschst dich, Rowl. Die Macht, die jetzt in Ninga herrscht, wird nicht einmal euer Wächter aufhalten.«

»Was soll das heißen?« fragte Rowl lauernd. »Die Macht, die jetzt in Ninga herrscht?«

»Es sind längst nicht mehr die Tempelpriester, Rowl«, sagte Titch. Er sprach leise, aber in fast beschwörendem Tonfall, der Rowl sichtbar aufhorchen ließ. »Skar sagt die Wahrheit. In Ninga herrschen längst nicht mehr die Tempelpriester.«

»Ach?« sagte Rowl spöttisch. Das hieß - er versuchte spöttisch zu klingen, aber seine Stimme war hörbar unsicherer geworden. »Hat es eine Revolution gegeben, von der wir gar nichts gemerkt haben sollten?«

»Dein Spott wird dir im Hals steckenbleiben, wenn du ihnen gegenüberstehst«, sagte Skar ernst.

»So?« Rowl hatte Mühe, weiterhin gelassen zu erscheinen. »Und woher weißt du das, Satai? Hast du sie etwa gesehen, diese Feinde, vor denen selbst Titchs unbesiegbare Krieger zittern?«

»Ja«, antwortete Skar. »Das habe ich. Und Titch und Kiina hier auch.«

»Und wer sind sie?« fragte Rowl.

Skar sagte es ihm.

15.

Der gleiche Tag, aber später, und wieder im Inneren des Berges: sie befanden sich in Rowls Gemach, einem riesigen, halbrunden Raum, dessen Decke sich gute dreißig Fuß über ihren Köpfen spannte. Es war ein wenig heller hier drinnen als in den düsterroten Gängen und Katakomben Carans, denn Rowl hatte zusätzlich fast ein Dutzend Fackeln entzündet, deren knisterndes Feuer nicht nur das bedrückende Höllenlicht der Katakombenwelt vertrieb, sondern auch die warme Feuchtigkeit, die in den endlosen Gängen und Treppenfluchten nistete. Trotzdem fühlte sich Skar so unbehaglich wie in dem lichtlosen Gefängnis, in dem er seine ersten Stunden in Caran verbracht hatte. Es war nicht immer gut, zu sehen, wo man sich befand. Und diese Kammer... Sein Verdacht, daß Caran weder ein Berg noch natürlichen Ursprungs war, war fast zur Gewißheit geworden, schon auf dem Weg hier herauf. Es war schwer, sich ohne Anhaltspunkte und im Innern eines zyklopischen... Gebildes wie Caran zu orientieren, aber Skar war ziemlich sicher, daß sie sich dicht unterhalb der abgeflachten Spitze des Pyramidenberges befinden mußten. Rowl hatte sie durch Stollen und Gänge geführt, die scheinbar meilenlang gewesen waren: endlose Treppenfluchten hatten sich mit niedrigen, vollkommen leeren Gängen und schrägen Rampen abgelöst, und ein paarmal hatten sie klettern müssen; nicht, weil es die Erbauer Carans so vorgesehen hatten, sondern weil Teile der chtonischen Anlage zusammengebrochen waren - manchmal über primitive Treppen und Leitergerüste aus Holz, manchmal über steile Halden aus Trümmern und scharfkantigem Schutt. Caran war ein Alptraum; ein Alptraum aus Stahl und Rost, denn nichts hier war natürlichen Ursprungs. Der Berg war kein Berg, sondern ein Gebäude, ein tief in die Erde gerammtes Gegenstück zum flüsternden Turm im Herzen des Drachenlandes, nur größer; und unendlich viel älter. Auf dem Weg hier herauf hatte Skar die Last der Jahrhunderttausende gespürt, die an diesen Mauern vorübergegangen waren wie Stunden im Leben eines Menschen.

Seltsamerweise half ihm diese Erkenntnis nicht, mit dem Unwohlsein fertig zu werden, das Caran ihm einflößte. Das Wissen, daß dies ganz und gar kein magischer Ort war, sondern nur ein weiteres Überbleibsel aus der phantastischen Welt der Alten hätte ihn beruhigen müssen, aber das genaue Gegenteil war der Fall. Skar kam sich eingesperrt vor, lebendig begraben in einer riesigen Falle aus Metall und erstarrter Zeit.

Caran war nicht tot, das fühlte er. Die titanischen Wände aus Stahl, von Jahrhunderttausenden oder auch -millionen in zusammengebackene Gebilde aus scharfkantigem Rost verwandelt, die uralte, verbrauchte Luft, die zum Husten reizte und ihm trotz der allgegenwärtigen Feuchtigkeit immer das Gefühl gab, Durst zu haben, die toten Dinge, unverständliche Hinterlassenschaften einer Kultur, deren Denken so fremd wie ihre Architektur unangenehm gewesen war, das alles suggerierte dem Betrachter das Gefühl von Verfall und Tod. Aber es war falsch. So zerfallen und leer dieses Gebilde auch sein mochte, etwas war hier, etwas, das lebte, oder zumindest existierte. Es hatte nicht einmal lange gedauert, bis Skar begriffen hatte, woher dieses Gefühl kam: obwohl äußerlich vollkommen verschieden, erinnerte ihn Caran doch an Ennarts Turm im Tal der Drachen. Es war das gleiche Gefühl des ständig Belauertwerdens, das gleiche Empfinden unsichtbarer böser Augen, die ihn aus Ecken und Winkeln heraus anzustarren schienen, gesichtslose Dämonenfratzen, die ihn von den Wänden herab angrinsten und blitzartig verschwanden, wenn er versuchte, genauer hinzusehen.