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»Vielleicht«, sagte Rowl. »Aber vielleicht auch nicht. Vielleicht wird alles ein wenig besser.«

»Ennarts Turm brach zusammen, als er versuchte, ihn zu erwecken.«

»Ennart war ein Narr, nach allem, was ihr mir erzählt habt«, antwortete Rowl. »Er mag die Macht eines Gottes gehabt haben, aber er war dumm.«

»Ihr müßt weg!« sagte Skar. Plötzlich wußte er, daß ihn sein Gefühl nicht getäuscht hatte - etwas war hier, eine ungeheuerliche Gefahr, die nicht einmal halb so verborgen war, wie er bisher geglaubt hatte, sondern sich ganz offen zeigte. Sie alle - ihn eingeschlossen - waren noch nicht in der Lage, sie zu erkennen, aber er wußte auch, daß es zu spät sein würde, wenn es ihnen gelang. Es war wie Drasks Turm - die Falle war vielleicht einfach zu offensichtlich, um sie zu sehen.

»Das können wir nicht, Satai«, antwortete Rowl.

»Aber ihr könnt nicht hierbleiben!«

»Und wir können auch nirgendwo hingehen.« Rowl seufzte und drehte sich herum. Skar hörte, wie er wieder zur gegenüberliegenden Wand zurückging. Sekunden später erlosch das Bild an der Wand.

Trotzdem dauerte es noch lange, ehe er sich vom Anblick des wieder matt gewordenen Zauberspiegels losreißen und zu Rowl umdrehen konnte.

»Es gibt keinen Ort, an den wir gehen könnten«, sagte Rowl noch einmal. »Ich weiß es, und Titch weiß es ebenso. Und auch du solltest es wissen, wenn du wirklich der Mann bist, für den ich dich halte.«

»Das ist Unsinn!« widersprach Skar. »Ninga -«

»Ninga!« Rowl machte eine wegwerfende Handbewegung. »Oh, ich weiß - wir könnten uns Titchs Heer anschließen und Ninga im Sturm nehmen. Wir könnten es sogar ohne Titchs Hilfe tun. Wir hätten Ninga auch schon vor einem Jahr erobern können, oder vor hundert. Aber was hätte das geändert?«

»Ich ... verstehe nicht...«, sagte Skar hilflos.

»O doch, Satai, das tust du«, sagte Rowl. »Was würde es nutzen? Wir könnten die Herrscher in Ninga besiegen. Wir könnten Cant mit Gewalt erobern. Das hätten wir schon immer gekonnt. Caran ist nicht leer, Satai. Es gibt Waffen hier. Waffen wie die der Ehrwürdigen Frauen, und schlimmere. Niemand könnte uns widerstehen. Aber was haben wir zu gewinnen?«

»Die Freiheit«, sagte Skar.

»Freiheit?« Rowl lachte über das Wort wie über einen schlechten Scherz. »Welche Freiheit, Satai? Die Tyrannenherrschaft der Tempelpriester durch eine andere Tyrannenherrschaft zu ersetzen? Zu tyrannisieren, statt tyrannisiert zu werden? Zu verfolgen, statt verfolgt zu werden? Denk nach, Satai! Bist du mit allen Herrschern einverstanden, draußen, in eurem Teil der Welt?«

»Natürlich nicht«, antwortete Skar.

»Und gibt es ein Land in eurer Welt, das den Satai hätte widerstehen können, hätten sie sich zusammengeschlossen und es angegriffen?« Er beantwortete seine eigene Frage mit einem Kopfschütteln, bevor Skar auch nur reagieren konnte. »Natürlich nicht. Warum also sollten wir es tun? Es gibt dort draußen nichts für uns zu gewinnen, Satai. Wir leben, es gibt niemanden, der über uns bestimmt. Hier sind wir frei. Dort draußen blieben wir ewig Gejagte, auch als Herren.«

»Wenn es Ninga nicht mehr gibt -«

»Es sind nicht die Priester im Goldenen Tempel«, unterbrach ihn Rowl. »Es ist das Volk der Quorrl selbst, das uns nicht will, begreif das doch. Wir wären ewig ausgestoßen; Verfemte, selbst auf dem Thron Cants. Sollen wir das gegen unsere Freiheit eintauschen?«

Freiheit? dachte Skar. Die Freiheit, lebendig in einem berggroßen Sarg aus Stahl eingeschlossen zu sein, der langsam, aber unerbittlich, ihre Seelen vergiftete? Wenn das Freiheit war, war er nicht sicher, daß es sich lohnte, dafür zu kämpfen.

Aber er sprach nichts von alledem aus. Rowl hatte ihn nicht zurückgehalten, um Antworten zu bekommen, das begriff er plötzlich. Er hatte nur jemanden gebraucht, der zuhörte.

»Bitte laß dir nicht zu viel Zeit«, sagte er.

»Natürlich nicht«, antwortete Rowl. »Aber deine Sorgen sind unbegründet. Du wirst nicht sterben, solange du in Caran bist. Niemand hier wird krank oder altern.«

Das hatte Skar gar nicht gemeint. Die Sorge um sein eigenes Leben war sein geringstes Problem. Die Dinge hatten sich längst zu schnell und zu gewaltig entwickelt, als daß die Mächte, die sie lenkten, es zulassen würden, daß er einfach starb und damit vielleicht den Lauf der Geschichte änderte. Trotzdem sah er Rowl verwirrt und zweifelnd an. »Was meinst du damit?«

»Das, was ich sage«, antwortete Rowl, plötzlich wieder lächelnd. »Es ist so. Niemand weiß, warum, aber es ist die Wahrheit. Und nun geh - bitte. Geh zu Titch und sag ihm, daß ihr meine Entscheidung binnen zweier Tage bekommt.«

16.

Rowl hatte Titch, Kiina und ihm drei nebeneinanderliegende Kammern zugewiesen, aber Skar fand die beiden anderen zu seiner Überraschung zusammen, und als wäre das allein noch nicht genug, fand er sie in einem vertrauten Gespräch; Kiina lächelte sogar, als er eintrat, wurde aber sofort ernst, kaum daß sie ihn erkannte. Ihre Hand hatte in der des Quorrl gelegen. Jetzt zog sie die Finger auf eine fast schuldbewußte Art wieder zurück.

Der Anblick erfüllte Skar mit einem absurden Gefühl von Eifersucht, das wiederum Zorn nach sich zog - Zorn auf sich selbst und seine völlig widersinnige Art, zu reagieren. Er hätte froh sein müssen, die beiden so zu sehen. Nach dem, was Titch vor zwei Tagen mit Kiina und ihm getan hatte, hatte er mit allem gerechnet; einschließlich eines Messers, das Kiina dem Quorrl zwischen die Schulterblätter stieß. Nur nicht damit, die beiden wie alte Freunde nebeneinander sitzen zu sehen.

Er verscheuchte den Gedanken, schloß die Tür hinter sich und ließ sich auf eines der sonderbaren Sitzmöbel sinken, ehe er auf Titchs fragenden Blick reagierte.

»Was hat er gewollt?« fragte der Quorrl.

»Rowl?« Skar machte eine nichtssagende Handbewegung, um Zeit zu gewinnen. »Nichts Besonderes«, sagte er. »Wissen, ob du die Wahrheit sagst. Er war wohl der Meinung, einen menschlichen Lügner leichter zu durchschauen als einen aus seinem eigenen Volk.«

Das war nicht die Antwort, die Titch hatte hören wollen. Seine Miene verfinsterte sich. Aber er ging mit keinem weiteren Wort darauf ein, sondern drehte sich brüsk weg und starrte die Wände an. Skar spürte, daß die Kluft zwischen ihnen wieder um eine Winzigkeit breiter geworden war. Er fragte sich für einen Moment selbst, warum er Titch belogen hatte. Vielleicht war es nur ein Gefühl gewesen, die Ahnung, daß es besser war, wenn Titch nicht alles über Rowl wußte. In letzter Zeit ließ er sich ohnehin mehr von Ahnungen und Gefühlen leiten als von seinem Verstand.

»Zwei Tage«, fügte er nach einer Pause hinzu. »Er hat mir versprochen, sich binnen zwei Tagen zu entscheiden. Immerhin.«

»Dann müssen wir fliehen.«

Die Entschlossenheit in Kiinas Stimme ließ Skar verwundert aufsehen. »Warum?«

»Weil wir keine zwei Tage mehr haben«, antwortete Kiina. »Die Reise bis Ninga dauert fünf Tage. Zusammen mit den zweien, die dieser idiotische Quorrl braucht, um sich zwischen Überleben oder Sterben zu entscheiden, macht das sieben.«

»Wie hast du das so schnell ausgerechnet?« fragte Skar lächelnd.

Sein Spott prallte von Kiina ab. »So viel Zeit bleibt uns nicht«, sagte sie noch einmal. »In sieben Tagen -«

»- bin ich tot?«

Kiina senkte betreten den Blick. Ihre Hände begannen an den Falten ihres Mantels zu zupfen, und plötzlich schien sie nicht mehr zu wissen, wohin damit. Sie war nervös, und in ihrem Gesicht arbeitete es, obgleich sie sich alle Mühe gab, sich zu beherrschen. Skar glaubte plötzlich zu wissen, worüber Titch und sie geredet hatten, als er hereinkam.