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Die Erleichterung war so gewaltig, daß Skar abermals taumelte und gestürzt wäre, hätten ihn nicht die Metallstäbe des Gitters hinter ihm aufgefangen. Stöhnend sank er in die Knie, blieb zwei, drei Sekunden lang mit geschlossenen Augen hocken und stemmte sich mühsam wieder in die Höhe. Er war so schwach, daß er das Tschekal als Krücke benutzen mußte, um sich überhaupt zu erheben.

Nein, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf. Nicht so.

Als er die Augen öffnete, stand die Sternenbestie vor ihm. Ihr Anblick erschreckte ihn nicht. Der Daij-Djan hatte sich verändert, auf eine Art, die Skar nicht in Worte zu fassen vermochte: er war noch immer das kleine schwarze Scheusal, als das er ihn kannte und haßte, ein tödliches Ding aus Horn und reißenden Klauen, und trotzdem ... anders. Finsterer. Drohender. Präsenter. Aus dem flüsternden Versucher, der trotz seiner mörderischen Kraft und des Todes, den er brachte, eigentlich niemals mehr als ein Schatten gewesen war, war ein Etwas geworden, die Idee, die der Daij-Djan war, hatte einen Körper bekommen.

Aber das war es nicht. Skar registrierte die unheimliche Veränderung, die mit dem Daij-Djan vonstatten gegangen war, sehr wohl, aber er verschwendete kaum mehr als einen flüchtigen Gedanken daran.

Er hatte keine Angst mehr vor ihm. Skar starrte die Sternenbestieg an und wartete auf das kalte Entsetzen, das ihn jedesmal bei ihrem Blick ergriffen hatte. Aber es kam nicht.

Vielleicht zum allerersten Mal, seit er dem Ungeheuer aus den Abgründen der Zeit begegnet war, hatte er keine Angst vor ihm. Im Gegenteil - es war absurd, und es war auf seine eigene Art ebenso grausam wie das, was er dem Quorrl angetan hatte - aber das Erscheinen des Daij-Djan erleichterte ihn.

Es war nicht so, daß er sich an den Anblick des Ungeheuers gewöhnt hatte, denn er war etwas, woran man sich nicht gewöhnen konnte, und das beim tausendsten Mal so entsetzlich und furchteinflößend war wie beim allerersten, und der Teil von Skar, der noch Mensch war, krümmte sich unter seiner bloßen Anwesenheit zusammen wie ein getretener Wurm - aber er ließ ihn auch gleichzeitig begreifen, daß nicht er es gewesen war, der den Quorrl auf so furchtbare Weise getötet (getötet? Er hatte ihn geschlachtet!) hatte, sondern der Daij-Djan, seine furchtbare, finstere Macht, die Skars Hand gelenkt hatte wie die einer Marionette.

Aber das stimmt doch gar nicht, Bruder, sagte der Daij-Djan, der seine Gedanken las. Du hast es genossen.

»Das ist nicht wahr«, sagte Skar. Seine Stimme zitterte. Plötzlich hatte er kaum noch die Energie, das Schwert zu halten. Abermals ließ er sich gegen das Metallgitter sinken, legte den Kopf in den Nacken und preßte den Schädel so fest gegen die eisernen Stäbe, bis ihm der Schmerz die Tränen in die Augen trieb. Der Daij-Djan lachte, ein lautloses, unglaublich böses Geräusch, das stärker und stärker anschwoll, bis es Skars Schädel ausfüllte wie das Heulen eines Höllensturms, ihn fast zum Bersten zu bringen schien. Skar stöhnte. Seine Hand zitterte, und sein Herz hämmerte so schnell und ungleichmäßig wie eine defekte Maschine, die aus dem Takt gekommen war.

Und dann hörte er etwas. Ein Geräusch, so leise, daß er es mehr spürte als wirklich wahrnahm, und das doch irgendwie durch das brüllende Gelächter des Daij-Djan drang. Es war ein leises Wimmern, wie das Weinen eines Kindes.

Skar zwang sich, die Augen zu öffnen und den Daij-Djan anzusehen, ihn und das wimmernde Bündel aus Blut und zerschlagenen Schuppen auf dem Boden neben ihm, und plötzlich begriff er, daß es die Stimme des Quorrl war, die er hörte. Er lebte noch.

Nach allem, was er ihm angetan hatte, lebte er immer noch. Und er litt. Skar konnte seinen Schmerz fühlen, die unbeschreibliche Qual, die jede Sekunde neu für ihn brachte, in der der Tod nicht zu ihm kam. Und er konnte ebenso deutlich fühlen, wie sich der Daij-Djan an seinem Schmerz labte, ihn in sich aufnahm wie ein saugendes Ungeheuer das Blut seines Opfers. Der Daij- Djan - und er selbst. Etwas in ihm hatte es gewollt und wollte es immer noch.

Mit einer Kraft, von der er selbst nicht mehr wußte, woher er sie noch nahm, ergriff er sein Schwert neu und fester, wankte an dem Daij-Djan vorbei und stieß dem Quorrl die Klinge ins Herz. Das entsetzliche Wimmern erlosch, und wo bisher der Widerhall unbeschreiblicher Qual gewesen war, spürte Skar für einen unendlich kurzen Moment eine tiefe Erleichterung. Dann nichts mehr.

Wie edel, sagte der Daij-Djan spöttisch. D hast ihn von seinen U Schmerzen erlöst. Nachdem du sie ihm zugefügt hast. Skar fuhr herum, riß mit einem Schrei das Schwert in die Höhe und ließ den Arm wieder sinken, als ihm klar wurde, wie sinnlos es war, die Sternenbestie mit dieser Waffe angreifen zu wollen. »Ich ... war das nicht«, sagte er unbeholfen. »Ich habe es nie gewollt. Nicht das!«

Bist du sicher? Der Daij-Djan starrte aus seinem schrecklich flachen Nicht-Gesicht zu ihm hoch und hob die Hand. Seine Klaue deutete auf den hinteren Teil des Verlieses, den Bereich hinter der Gitterwand, in dem Crons Gefangene untergebracht waren.

Sieh dorthin, Bruder, sagte er. Sieh dorthin, und dann sag noch einmal, daß du es nicht wolltest.

Fast gegen seinen Willen drehte Skar sich um und blickte in die Richtung, in die die Klaue des Ungeheuers wies.

Hinter den Gitterstäben rührte sich nichts.

Erst jetzt, als hätte sein Bewußtsein zwar alle Eindrücke aufgenommen und registriert, sie aber im Moment der unmittelbaren Gefahr als unwichtig eingestuft und unterdrückt, fiel ihm auf, wie still es trotz allem hier unten war. Er hatte selbst einen Tag und eine Nacht zwischen Crons Gefangenen verbracht, und er hatte mehr als einmal erlebt, wie sie jedesmal in Panik gerieten, wenn ein Quorrl das unterirdische Verlies betrat. Er begriff erst jetzt, daß er nicht den mindesten Laut gehört hatte, während er mit den Quorrl kämpfte, und etwas in ihm hatte auch die ganze Zeit über gespürt, was diese fürchterliche Stille zu bedeuten hatte, denn er fühlte nicht einmal Schrecken, sondern nur Entsetzen und Zorn und ein schmerzhaftes Akzeptieren dessen, was er längst gewußt hatte.

Die Gefangenen waren tot.

Die Quorrl, die er erschlagen hatte, waren keine Wächter gewesen, sondern das Exekutionskommando. Die zwei Dutzend Männer und Frauen, die zu befreien er zurückgekommen war, lagen enthauptet auf dem Boden ihres Gefängnisses, säuberlich in drei Reihen nebeneinander und an Händen und Füßen gefesselt. Sie mußten schon lange tot sein; vielleicht Stunden. Das Blut, das das faulige Stroh auf dem Boden schwarz gefärbt hatte, war schon trocken. Es war alles umsonst gewesen.

Und sinnlos, flüsterte der Daij-Djan in seinen Gedanken. Sie waren schon tot, als ihr den Hof verlassen habt.

Mühsam drehte sich Skar wieder zu der Bestie um und sah sie an.

»Was willst du?« fragte er.

Dich.

»Mich?« Skar lachte; im ersten Moment aus bloßem Spott, dann wirklich, als ihm klar wurde, welchen Anblick sie bieten mußten, der Daij-Djan, die blutgierigste Bestie, die die Schöpfung jemals hervorgebracht hatte, und er: ein verkrüppelter, alter, sterbenskranker Mann, der kaum noch die Kraft hatte, sich auf den Beinen zu halten.