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»Satai!« Die Stimme des Ssirhaa schien direkt aus dem Bild zu dringen, und sie war wie das Dröhnen zusammenstürzender Berge. Es war keine Einbildung: obwohl Skar noch immer wie erstarrt dastand und das goldene Gesicht auf dem Zauberspiegel ansah, hätte er sich vor Schmerzen gekrümmt, hätte er es gekonnt. Rechts und links von ihm schlugen die Quorrl gequält die Hände vor die Ohren, aber das nutzte ihnen nichts, denn die Stimme des Ssirhaa erklang direkt in ihren Köpfen. Vielleicht hören sie es alle, dachte Skar. Vielleicht gab es niemanden in diesem stählernen Berg, der die Stimme des zornigen Gottes nicht hörte.

»Satai!« rief Ennart noch einmal, und fast noch lauter und mit vernichtenderer Kraft als das erste Mal. »Ich weiß, daß du mich hörst! Ich weiß, daß du dort bist! Komm heraus! Komm hierher, oder alle, die bei dir sind, werden sterben!«

Der Blick der riesigen goldenen Augen saugte sich an Skars Gesicht fest, und plötzlich war Skar sicher, daß Ennart ihn sah. Er wußte nicht wie, und er wußte nicht, woher dieses Wissen kam, aber es gab keinen Zweifel daran. Vielleicht war er doch ein Gott.

»Ich bin nicht gekommen, um zu töten, Satai«, fuhr Ennart fort. »Ich will dich, Satai - nicht Titch oder Rowl oder die Bastarde. Nur dich. Das Mädchen und die anderen sind frei, wenn du zu uns kommst.«

»Tu es nicht, Skar«, sagte Kiina mit zitternder Stimme. »Das ist eine Falle!«

»Caran ist eine Festung!« fuhr Ennart fort. »Ich weiß das. Und ich weiß auch, wie stark sie ist. Nicht einmal mir würde es leichtfallen, sie zu erobern - aber ich werde es tun, wenn du mich dazu zwingst. Viele gute Männer werden dabei sterben - auf beiden Seiten. Willst du das, Satai?«

»Nein«, murmelte Skar. »Ich komme, Ennart.« Seine Hand glitt zum Gürtel, fand die leere Schwerthülle und schloß sich darum. Er hatte gewußt, daß er sein Tschekal noch einmal brauchen würde, aber er hatte nicht gewußt, daß es so bald sein würde, und so.

»Er kann dich nicht hören«, sagte Rowl.

»Ich gebe dir eine Stunde«, sagte Ennart. »Bist du bis dahin nicht hier, greifen wir an.«

»Das ist nicht nötig, Ennart«, antwortete Skar. »Ich werde da sein. Du hast gewonnen.« Er drehte sich um, blickte in Rowls Gesicht und hob die Hand. »Mein Schwert.«

»Du... du willst doch nicht wirklich dort hinausgehen?« murmelte Rowl. Er sprach schleppend. Seine Stimme klang belegt und war von der gleichen Mischung aus Schrecken, Faszination und Lähmung erfüllt wie sein Blick.

»Mein Schwert«, wiederholte Skar.

Rowl hob den Arm und gab einem seiner Krieger einen Wink. Der Quorrl entfernte sich mit schnellen Schritten, um Skars Waffe zu holen. Keiner von ihnen sprach ein Wort, bis er zurücckam und Skar das Tschekal überreichte. Skar schob die Waffe in seinen Gürtel, wandte sich ohne ein weiteres Wort um und ging. Aber dann streifte sein Blick Titchs Gesicht, und er zögerte noch einmal. Er wußte selbst nicht genau, warum. Titch war vielleicht von allen hier der einzige, der wirklich wußte, warum er ging. Nicht aus Angst vor dem Ssirhaa oder aus Sorge um Rowl und seine Bande von Halsabschneidern und Mördern. Der wahre Grund war, daß er Titch sein Wort gegeben hatte. Es wird sich nicht wiederholen. Caran würde frei bleiben; selbst um den Preis seines eigenen Lebens. Vielleicht wartete er darauf, daß Titch ihn von seinem Wort entband, für den Bruchteil einer Sekunde. Dann, ehe Titch es vielleicht wirklich tun oder einer der anderen etwas sagen konnte, was ihn womöglich doch noch zurückhielt, wandte er sich brüsk um und ging zur Tür.

20.

Er brauchte viel länger als die vereinbarte Stunde, um den Fuß des Bergmassivs zu erreichen, in das Caran hineingebaut war: die Höhle und das Felsplateau waren voller flüchtender Quorrl gewesen, die ihm entgegenkamen und es ihm fast unmöglich machten, auch nur von der Stelle zu kommen. Die Frist, die Ennart ihm gegeben hatte, war längst abgelaufen, ehe er auch nur aus dem Berg heraus war, und sie verstrich ein weiteres Mal, bis es ihm gelang, das Felsplateau zu überwinden und den eigentlichen Abstieg zu beginnen.

Aber Ennart griff nicht an. So, wie er Skar durch den magischen Spiegel hindurch gesehen hatte, schien er auch jetzt zu wissen, daß er auf dem Wege zu ihm war. Vielleicht las er ja seine Gedanken. Drask hatte es gekonnt - wieso sollten die, die die Zauberpriester geschickt hatten, nicht über die gleiche Macht verfügen?

Aber Skar gestattete sich auch diesmal nicht, diesen Gedanken weiter zu verfolgen. Wenn es so war, dann wäre es ohnehin müßig, noch irgend etwas tun zu wollen - welche Chance hatte er gegen einen Gegner, der seine geheimsten Wünsche und Pläne kannte, im gleichen Moment, in dem sie in seinem Kopf entstanden ...

Oder der unsterblich ist, Bruder?

... und wenn es nicht so war - nun, er hatte Ennart schon einmal getötet, unter Voraussetzungen, die nicht viel besser gewesen waren als heute. Und er hatte nicht vor, sein Leben zu verschenken.

Sein Blick suchte die Schatten zwischen den Felsen ab, die den Weg flankierten. Hier und da glaubte er eine Bewegung wahrzunehmen, aber es war jedes Mal nur ein Schatten oder eine Sinnestäuschung, wenn er genauer hinsah. Ennart schien Wort gehalten zu haben: die Garde hatte die flüchtenden Quorrl nicht verfolgt.

Dann begriff er, daß es gar nicht die Quorrl aus Ninga waren, nach denen er suchte. Wonach er mit klopfendem Herzen Ausschau hielt, das war ein dürres schwarzes Ding ohne Gesicht und mit tödlichen Klauen, sein schwarzer Schutzengel, von dem er sich vergeblich einzureden versuchte, daß er Angst vor seinem Anblick hätte. Das hatte er längst nicht mehr - ganz im Gegenteil. Er sehnte ihn fast herbei. Und nicht erst seit heute. Vielleicht hatte es erst dieser dramatischen Entwicklung bedurft, damit er bereit war, sich selbst gegenüber die Wahrheit einzugestehen: er hatte längst damit angefangen, mit der Kraft des Daij-Djan zu kalkulieren. Du brichst unser Abkommen, Bruder. Du tust es unentwegt, denn du zwingst mich, dich zu beschützen, ohne den Preis zu bezahlen.

Aber irgendwie wußte er, daß es jetzt soweit war. Der Daij-Djan war da. Er war ganz nahe, so nahe bei ihm wie vielleicht nie zuvor. Skar spürte sein Dasein, und er spürte die entsetzliche Kraft, die ihn begleitete, bereit, auf ein Wort, einen Gedanken hin auf ihn überzugehen. Noch nicht, Bruder, dachte er. Noch nicht. Aber bald.

Bald.

Der Daij-Djan flüsterte lautlos seine Zustimmung, und die Schatten rings um Skar wurden wieder ein wenig heller. Er fühlte sich stark. Allein das Wissen, selbst Ennart überlegen zu sein, wenn er es nur wollte, verlieh ihm neue Kräfte.

Der Ssirhaa erwartete ihn allein. Seine beiden Begleiter und er waren von den Rücken ihrer zyklopischen Reittiere gestiegen, aber es war nur Ennart, der ihm entgegenkam. Die beiden anderen Riesengestalten hatten sich ein Stück zurückgezogen; ebenso wie ihre Tiere. Zusammen mit den Quorrl, die sich in respektvollem Abstand zu den riesigen Drachenwesen versammelt hatten, bildeten sie fast so etwas wie eine lebende Arena, als wären sie bemüht, einen würdigen Rahmen für das Zusammentreffen zwischen Skar und ihrem Herrn zu schaffen.

Skars Blick glitt flüchtig über die Gesichter der Quorrl-Soldaten. Nur wenige blickten in seine Richtung. Die meisten starrten die beiden schwarzgepanzerten Riesen und ihre entsetzlichen Reittiere an, und plötzlich begriff Skar, daß auch diese Krieger vor Angst halb wahnsinnig waren. Ihre Furcht vor Ennart und seinen Begleitern war kein bißchen kleiner als die der Quorrl in Caran oder die von Titchs Kriegern.