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»Es ist zu spät, Skar«, sagte er. »Die Sternenkreatur ist bereits zu stark. Sie wird erwachen, so oder so. Bald!«

»Und du fürchtest, daß ihr ihrer nicht mehr Herr werdet«, vermutete Skar. »Ist es so?«

»Vielleicht«, gestand Ennart mit überraschender Offenheit ein. »Ja, vielleicht hattest du recht mit dem, was du mir im Tal der Drachen prophezeit hast. Die Kreatur ist stark, viel stärker, als wir glaubten. Die Zerstörung des Turmes kam zu spät. Vielleicht verlieren wir die Kontrolle über sie, wenn sie erst einmal wirklich erwacht ist. Was nicht heißt«, fügte er etwas lauter und mit deutlich veränderter, jetzt wieder durch und durch hochmütiger Stimme hinzu, »daß wir sie fürchteten. Wir haben sie erweckt, und wir können sie auch wieder zerstören. Jederzeit.«

»Und euch damit eure einzige Waffe nehmen?« fragte Skar spöttisch.

»Das ist sie nicht«, antwortete Ennart, und wieder wußte Skar mit unerschütterlicher Gewißheit, daß der Ssirhaa die Wahrheit sagte. »Es ist unsere einzige Waffe, euch zu besiegen, Mensch. Die anderen würden euch vernichten. Willst du das?«

»Ich will wissen, warum du hier bist!« sagte Skar, ohne direkt auf Ennarts Frage zu antworten. Seine Stimme zitterte. Die Berge schienen sich um ihn zu drehen. Alles wurde unwirklich. Etwas ... nagte an seinen Gedanken. Da war ein Wissen, ein unerschütterliches, uraltes Wissen, tief in ihm, das ihm sagte, daß Ennart nicht log. Daß er nur die Wahl hatte, diesen Bestien Enwor kampflos zu übergeben, oder zuzusehen, wie sie es zerstörten. War denn alles, was er tat, falsch?!

»Um dir eine letzte Chance zu geben, Skar«, antwortete Ennart. »Dir und dieser ganzen Welt. Enwor wird uns gehören. Wir werden es neu schaffen, so wie es war, ehe deine Vorfahren kamen und es uns wegzunehmen versuchten. Es spielt keine Rolle, ob es eine tote oder eine lebende Welt ist, die wir neu formen. Aber wir wollen euren Tod nicht.«

»Unseren Tod. Du meinst -«

»Was Elay vernichtete«, unterbrach ihn Ennart leise, »könnte auch anderen Städten widerfahren. Ikne. Ninga. Oder Caran, in dem ihr euch sicher fühlt. Das Sternenfeuer ist keine Legende, Skar. Es existiert, und es liegt in unserer Macht, es zu entfesseln. Willst du das? Willst du, daß ganz Enwor verbrennt?«

Skar schauderte. Er dachte an eine Stadt voller toter Errish, eine Stadt voller grauem Staub, der tötete, sofort und barmherzig wie Kiinas Schwestern, oder langsam und qualvoll, wie die Margoi. Und ihn. »Das ... das würdet ihr nicht tun«, sagte er. »Wir haben keine andere Wahl mehr, Skar«, sagte Ennart traurig. »Die Kreatur ist bereits zu stark. Wir können ihr Erwachen nicht mehr verhindern, selbst, wenn wir es wollten.«

»Ich dachte, ihr wärt allmächtige Götter«, sagte Skar voller bösem Hohn.

»Wir waren es, und wir werden es wieder sein«, antwortete Ennart. »Aber die, die die Sternenkreatur erschaffen haben, waren ebenso mächtig wie wir. Sie ist stark. Unendlich stark und voller Bosheit und Haß auf alles Leben. Und wenn sie den Zauber bricht, den wir um ihren Geist gewoben haben...«

Er brach ab, sah Skar sekundenlang durchdringend und stumm an und machte eine komplizierte Bewegung mit der linken Hand, die zugleich Skar als auch den Kriegern hinter ihm galten. Skar hörte, wie sich die Quorrl wieder zurückzogen.

»Nun?« Ennart machte eine weitere Handbewegung, die diesmal ihm galt.

»Du ... läßt mir keine große Wahl, wie?« fragte Skar; eigentlich nur, um Zeit zu gewinnen. Er war verwirrt, verstört und erschrocken wie niemals zuvor im Leben. Was Elay vernichtet hat, könnte auch andere Städte treffen. Die Drohung war ernst gemeint. Sie würden tun, was Ennart ihm prophezeite, wenn er nicht...

... die verriet, die ihm vertrauten? Er dachte an das Versprechen, das er Titch gegeben hatte, und das zweite, gewichtigere, das er sich selbst gegenüber abgelegt hatte.

»Nein«, sagte er. Seine Hand sank wieder auf das Schwert, und als er zu Ennart aufsah, war etwas in seinem Blick, das dem Ssirhaa klarmachte, wie ernst er seine Worte meinte. »Du kannst mich zwingen, dich zu begleiten, aber du kannst mich nicht zwingen, euch zu helfen. Töte mich, oder laß mich gehen.« Der Ausdruck von Trauer in Ennarts Blick vertiefte sich, und für eine Sekunde fragte sich Skar, ob nicht er es war, der sich irrte. Er hatte die Unfehlbarkeit nicht gepachtet. Vielleicht hatte er von Anfang an auf der falschen Seite gestanden, und es waren die Ssirhaa, die im Recht waren; ganz einfach, weil man eine Welt nicht stehlen konnte wie einen Edelstein oder ein Stück Land.

»Das ist dein letztes Wort?« vergewisserte sich Ennart.

Und vielleicht war es das, diese... ja: beinahe Verzweiflung, die aus Ennarts Worten sprach, die Skar endgültig überzeugte, daß das Wesen mit der goldenen Haut kein Gott war. Ein Gott bat nicht, wo es nichts mehr zu bitten gab.

Ohne zu antworten, drehte sich Skar herum und ging langsam den Weg zurück, den er gekommen war; angespannt, gefaßt auf das Peitschen von Bogensehnen und den heißen Schmerz, der Sekundenbruchteile danach kommen mußte. Ein unsichtbarer Schatten schien sich zu ihm zu gesellen, aber der Daij-Djan schwieg, als wisse er, daß auch er verloren hatte, daß Skar sich nicht mehr wehren würde, wenn Ennart jetzt den Befehl gab, ihn zu töten.

Aber der tödliche Pfeil kam nicht. Ungehindert erreichte Skar den ersten Felsen und ging weiter.

»Satai!«

Er hatte sich vorgenommen, sich nicht noch einmal umzudrehen, ganz gleich, was geschah, aber in Ennarts Stimme war eine so zwingende Macht, daß er doch stehenblieb und zu dem Ssirhaa zurücksah. Ennarts Gestalt hatte nichts Göttliches mehr, aus zwanzig Schritten Entfernung betrachtet. Er wirkte nur klein und verloren und so hilflos, wie sich seine Stimme angehört hatte.

Was Skar schaudern ließ, das war nur noch die Erinnerung an das, was er gesagt hatte: Was Elay zerstört hat, kann auch andere Städte treffen. Für einen kurzen, entsetzlichen Moment glaubte er, eine furchtbare Veränderung an dem Ssirhaa zu sehen: sein Körper schien sich aufzulösen, zu einem tobenden Chaos aus Millionen und Abermillionen winziger wirbelnder Funken zu werden, ein lodernder Dämon aus Feuer, der die Welt in Brand stecken würde.

Hatte er es wirklich gesehen? Skar zweifelte jetzt daran. Er war nicht mehr sicher, ob es den Flammendämon in Ennarts Turm wirklich gegeben hatte, oder ob es nur eine Warnung gewesen war, eine verschlüsselte Vision dessen, was kommen würde.

»Satai!« rief der Ssirhaa noch einmal, und seine Stimme zerbrach den Bann. »Du hast dich entschieden! Was ab jetzt geschieht, ist allein dein Werk!«

Skar starrte den Ssirhaa sekundenlang wortlos an. Er fühlte nichts mehr als Verachtung. Dann hob er die Hand, wie zu einem spöttischen Gruß, und ging weiter.

21.

Titch erwartete ihn neben dem Spalt, der ins Innere des Berges führte. Irgendwie hatte er das Kunststück fertiggebracht, die Panik unter seinen Kriegern zu besiegen: aus der kopflosen Flucht der Quorrl war ein disziplinierter, wenn auch langsamer Rückzug geworden. Skar registrierte mit einem leichten Gefühl von Verwunderung, daß sich die Quorrl ins Innere des Berges zurückzogen, flankiert und angeleitet von Männern, die die zerfetzten Phantasie-Uniformen der Bastarde und ihre wilden Gesichtszüge trugen. Offensichtlich hatte sich Rowl doch noch bereit erklärt, Titchs Heer Zuflucht in seiner Festung zu gewähren.

Titch wirkte viel mehr überrascht als erleichtert, Skar unverletzt und frei zurückkehren zu sehen. Aber er stellte keine Frage daran, sondern trat ihm mit einem ungeduldigen Schritt entgegen und deutete talwärts. »Was hat er gewollt?«