Und fast in der gleichen Sekunde zerplatzte das Ei. Etwas Kleines, sich Windendes mit einem dünnen peitschenden Schwanz und zu vielen Beinen kroch heraus, bohrte sich durch die Panzerschuppen des Quorrl und verschwand in seinem Arm. Der Krieger stieß einen keuchenden, halberstickten Schrei aus, taumelte zurück und gegen die Wand und ließ sein Schwert fallen. Sein Gesicht verzerrte sich vor Qual, während er den Arm in die Höhe riß und aus hervorquellenden Augen auf seine Hand starrte. Etwas bewegte sich unter seinen Schuppen, kroch, wand und schlängelte sich in seinem Arm nach oben und dehnte sich dabei rasend schnell aus.
Titch schrie auf, warf sich mit einem gewaltigen Satz nach vorne und stieß ihm das Schwert ins Herz.
Der Krieger starb ohne einen Laut. Er stürzte, rollte in einer letzten, zuckenden Bewegung auf den Rücken und lag dann still. Sein aufgeblähter Arm sank in sich zusammen wie eine mit Luft aufgeblasene Tierhaut, in die jemand ein Loch gestoßen hatte. Eine schwarze Flüssigkeit quoll zwischen seinen Schuppen hervor und sammelte sich zu einer übelriechenden Pfütze.
Skar wandte angeekelt den Blick ab und stemmte sich hoch. »Großer Gott, Skar, wir... wir haben es mitgebracht.« stammelte Titch. Er fuhr herum. Seine Hand krallte sich in das Gewand des überlebenden Bastards und riß ihn so heftig herum, daß der Quorrl vor Schmerz aufstöhnte.
»Die Brut!« schrie er. »Die Truhen mit Crons Gelege! Wo sind sie?!«
»In... in Rowls Privatgemach«, stammelte der Krieger, ohne den Blick von seinem toten Kameraden zu lösen. »Rowl hat sie in seine Räume bringen lassen, und -«
Titch unterbrach ihn mit einem Stoß, der ihn gegen die Wand schleuderte. »Zeig uns den Weg!« schrie er. »Sofort!«
Der Krieger reagierte nicht. Sein Blick saugte sich am Arm seines toten Kameraden fest, und der aufgebrochenen grünlichen Eihülle, von der noch Fetzen zwischen seinen Fingern klebten. Seine Lippen bewegten sich, aber anstelle von Worten kamen nur hilflose, wimmernde kleine Schreie darüber.
Titch knurrte und hob die Faust, um ihn zu schlagen, aber Skar fiel ihm in den Arm, schob ihn mit schon etwas mehr als sanfter Gewalt ein Stück zur Seite und wandte sich mit einem besorgten Blick an den Bastard. Der Quorrl stand kurz davor, nicht nur die Beherrschung, sondern gänzlich den Verstand zu verlieren. Er schien gar nicht bemerkt zu haben, was Skar und Titch taten. Sein Blick irrte wie hypnotisiert zwischen den beiden toten Quorrl hin und her. Er zitterte am ganzen Leib.
»Bitte«, sagte Skar leise, aber so eindringlich, wie er konnte. »Zeig uns den Weg. Du mußt nicht mitkommen, wenn du nicht willst.«
Der Quorrl schien wie aus einem Traum zu erwachen. Mühsam hob er den Kopf, starrte auf Skar herab und blickte dann erneut seinen toten Kameraden an. Für ihn mußte der Anblick hundertfach schlimmer sein als für Skar. Skar war erschrocken und angeekelt gewesen, aber für den Quorrl bedeutete das Geschehen mehr; ungleich mehr. Skar versuchte sich vorzustellen, was er empfunden hätte, wäre diese Scheußlichkeit aus einem menschlichen Kind hervorgekrochen. Er verfolgte den Gedanken vorsichtshalber nicht sehr weit.
»Bitte«, sagte er noch einmal.
Der Quorrl hob unsicher die Hand. »Dort... vorne«, flüsterte er. »Die vierte Tür.«
Skar drehte sich herum, hob sein Schwert auf und ging in die angegebene Richtung. Nach einer Sekunde folgte ihm Titch, und nach einigen weiteren Augenblicken hörten sie, wie sich auch der Quorrl von seinem Platz löste und mit schnellen Schritten hinter ihnen herlief. Wahrscheinlich war für ihn nichts was sie erwarten konnte so schlimm, wie die Vorstellung, allein mit seinen beiden toten Kameraden zurückzubleiben; jetzt, wo er wußte, was sie umgebracht hatte.
Sie rannten jetzt beinahe, aber auf den letzten Schritten zu Rowls Tür wurden sie langsamer, bis der Quorrl schließlich stehenblieb und sich auch Skar nur noch auf Zehenspitzen bewegte; was an sich völlig unsinnig war, denn welcher Gegner auch immer auf der anderen Seite der Tür warten mochte, er wußte, daß sie kamen.
Skars Herz hämmerte zum Zerspringen, als er das Schwert hob und die Tür damit aufstieß.
Es war wie ein Blick in einen Alptraum.
Früher einmal mußte dieser Raum behaglich - oder wenigstens halbwegs wohnlich - eingerichtet gewesen sein, aber daran erinnerten jetzt nur noch Schemen: ein Bild, das von der Wand gefallen und auf die bemalte Seite gestürzt war, ein umgestürzter Stuhl mit zersplittertem Bein, bunte Stoffetzen, die einmal als Vorhänge das allgegenwärtige Rostrot der Wände zu kaschieren versucht hatten... dies alles war vernichtet und zerbrochen, zerstört wie in einem Anfall rasender Wut, aber auch diese Zerstörung war noch einmal zerstört worden, von etwas, das danach gekommen war, und gründlicher.
Der Boden glänzte unter einer feuchten, schlierig-klaren Schicht. Die Luft stank so durchdringend, daß das Atmen zur Qual wurde. Die skelettierten Reste von sieben, acht Quorrl lagen auf dem Boden oder zerbrochen über Stühlen und dem breiten Bett, dessen Seidenbezug schwer und dunkel vom Blut der Sternenbestie geworden war.
Skar machte einen unsicheren Schritt in den Raum hinein, trat ein Stück zur Seite und sah sich aufmerksam um. Hinter ihm schoben sich Titch und der Quorrl durch die Tür und blieben ebenfalls stehen.
Die beiden Truhen standen aufgebrochen direkt neben der Tür. Sie waren leer. Ihre Schlösser waren aufgebrochen, die Deckel zerborsten wie von Axtschlägen, und der rotviolette Samt, mit dem sie ausgeschlagen gewesen waren, zerfetzt und zum Teil herausgerissen. Die Eier waren verschwunden; nur einige leere Schalen zeugten von dem, was geschehen war.
»Sei vorsichtig«, flüsterte Titch, als Skar sein Schwert einsteckte und behutsam näher an die Kisten herantrat. Skar nickte, wußte aber gleichzeitig, daß er nichts zu befürchten hatte. Die Truhen waren jetzt nichts mehr als leere, nutzlose Behälter, deren tödliche Fracht längst ausgeschlüpft oder an einen anderen Ort gebracht worden war.
Er blieb wieder stehen, starrte in die Truhe hinab und ballte in hilflosem Entsetzen die Hand zur Faust. Es gehörte nicht viel Phantasie dazu, sich auszumalen, was geschehen war. Die Toten hier im Zimmer mußten die Wachen sein, die Rowl sicherlich bei seinem kostbaren Besitz zurückgelassen hatte, vielleicht auch Bedienstete, die die Brot pflegen und über ihre Sicherheit wachen sollten. Skar wußte nicht, was sie getötet hatte - vielleicht ein Fehler der Bestie, die zu schnell und zu brutal zuschlug, ehe sie lernte, daß lebende Wesen sterben konnten, wenn man ihnen ihre Körper zu schnell nahm, vielleicht waren auch andere Quorrl hereingekommen, und es hatte einen Kampf gegeben. Es spielte keine Rolle - am Ende hatten sie gesiegt und den Tod hinaus in die Gänge Carans getragen. Zu Rowl. Zu Kiina.
Und sie hatten ihn hierhergebracht!
Als hätte er seine Gedanken gelesen, sagte Titch in diesem Moment: »Was haben wir getan, Skar?«
»Nichts«, antwortete Skar automatisch. »Wir haben nichts getan, Titch. Das ist Ennarts Werk. Und vielleicht meines«, fügte er leiser hinzu. »Er hat... mich gewarnt. Ich hätte nicht zurückkommen dürfen.«
»Haben ... sie das getan?« stammelte der Bastard. »Die Ssirhaa?«
»Vielleicht«, antwortete Skar. Aber vielleicht auch nicht, fügte er in Gedanken hinzu. Vielleicht hatte der Bestimmer auf Crons Hof diesmal etwas anderes getan, als sich die Eier nur anzusehen, und vielleicht waren diese beiden Truhen von Anfang an nicht für Ninga, sondern für Caran bestimmt gewesen.