Выбрать главу

Du kannst leben, flüsterte der Daij-Djan. Unendlich leben. Unsterblichkeit. Und unbegrenzte Macht, Bruder. Die Macht eines Gottes. Es liegt in deiner Hand.

»Nein«, stöhnte Skar. Wieder überkam ihn Schwäche, aber diesmal war es nur die Reaktion seines gemarterten Körpers, der die Kraftreserven, deren Skar sich bediente, längst nicht mehr hatte. »Ver ... schwinde«, murmelte er. »Du kannst mich haben, wenn ... wenn ich dich rufe. Nicht eher. Das war unsere Abmachung!«

Aber du hast mich gerufen.

»Das ist nicht wahr!«

Du tust es unentwegt, beharrte der Daij-Djan. Du wußtest, daß du keine Chance hattest, dies hier lebend zu überstehen, ohne meine Hilfe. Hör auf, dich selbst zu belügen, Bruder - und mich. Du sagst, du willst meine Unsterblichkeit nicht? Aber du bedienst dich ihrer. Du tust Dinge, die du nicht könntest ohne meine Hilfe. Nicht ich bin es, der unsere Abmachung bricht, Bruder. Du bist es. Du brichst sie unentwegt. Du sagst, du brauchst meine Hilfe nicht, aber du zwingst mich, sie dir zu gewähren.

Wieder spürte er, daß sich irgend etwas an dem Daij-Djan ... verändert hatte. Er hatte niemals Zeichen von Ungeduld oder gar Nervosität an seinem Dunklen Bruder bemerkt; ja, bisher geglaubt, daß der Daij-Djan zu solcherlei Empfindungen nicht einmal fähig war, denn er war eine Kreatur der Ewigkeit, ein Wesen, das nie gelebt hatte und somit auch nicht sterben konnte. Zeit war bedeutungslos für ihn. Er hatte eine Million Jahre auf diesen Tag gewartet.

»Vielleicht wollte ich sterben«, antwortete Skar.

Um mich zu vernichten. Der Daij-Djan nickte, auf eine beunruhigend menschliche, nachdenkliche Art. Ich verstehe. Aber du täuschst dich. Dein Tod würde nichts ändern, und du weißt das, Bruder. Ich gewinne.

»Bist du sicher?« fragte Skar.

Ich gewinne, wenn du lebst und tust, wozu du in dieses Land gekommen bist. Aber ich siege auch, wenn du stirbst. Es spielt keine Rolle. Ich kann nicht verlieren.

»Dann bring mich doch um!« brüllte Skar. »Mach endlich ein Ende!«

Ein Ende? Der Daij-Djan lachte leise. Aber es fängt doch gerade erst an. Seine schwarze, tödliche Klaue machte eine Bewegung zur Tür hin, und den schwarzen Schatten, die auf der Treppe lauerten.

Komm mit, Bruder, sagte er. Komm und sieh, was ich für dich getan habe.

Skar bewegte sich nicht. Der Daij-Djan wandte sich um und ging zur Tür, und für den Bruchteil einer Sekunde war es Skar, als glühe seine Gestalt unter einem unheimlichen inneren Feuer, verwandle sich in ein tobendes Inferno aus Milliarden und Abermilliarden winziger Funken, jeder so heiß wie die Hölle und jeder voller abgrundtiefer Bosheit und versengendem Haß. Dann begriff er, daß es nur eine Täuschung gewesen war, ein Lichtreflex der Fackeln auf seiner spiegelnden schwarzen Haut aus Horn. »Warum hilfst du mir?« fragte er. »Warum tust du das alles, wenn mein Leben keine Rolle für dich spielt?«

Weil du mein Bruder bist, antwortete der Daij-Djan, und ich dich liebe.

Skar wollte es nicht. Er stemmte sich mit jedem bißchen Willenskraft, das er noch hatte, gegen das verlockende Wispern in seinem Kopf. Aber er war nicht stark genug. Nach ein paar Augenblicken löste er sich von seinem Platz und folgte dem schwarzen Schatten seines höllischen Bruders.

2.

Der Himmel im Osten begann sich grau zu färben, als Titch und Kiina auf den Hof zurückkehrten. Es war noch immer dunkel, und es war noch immer still; stiller sogar noch als in der Nacht, als Skar gekommen war, denn mittlerweile war auch der Wind erloschen, und die einzigen Laute, die das unheimliche Schweigen durchbrachen, waren das dumpfe Erdbebengrollen Ningas und die Geräusche ihrer eigenen Schritte.

»Was ist hier geschehen?« fragte Titch. »Großer Gott, Skar - was hast du getan?«

Skar antwortete nicht. Er hatte seine Worte gehört, ohne sie zu verstehen, so wenig, wie er die beiden unterschiedlichen Gestalten, die durch das Tor getreten und sich ihm zögernd genähert hatten, wirklich als Titch und die junge Errish erkannt hatte. Er saß auf der Treppe zu Crons Wohnhaus, reglos, mit angezogenen Knien, über die er das Schwert gelegt hatte, und sah mit starrem Blick auf den Hof hinab; so, wie er seit mehr als einer Stunde dasaß, ohne zu denken, ohne das Verstreichen der Zeit zu spüren oder die Kälte oder den Wind oder irgend etwas anderes als Entsetzen.

Komm und sieh, was ich für dich getan habe, Bruder. Titch bewegte sich, sagte etwas, dessen Sinn ihm entglitt, ehe er danach greifen konnte, und machte eine Bewegung mit den Händen, die seine Hilflosigkeit deutlicher als alles andere ausdrückte. Skar versuchte, seinen Blick vom Hof zu lösen und den Quorrl anzusehen, aber er konnte es nicht. Der Anblick hielt ihn gefangen, nicht nur, weil er ihn lähmte, sondern weil er ihn gleichzeitig auch mit einer schrecklich morbiden Faszination erfüllte, und diese war es, die ihn wirklich paralysierte; das Wissen, daß es etwas in ihm gab, einen bisher verborgenen, aber keineswegs netten Teil seines Ichs, das genau das gewollt hatte, und es noch immer wollte, hundertmal schlimmer. Das Entsetzen, das er verspürte, galt viel mehr jenem dunklen Bereich seiner Seele, der plötzlich zu so fürchterlicher Macht erwacht war. Komm und sieh, was ich für dich getan habe, Bruder. Die Quorrl waren tot.

Alle.

Die Stille, die Skar auf dem Weg hierher aufgefallen war, war das Schweigen des Todes gewesen, das Geschenk seines dunklen Bruders, der ihm - wieder einmal - den Weg geebnet hatte. Wenigstens war es das, was er sich einzureden versuchte. Sicher war er nicht.

Eine zweite, sehr viel kleinere Gestalt im schwarzen Mantel trat neben die Titchs, und obwohl Kiina kein Wort sagte, sondern ihn nur voller stummem Schrecken und Bestürzung ansah, war es viel mehr sie, die ihm half, seine Lähmung allmählich zu überwinden, und nicht Titch. Vielleicht, weil er ein Quorrl war. Er erinnerte sich, daß auch Cron zu ihm gekommen war, im Laufe der Nacht, aber er erinnerte sich nicht, was er gesagt hatte, und wo er hingegangen war. Mühsam, als kämpfe er gegen eine Zentnerlast an, hob er den Blick und sah in Kiinas Gesicht. Das Mondlicht verwandelte ihre Haut in blasses Porzellan. Ihre Augen waren groß vor Schrecken und fast so schwarz wie die Titchs. Als sie die Hand hob und zitternd nach ihm ausstreckte, sah Skar, daß ihre Finger voller Blut waren; Blut, das dunkler als das eines Menschen war, von der gleichen, fast schwarzen Farbe wie die häßlichen Flecken, die sein Schwert besudelten, seine Knie und seinen Mantel und seine Hand, die sich noch immer so fest um den Griff der Waffe spannte wie im allerersten Moment.

Sie führte die Bewegung nicht zu Ende, sondern trat an Titch vorbei und ließ sich in die Hocke sinken, so daß sich ihre Gesichter auf gleicher Höhe befanden. »Was ist passiert?« fragte sie.

Er wollte sagen: Ich weiß es nicht.

Er wollte sagen: Das ist nicht mein Werk. Das war das Ungeheuer. Die Bestie. Der Daij-Djan.

Aber er tat es nicht. Es wäre keine Entschuldigung gewesen, nicht Titch und schon gar nicht sich selbst gegenüber. Der Daij-Djan war kein Alibi, kein Schuldiger, den er an seiner Stelle anprangern konnte, denn er war ein Teil von ihm selbst. Und er war ihm nicht halb so fremd, wie er sich bisher einzureden versucht hatte.