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Rowls Stimme riß ihn abrupt ins Hier und Jetzt zurück. Skar sah hoch, blinzelte einen Moment verständnislos in Titchs steinernes Gesicht und erkannte voller Schrecken, daß die Krieger weit mehr als die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatten. Was war mit der Zeit geschehen? Es mußte fast eine Stunde vergangen sein; und als er in Titchs Gesicht blickte, begriff er, daß es wirklich so war: daß er die ganze Zeit über reglos und mit leerem Blick dagestanden und ins Nichts gestarrt hatte. Für ihn war es, als wären nur Sekunden verstrichen.

Rings um ihn herum griffen die Bastarde nach ihren Waffen und bereiteten sich auf ihren letzten Kampf vor, und auch Skar zog ganz instinktiv das Tschekal aus dem Gürtel und lehnte die Waffe griffbereit neben sich an die Wand. Titchs Krieger waren trotz allem noch zu weit entfernt, um sie anzugreifen, aber Rowls Worte bezogen sich auch nicht auf sie - Skar registrierte mit einer Mischung aus Schrecken und Verblüffung, daß es die Gardesoldaten aus Ninga waren, die sich nur einen Steinwurf entfernt erneut zum Angriff formierten. Was hatte Ennart vor? Wenn diese Krieger der zu allem entschlossenen Bastarde wirklich angriffen, würden sie vielleicht siegen, aber nur sehr wenige würden sich dieses Sieges noch erfreuen können.

Titchs Gedanken schienen sich in eine ähnliche Richtung zu bewegen, denn er runzelte ungläubig die Stirn und sah erst Rowl, dann Skar an. »Will er seine eigenen Leute in den Tod hetzen, dieser Narr?« murmelte er. »Das ... ergibt keinen...« Er stockte, sah abermals nacheinander Skar und den Bastard an und begann plötzlich heftig zu gestikulieren.

»Es ergibt doch einen Sinn, Rowl!«

»Ach?« machte Rowl. »Und welchen?«

»Er hat Angst vor uns, Rowl!« antwortete Titch erregt. »Begreif doch! Er hat Angst, daß die Krieger ihm nicht mehr gehorchen, wenn sie mich sehen!«

»Wieso?« fragte Rowl und zog eine Grimasse. Sein Ton wurde abfällig. »Hältst du dich jetzt auch für einen Gott?«

»Nein«, antwortete Skar an Titchs Stelle. »Aber sie.« Er deutete auf das näher kommende Heer. »Titch hat recht - es ist die einzige Erklärung. Ennart ist nicht sicher, daß die Krieger uns wirklich angreifen, wenn sie Titch bei uns sehen. Versteh doch!«

Rowl verstand ganz offensichtlich nicht - wie konnte er auch ? »Das sind Titchs Krieger!« fuhr Skar aufgeregt fort. »Es ist sein Heer, Rowl! Es sind die Krieger, die den Treueschwur ihrem eigenen Volk gegenüber gebrochen haben, um zu Titch zurückzukehren! Sie werden nicht angreifen!«

»Sie tun es bereits, Satai.«

»Das tun sie nicht! Sie denken, sie greifen euch an. Dich. Die Bastarde. Sie... oder können nicht ahnen, daß Titch bei uns ist. Wenn wir durchhalten, bis das Heer nahe genug heran ist...«

»... haben wir eine Chance«, führte Rowl den Satz zu Ende. Für die Dauer von zwei, drei Atemzügen machte sich eine verzweifelte Hoffnung auf seinen Zügen breit. Dann erlosch der Ausdruck so übergangslos, wie er gekommen war.

»Es ist sinnlos, Satai«, sagte er. »Selbst, wenn du recht hast und sie uns nicht töten, werden sie es tun.« Er wies mit einer Kopfbewegung auf die Tempelgarde. »Oder Ennart selbst. Er wird nicht zulassen, daß Titch ihm den Rang streitig macht.« Natürlich hatte er recht, dachte Skar bitter. Der Umstand, daß Ennart die Männer aus Ninga in den sicheren Tod schickte, bewies ja schon, daß Titchs Hoffnung nicht unbegründet war - für seine Männer war er so etwas wie ein Gott, und im Gegensatz zu Ennart ein Gott, der Gnade und Menschlichkeit kannte und für den diese Krieger nicht nur Schwerter und Speere waren, an denen eher zufällig lebende Wesen hingen. Selbst, wenn es ihnen gelang, dem Ansturm der Garde lange genug standzuhalten, daß das Heer auf Sichtweite herankam, würde er verhindern, daß die Krieger Titch erkannten. Er war vielleicht kein wirklicher Gott, aber er verfügte zweifellos über die Macht eines Gottes. Er blickte über die Köpfe der Krieger hinweg zu den Gardesoldaten. Die Männer hatten sich zum Angriff formiert - in einer Aufstellung, die Skar bei Quorrl noch nie gesehen hatte, wohl aber in zahllosen Schlachten und Scharmützeln mit anderen Völkern. Und er hatte sie fürchten gelernt: Die Krieger hatten mannsgroße Schilde vor die Körper gehoben, zwischen denen gerade genug Platz war, einen Speer oder eine Pfeilspitze hindurchzuschieben. Sie würden Rowls Bastarde einfach niederrennen.

Nachdenklich sah er Titch an. »Hast du noch Kraft?«

Titch blinzelte. »Das fragst du mich? Wozu?«

»Ja, wozu, Satai?« fragte Rowl mißtrauisch.

Skar nahm sein Schwert wieder in die Hand. »Wenn du an seiner Stelle wärst, Rowl - würdest du damit rechnen, daß wir dich angreifen?«

»Angreifen?« ächzte Rowl. »Ihr wollt -«

»Es ist die einzige Chance«, fiel ihm Titch ins Wort. Er hatte begriffen, was Skar meinte. »Ich muß versuchen, durchzubrechen. Wenn ich das Heer erreiche und die Männer überzeugen kann, haben wir eine Chance. Auch ein Ssirhaa kann nicht gegen tausend meiner Krieger kämpfen.«

»Ihr -«

»Wir haben keine andere Wahl«, unterbrach ihn nun Skar. Erregung hatte ihn ergriffen. Er sah in Titchs Augen, und für einen winzigen Moment war es wieder da, das alte, allzulang vermißte Gefühl, an der Seite eines Freundes zu stehen, Schulter an Schulter neben einem Mann zu kämpfen, auf den er sich hundertprozentig verlassen konnte. Es war albern und pathetisch, aber er spürte, daß es Titch in diesem Moment ebenso erging. Und er wußte, daß es mehr als ein Gefühl war. Mit Del hatte er es oft erlebt - und sie hatten oft genug Kämpfe gewonnen, die sie eigentlich gar nicht gewinnen konnten.

»Vielleicht greifen sie uns nicht an«, sagte er, wieder an Rowl gewandt. »Sie müssen sich nicht gegen den Ssirhaa stellen. Es reicht, wenn sie Titch und mich nicht aufhalten. Wenn wir Ennart töten, haben wir eine Chance.«

»Ennart... töten?« krächzte Rowl.

Titch grinste. »Wir haben Übung darin, weißt du?«

»Ihr kommt keine fünfzig Schritte weit«, sagte Rowl unsicher. »Nicht ohne deine Hilfe«, sagte Titch. »Aber wenn wir diese Barrikade dort durchbrechen...« Er machte eine wedelnde Handbewegung. »Sie wollen Skar, Rowl. Keiner von ihnen wird es wagen, ihn zu töten.«

Rowl war irritiert, verunsichert, und für einen Moment tat er Skar beinahe leid. Der Bastard hatte keine Chance gehabt. Titch und er hatten sich so geschickt die Bälle zugeworfen, als wären sie ein eingespieltes Team, das seit Jahren nichts anderes tat. Vielleicht war es die Angst, die ihnen die Fähigkeit dazu gegeben hatte.

Schließlich nickte Rowl. »Was haben wir schon zu verlieren - außer unserem Leben?« Er lachte, leise und hart und auf eine Weise, die Skar schaudern ließ, drehte sich wieder zu seinen Kriegern um und rief ein einzelnes, weit schallendes Wort. Die Bastarde griffen an, so schnell und mit solcher Wut, daß selbst Skar für einen Sekundenbruchteil vor Überraschung erstarrte. Es gab kein Zögern, keine Verwirrung oder gar Furcht - die drei Dutzend Krieger stürmten wie ein Mann aus ihrer Deckung hervor und warfen sich auf den Schildwall der Gardisten, so schnell und mit solcher Wucht, daß selbst dieses Hindernis ihrem Ansturm nur Augenblicke standhielt. Skar beobachtete voller Entsetzen, wie sich ein halbes Dutzend von Rowls Männern an den Speeren der Gardesoldaten selbst aufspießte, zu schnell und von den hinter ihnen heranstürmenden Kriegern zu sehr bedrängt, als daß sie noch ausweichen konnten. Aber schon die zweite Welle der Bastarde spaltete den Schildwall - und ohne ihren Schutz waren die Krieger Rowls Männern nicht gewachsen. Die Schlachtreihe wankte, zerbrach binnen weniger Sekunden in zwei ungleiche Hälften und löste sich in schierem Chaos auf, als die Bastarde mit der Rücksichtslosigkeit von Berserkern unter den Kriegern zu wüten begannen.