Er bewegte sich unruhig auf der unbequemen Sitzfläche des Thrones, weniger, um nach neuen Worten zu suchen, als mehr, um dem Quorrl Gelegenheit zu geben, das Gehörte zu verarbeiten. Dann lächelte er erneut und fuhr fort: »Tötet ihr noch immer Gefangene?« Die Frage war überflüssig. Der Ningara war noch immer voller Blut, und durch den weißen Schaum des Sturzes konnte man dann und wann fallende Körper erkennen, die Meilen weiter südlich an die Oberfläche steigen und den Fluß in ein Totenbett verwandeln würden.
»Ihr opfert die Männer, die ihr gefangengenommen habt«, fuhr er fort, als der Quorrl nicht reagierte. »Aber es ist sinnlos, glaube mir. Ihr Blut wird eure Götter nicht stärker machen. Hört auf damit!«
Der Quorrl reagierte immer noch nicht, und Skar fügte hinzu: »Du siehst, es ist alles gesagt, was gesagt werden muß. Du kannst also wieder gehen.«
Der Quorrl starrte ihn an. »Du -«
»Ich gebe euch Zeit bis Sonnenaufgang«, unterbrach ihn Skar kalt. »Kapituliert ihr bis dahin, schenke ich euch das Leben. Ihr habt mein Wort, daß ihr Cant unbehelligt verlassen dürft. Übergebt ihr uns die Inseln nicht, sterbt ihr.« Er hob die Hand. »Du kannst gehen. Die Audienz ist beendet.«
»Du bist wahnsinnig, Satai!« keuchte der Quorrl.
»Vermutlich«, antwortete Skar gelassen. »Noch etwas?« Natürlich war ihr Gespräch nicht beendet - der Quorrl wußte es, und Skar wußte es. Es war nur ein Spiel, ein Spiel, das Skar sehr gut kannte, und das er oft gespielt hatte - wenn auch meistens auf der anderen Seite. Nun, dachte er zornig, es machte sehr viel mehr Spaß, der zu sein, der herumstieß, als der Gestoßene.
»Du... du zerstörst unser Volk«, stieß der Quorrl schließlich hervor. Seine Stimme klang nicht mehr halb so selbstsicher wie noch vor Augenblicken. Er war fassungslos; vielleicht zum ersten Mal in seinem ganzen Leben wirklich in die Defensive gedrängt und ungeübt in dieser Art des Kampfes.
»Nein«, antwortete Skar ruhig. »Das tue ich nicht, Quorrl. Ich führe nur aus, was getan werden muß. Seid ihr Quorrl es nicht, die glauben, daß alles vom Schicksal vorbestimmt ist?«
»Du hast kein Recht dazu«, sagte der Quorrl. »Du vernichtest unser Volk. Du zerstörst Werte, die seit Äonen gelten.«
»Vielleicht sind sie falsch«, sagte Skar.
»Und wenn!« In den Augen des Quorrl blitzte neuer Zorn. »Und wenn, Satai - oder was immer du sein magst. Wenn, dann sind es unsere Fehler.«
»Ihr versklavt euer Volk«, antwortete Skar.
»So wie ihr das eure?«
Skar lachte leise. »Ich sehe ein, es hat wenig Sinn, mit dir diskutieren zu wollen, Priester. Ich konnte nie gut reden, weißt du? Also - beginnen wir noch einmal. Ich gebe dir eine zweite Chance. Vielleicht gelingt es ja dir, mich zu überzeugen.« Der Quorrl war mehr als irritiert. Für einen Moment ruderte er wirklich mit den Armen, wie ein Eisläufer, der verzweifelt versucht, die Balance wiederzufinden, die er auf dem schlüpfrigen Untergrund verloren hatte. Spätestens jetzt hatte er begriffen, daß Skar die ganze Zeit über nur mit ihm gespielt hatte, und dieses Wissen mußte ihn mit einer ohnmächtigen Wut erfüllen. Skar genoß den Anblick, rief sich aber gleichzeitig in Gedanken zur Ordnung. Er nutzte niemandem, wenn er den gesammelten Zorn seines Lebens an diesem Quorrl ausließ. Und ihr Gespräch war wichtiger, als der Priester ahnen mochte. Skar war ziemlich sicher, daß der Quorrl es selbst nicht wußte - aber es war gut möglich, daß die Existenz Enwors wirklich vom Ausgang dieser Unterredung abhing.
»Sprich«, sagte er in einem Ton, der viel versöhnlicher klang als bisher.
Der Quorrl fand mühsam seine Fassung wieder. »Ich sollte dich töten«, sagte er. »Du hast recht, Satai - ich bin tatsächlich gekommen, um dich zu töten, sollten Worte versagen. Aber etwas sagt mir, daß ich das nicht kann.« Verwirrt und noch immer mißtrauisch, vielleicht noch immer eine Falle witternd, blickte der Quorrl sich in dem großen, fast leeren Zelt um. »Wir sind allein?«
»Vollkommen«, antwortete Skar. »Du kannst offen reden. Niemand hört uns zu.«
»Ihr dürft die Verbotenen Inseln nicht angreifen«, sagte der Quorrl. »Du bist ehrlich, Satai. Du bist vielleicht der Mann, der unserem Volk den Untergang bringt, und ich hasse dich, wie ich nie jemanden gehaßt habe, aber du bist ehrlich, und deshalb will auch ich ehrlich sein.«
»Bevor du mich umbringst?« Skar lächelte wieder, aber der Quorrl blieb ernst. Als er weitersprach, wurden seine Stimme und die begleitenden Gesten fast theatralisch, aber Skar spürte trotzdem, daß der Quorrl vielleicht nie zuvor etwas so ernst gemeint hatte wie diese Worte.
»Ich weiß nicht, wer du bist, Satai«, begann er. »Manche glauben, daß du der Teufel bist. Andere sagen, du wärst nichts als ein wahnsinniger Satai. Ich weiß es nicht, und ich will es auch gar nicht wissen. Du bist aus dem Nichts gekommen und hast unser Land verwüstet. In nur sieben Tagen hast du mehr Unheil angerichtet als dein ganzes Volk in siebentausend Jahren.« Er schwieg, wartete auf eine Antwort, aber Skar blickte ihn nur an. Der Quorrl hatte recht - in den letzten sieben Tagen, seit ihr Heer Caran verlassen hatte, hatten sie eine Spur der Verwüstung durch Cant gezogen, eine immer breiter werdende Narbe, die nie wieder vollständig heilen würde.
»Und doch ist das nichts gegen das, was geschehen wird, wenn du den Goldenen Tempel betrittst.«
»So?« sagte Skar spöttisch.
Der Quorrl nickte mit großem Ernst. »Enwor wird untergehen«, sagte er. »Diese Welt wird sterben, Satai. Es steht geschrieben, daß Enwor stirbt, wenn der Fuß eines Menschen den Boden der Heiligen Inseln berührt.« Seine Stimme änderte sich, wurde zu einem deklarierenden, gleichzeitig monotonen wie fast angstmachend eindringlichen Singsang, der etwas in Skar berührte und zu Eis erstarren ließ. »Der Himmel wird bersten, und Feuer wird die Städte der Menschen und Quorrl verzehren. Die Erde selbst wird brennen und die Meere kochen, und sieben mal sieben mal sieben Jahre Dunkelheit wird sich über die senken, die die Vernichtung überleben. So steht es geschrieben, und so wird es geschehen.«
Skar wollte lachen, aber plötzlich konnte er es nicht mehr. Für Sekunden war er versucht, dem Quorrl die Wahrheit zu sagen - nämlich daß er sich irrte, auf unsagbar schrecklichere Weise, als er auch nur ahnte. Die Worte aus seiner heiligen Schrift, die er gerade zitiert hatte, waren keine Prophezeiung - es war das, was geschehen war, vor unendlich langer Zeit. Und die Dunkelheit hatte nicht sieben mal sieben mal sieben Jahre gedauert, sondern eine Million Jahre. Sie dauerte noch immer an.
»Du glaubst das wirklich«, sagte er leise.
»Ich weiß es«, antwortete der Quorrl heftig. »Titch und Rowl und seinen Bastarden kannst du vielleicht weismachen, daß du der Befreier bist, aber ich kenne die Wahrheit. Du bist gekommen, um uns zu vernichten.«
»Nicht euch«, antwortete Skar. »Die, die euch mißbrauchen.«
»Du kannst nicht gewinnen, Satai«, sagte der Quorrl fast verzweifelt. »Wenn schon nicht an uns, dann denk an die, die dir ihre Leben anvertraut haben. All die Krieger dort draußen werden sterben, wenn ihr die Inseln angreift. Mächte, die stärker sind als ihr, beschützen die Heiligen Inseln.«
»Euer Gott, ich weiß«, sagte Skar leise. »Ich habe ihn getötet.« Der Quorrl lachte. »Narr! Niemand tötet einen Gott! Du hast einen Körper vernichtet, aber das zählt nicht. Er wird wiederkommen. Er wird kommen und euch vernichten!«
»Was denn nun?« fuhr ihm Skar ins Wort, in bewußt grobem, verletzendem Tonfall. »Werde ich Enwor vernichten oder Ennart uns?«