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Der Gedanke irritierte ihn, aber er beruhigte ihn auch, denn er bewies, daß irgendwo in ihm noch etwas Menschliches war. Der Schläfer war erwacht, aber der Traum hatte zu lange gewährt, um sich nicht ein winziges Stückchen weit in die Wirklichkeit hinübergerettet zu haben.

Kiina deutete sein Schweigen falsch und versuchte, ihre Behauptung zu untermauern. »Vor einer Stunde sind schon wieder Boten gekommen«, sagte sie. »Es ist überall dasselbe, Skar, in ganz Cant. Die Quorrl stehen gegen die Tyrannei Ningas auf und wehren sich. Und es sind nicht nur Bastarde. Sie töten Bestimmer und Prediger, wo immer sie auftauchen. Es wird nicht mehr lange dauern. Ninga ist schon gefallen. Diese närrischen Priester wissen es nur noch nicht.«

»O doch, sie wissen es«, antwortete Skar. »Sie wollen es nicht wissen - das ist der Unterschied.«

Noch bevor Kiina antwortete, wußte er, daß ihr Gespräch auf eine rein pragmatische Ebene zurückfallen würde; Dinge, die er ebensogut - und besser und vor allem produktiver - mit Titch oder Rowl hätte bereden können. Enttäuschung machte sich in ihm breit, ein kurzes, aber heftiges Hadern mit einem Schicksal, das ihm noch einmal einen Schatten niemals gehabten Glücks gezeigt hatte, nur um es ihm sofort wieder zu entziehen.

»Glaubst du wirklich, die Erde wird sich auftun und uns alle verschlingen, wenn wir diese alberne Insel betreten?« fragte Kiina.

»Nein«, antwortete Skar lächelnd. »Aber vielleicht der Himmel.«

Kiina seufzte. Sie war nicht dabei gewesen, als Skar mit dem Priester gesprochen hatte, aber es gab niemanden im Lager, der nicht den genauen Wortlaut ihrer Unterredung kannte. Rowl, dachte Skar, halb amüsiert, halb verärgert. Verschwiegenheit schien nicht unbedingt zu den Tugenden des Bastards zu gehören. »Worte«, sagte sie. »Nichts als -«

»Denk an Elay«, unterbrach sie Skar.

Kiina verstummte abrupt. Sie starrte ihn an, und zum ersten Mal, seit sie hereingekommen war, machte sich Unsicherheit auf ihrem Gesicht breit. »Was... meinst du?«

»Ich weiß es nicht«, gestand Skar. »Ennart hat versucht, mich zu warnen, und Yul auch - erinnerst du dich?«

Kiina nickte abgehackt. »Das Sternenfeuer?« Sie versuchte zu lachen, aber es klang wenig überzeugend. Das Bild der verwüsteten Stadt hatte sich in ihr Gedächtnis so unauslöschlich eingegraben wie in das Skars. »Der Staub -«

»Nicht der Staub.« Skar sprach langsam, beinahe schleppend. Wie alles war auch das Wissen um dieses Geheimnis da, aber seinem gewollten Zugriff noch entzogen. Die Türen hinter der Tür öffneten sich nur langsam. Der Schläfer wachte eifersüchtig über jedes Schloß, das er aufzubrechen versuchte; vor allem in Momenten wie jetzt, in denen Skar wieder ein wenig mehr Skar war. »Das, was ihn ausgelöst hat.« Was Elay getroffen hat, könnte auch anderen Städten geschehen...

Und für einen kurzen Moment hatte er eine Vision. Er wußte hinterher selbst nicht zu sagen, ob die Worte des Quorrl-Priesters sie ausgelöst hatten oder seine eigene überreizte Phantasie - oder ob der unsichtbare Wächter in seinem Kopf vielleicht nur für einen Moment unaufmerksam war, so daß er einen Blick hinter eine der verschlossenen Türen tun konnte. Was er sah, war ...ein berstender Himmel, aus dem Flammen auf die Erde fielen und Mensch und Tier versengten.

... Städte, die zu Fackeln geworden waren, gigantischen Scheiterhaufen, deren Bewohner schneller starben, als sie das Unheil überhaupt begriffen, das über sie kam.

... Wälder und Ebenen, zu einer schwarzverkohlten Schlackemasse verbrannt.

... kochende Seen und Flüsse, und Feuer, das aus der Erde brach, eine lodernde Antwort auf die Flammen, mit denen der Himmel den Angriff begonnen hatte.

Die Vision verging so schnell, wie sie gekommen war, aber nicht vollständig. Etwas blieb zurück, etwas wie ein übler Geschmack, die düstere Ahnung, daß das, was er gesehen hatte, mehr war als eine Vision, daß es geschehen war und wieder geschehen würde, wenn nicht...

- ja, wenn was nicht?

Für eine Sekunde überlegte er ernsthaft, Kiinas Rat zu folgen - aufzustehen und sich das erste erreichbare Pferd zu nehmen, um zu reiten, so weit und so lange, wie das Tier durchhielt. Die Idee war schlicht und einfach kindisch, aber vielleicht war eine kindische Reaktion in einer Welt voller Wahnsinniger das einzige, was Sinn machte.

»Was hast du?« fragte Kiina. Sie sah ein wenig erschrocken aus, und Skar begriff, daß sich seine Empfindungen deutlich auf seinem Gesicht widergespiegelt haben mußten. Er schüttelte den Kopf, stand mit einer ruckhaften Bewegung auf und ging zu einer der schweren hölzernen Truhen, in denen seine Kleider verwahrt waren. Sie hatten noch viele Stunden, aber er streifte trotzdem den Mantel ab, öffnete die Truhe und begann seinen Harnisch anzulegen. Nicht die prachtvolle Rüstung, die Rowl aus den unergründlichen Waffenkammern Carans für ihn geholt hatte, sondern den alten, zerschrammten Brustharnisch aus Leder; mit Ausnahme des Schwertes das einzige, was ihm von seiner alten Satai-Kleidung geblieben war.

Mit nur einer Hand war es nicht leicht, die Schnallen und Klemmen zu schließen. Kiina sah ihm eine Weile wortlos und kopfschüttelnd dabei zu, dann trat sie hinter ihn, stieß seine ungeschickt tastenden Finger einfach beiseite und half ihm. Wieder wurde ihm mit schmerzhafter Deutlichkeit bewußt, daß sie vielleicht das letzte lebende Wesen auf der Welt war, das seine Berührung nicht fürchtete, und absurderweise war es gerade dieses Wissen, das ihre Berührung unangenehm werden ließ. Skar beschimpfte sich in Gedanken für diese idiotische Reaktion, aber er wußte gleichzeitig, daß er diese Furcht nie wieder loswerden würde - die Angst, eines Tages in Kiinas Augen zu blicken und darin die gleiche Furcht zu sehen, wie sie in Titchs und Rowls Augen stand.

Als Kiina zurücktrat und sich herumdrehte, stieß ihr Fuß gegen etwas, das klappernd davonflog - der kleine Dolch, mit dem der Quorrl-Priester Skar zu töten versucht hatte. Instinktiv bückte sie sich, um ihn aufzuheben, aber Skar hielt sie mit einer fast erschrockenen Handbewegung zurück.

»Laß ihn liegen«, sagte er.

Kiina sah verwirrt auf, verbiß sich aber jede Frage. Sie schien zu begreifen, warum Skar befohlen hatte, daß die Waffe dort liegenbleiben sollte.

»Warum hat er das getan?« fragte sie nachdenklich.

»Er mußte versuchen, mich zu töten. Ich an seiner Stelle -«

»Das meine ich nicht.« Kiina deutete auf die winzige Waffe und machte eine Bewegung, als wolle sie sie mit dem Fuß anstoßen. »Ich frage mich, warum er es so getan hat. Er hätte dir mit einer Hand das Genick brechen können - ohne sich selbst zu verstümmeln.«

»Vielleicht mußte er es«, antwortete Skar. Er hatte lange über diese Frage nachgedacht, aber zu einer befriedigenden Antwort war er nicht gekommen.

»Du meinst, es war kein einfacher Meuchelmord, sondern etwas wie eine zeremonielle Tötung.«

Aus Gründen, die ihm im allerersten Moment selbst nicht völlig klar waren, erfüllten diese Worte Skar mit Zorn. Aber er beherrschte sich; statt Kiina anzufahren, was sein erster Impuls war, nickte er nur und wandte sich rasch ab, damit sie sein Gesicht nicht sah. Kiina war der Wahrheit vermutlich sehr nahe. Was ihn zornig machte, das war nur die Wahl ihrer Worte. Obwohl der Quorrl gekommen war, um ihn zu töten, war es Skar unmöglich, Feindschaft für ihn zu empfinden. Der Priester tat, was er glaubte, tun zu müssen. Wie sie alle.