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»Zurück!« befahl Titch. Plötzlich war seine Stimme voller Kraft und hatte wieder den gewohnten, befehlenden Tonfall angenommen, und noch etwas geschah - etwas, das Skar im ersten Moment in Erstaunen versetzte, ehe er begriff, warum es so war: Der Anblick der heranrasenden Bestien hätte jeden Menschen vollends in Panik versetzt, aber auf die Quorrl schien er genau entgegengesetzt zu wirken: einige wenige Krieger ergriffen tatsächlich die Flucht, aber die meisten folgten einfach Titchs Befehl und zogen sich nur zwanzig, dreißig Schritte weit vom Ufer zurück, ehe sie stehenblieben und ihre Waffen zogen. Der Anblick der Schwerter und Bögen kam Skar im ersten Moment fast lächerlich vor, angesichts der fünfzig Fuß großen Kolosse über dem Fluß, und doch war in den Gesichtern der Quorrl keine Angst mehr. Die Drachen waren eine Gefahr, die sie verstanden, die vielleicht unüberwindlich, aber greifbar war, und Quorrl hatten sich niemals vor einem Feind gefürchtet, der einen Körper hatte. Skar lächelte stumm in sich hinein, als er begriff, daß die Ssirhaa jetzt vielleicht ihren letzten, entscheidenden Fehler begangen hatten.

Die Drachen näherten sich schnell. Die Brücke war eine Meile lang, aber die Ungeheuer legten mit jedem Schritt ein gutes Dutzend Meter zurück, und was immer sie lenkte, schien sie regelrecht in Raserei zu versetzen. Zwei, allerhöchstens drei Minuten, dachte er, und die schuppigen Ungeheuer würden wie ein Orkan aus Fleisch und Panzerplatten unter Titchs Krieger fahren und sie einfach niederwalzen.

Er griff nach seinem Schwert, führte die Bewegung aber nicht einmal ganz zu Ende, sondern wandte sich um und winkte Kiina zu sich. Das Mädchen zögerte. Ihr Blick irrte nervös zwischen Skar und den heranrasenden Ungeheuern hin und her, ehe sie sich einen sichtbaren Ruck gab und näher kam.

Skar legte den linken Arm um ihre Schulter und deutete mit der anderen Hand schräg nach oben, zu der schattenhaften Gestalt, die über der Front der Drachen heranraste. »Siehst du ihn?« fragte er.

Kiina schüttelte den Kopf, sah ihn fragend an und verengte die Augen zu schmalen Schlitzen, als er auffordernd nickte und seine Handbewegung wiederholte. Dann nickte sie.

»Er... schwebt!« flüsterte sie verblüfft. »Aber das... das ist doch ... unmöglich.«

»Dann erkläre ihm das doch«, sagte Skar spöttisch.

Kiina verstand sofort, was er meinte - aber sie rührte keinen Finger, sondern blickte ihn nur ungläubig an. Skar nahm ihre Hand, führte sie zum Griff des Scanners in ihrem Gürtel und nickte auffordernd.

Kiina zögerte eine weitere Sekunde, zog dann ihre Waffe und trat einen halben Schritt zurück, um zu zielen. Sie ging sehr ruhig zu Werke, mit einer Kaltblütigkeit, die selbst Skar erstaunte. Ohne der Front der heranrasenden Drachen auch nur einen Blick zu gönnen, spreizte sie die Beine ein wenig, ergriff ihre Waffe mit beiden Händen und richtete den Lauf auf die schwebende Gestalt.

Sie schoß, als die Drachen noch hundert Schritte vom Ufer entfernt waren. Der Scanner spie eine dünne, grausam helle Nadel aus Licht aus, die den schwebenden Zauberpriester mit tödlicher Präzision traf und durchbohrte. Für den Bruchteil einer Sekunde schien sich seine Gestalt aufzublähen, wuchs auf das drei-, vier-, fünffache ihrer wirklichen Größe und begann gleichzeitig wie unter einem unheimlichen inneren Feuer zu glühen.

Dann explodierte er.

Die Nacht wurde für Sekunden zum Tag. Ein grellweißer Feuerball tauchte den Fluß in blendende Helligkeit, dehnte sich rasend schnell aus und färbte sich orange, dann dunkelrot, ehe er an den Rändern zu zerfasern begann und ganz allmählich verblaßte.

Und mit ihm verschwanden die Drachen.

Selbst Skar hielt es im ersten Moment für eine Täuschung; ein Trugbild, mit dem ihn seine geblendeten Augen narrten - die Drachenbestien stürmten weiter, und sie waren jetzt schon so nahe, daß er das Zittern der lebenden Brücke unter ihren Schritten zu hören glaubte. Aber im gleichen Moment, in dem der schwebende Zauberpriester verschwand, verloren ihre Körper Farbe und Substanz, verwandelten sich von fleischgewordenen Alpträumen in flackernde Schemen, halb transparent, so daß er durch die Körper der vordersten Tiere hindurch die hinter ihnen herstürmenden Ungeheuer sehen konnte - und vergingen ganz. Kiinas Augen wurden groß. »Bei allen Göttern!« hauchte sie. »Was -?«

Skar zog sein Schwert. Sein Blick suchte den Titchs, und im gleichen Moment, in dem er in die Augen des Quorrl sah, wußte er, daß er gewonnen hatte. In Titchs Blick zeichnete sich dasselbe, ungläubige Staunen ab wie in dem Kiinas, aber nicht einmal mehr ein Schatten von Furcht. Nur noch Zorn.

»Lüge«, zischte der Quorrl. »Es war nichts als ein Trugbild! Es sind alles Lügen!«

»Ja«, antwortete Skar. Die Spitze seines Schwertes deutete über den Fluß, auf das lodernde rote Licht, in dem die Kuppeln und Türme der Tempelanlage zu verschwimmen schienen wie in einem Meer von Blut. »Erinnerst du dich, Titch? Sie sind Meister der Lüge. Das waren deine eigenen Worte.« Er zögerte einen ganz kurzen Moment, und obwohl er spürte, daß er schon gewonnen hatte, fügte er hinzu: »Und sie selbst, Titch, sind die größte Lüge.«

Titchs Gesicht war wie aus Stein, als er sein Schwert hob und eine befehlende Geste machte. Und als Skar sich Sekunden später abermals umwandte und zum zweiten Mal auf die Brücke aus schwarzem Fleisch hinaustrat, folgte er ihm.

25.

Sie waren noch ungefähr dreihundert, als sie die Insel betraten.

Die meisten Quorrl waren in Panik geflohen, als die Brücke auftauchte, und spätestens danach, als die Drachen erschienen; und von denen, die geblieben waren, hatten wiederum die meisten Titchs Befehl mißachtet, vielleicht gar nicht gehört, so daß sich in Skars Begleitung weniger als ein Zehntel des ursprünglichen Heeres befand.

Aber das war mehr als genug. Wahrscheinlich, dachte er, hätte es keines einzigen dieser Krieger bedurft, um es zu Ende zu bringen, und für einen ganz kurzen Moment war er sogar nahe daran gewesen, Titch zurückzuschicken.

Sie waren nicht noch einmal angegriffen worden. Hinter den Zinnen und Wehrgängen des festungsähnlichen Tempelkomplexes bewegten sich Schatten, und dann und wann huschten unheimliche Lichtreflexe über den Himmel. Manchmal hörten sie Geräusche: Laute, wie sie seit Äonen kein lebendes Wesen mehr gehört hatte, und die nicht nur Skar schaudern ließen. Das unheimliche rote Licht war nicht erloschen, sondern erhellte jetzt den gesamten Tempelkomplex, und ein paarmal hatten sie winzige schwebende Gestalten über den schimmernden Kuppeldächern gesehen.

Skar war der erste, der von der lebenden Brücke herunter - und rasch ein paar Schritte zur Seite trat, um Titch und seinen Quorrl Platz zu machen. Er fror. Es war kalt gewesen über dem Fluß. Ein eisiger Wind hatte an ihren Kleidern gezerrt und versucht, sie von der Brücke zu stoßen, und das Toben des Flusses hatte noch nicht ganz aufgehört; manchmal hatte die lebende Brücke unter ihren Füßen wie ein waidwundes Tier gezittert, und zwei- oder dreimal hatten sich gewaltige Wogen an ihren Flanken gebrochen und sie mit eisigem Wasser überschüttet. Er wußte nicht, wie lange sie gebraucht hatten, um die Insel zu erreichen, aber es mußte lange gewesen sein; trotz allem hatten sich die Quorrl nur sehr langsam bewegt, und mehr als einer war auf halber Strecke wieder umgekehrt, fast wahnsinnig vor Angst oder Entsetzen. Der Himmel im Osten färbte sich grau, und in einer Stunde würde der Tag heraufziehen.

Er winkte Kiina zu sich und wartete geduldig, bis auch der letzte Quorrl von der Brücke heruntergetreten war. Obwohl auf ein Zehntel seiner ursprünglichen Größe zusammengeschrumpft, war es noch immer ein mächtiges Heer, und doch schien es vor dem zyklopischen Tempelgebäude zu einem Nichts zusammenzuschrumpfen.