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»Du warst nie in Gefahr«, fuhr er fort. »Er war immer da. Er hat immer auf dich acht gegeben. Was wolltest du? Herausfinden, wie weit die Freundschaft eines Quorrl geht? Oder hast du mich nur mitgenommen, damit dir die Zeit auf der Reise nicht zu lang wird?«

Titch wußte selbst, daß er Unsinn redete. Aber Skar verstand ihn trotzdem. Der Daij-Djan war sein schlimmster Alptraum, aber für den Quorrl war er mehr, tausendmal mehr. Er war sein Teufel, der Dämon, der nicht nur sein Leben, sondern die Existenz seines ganzen Volkes überschattete, und anders als die Dämonen der Menschen waren die der Quorrl höchst real. Was hätte er, Skar, umgekehrt gespürt, hätte er herausgefunden, daß der Mann, den er für seinen Freund gehalten hatte, mit dem Teufel im Bunde war?

Titch deutete sein Schweigen falsch. »Du hast es die ganze Zeit über gewußt«, sagte er noch einmal. »Von Anfang an. Du brauchtest mich nur, um hierherzukommen, und -«

»Das ist nicht wahr«, unterbrach ihn Skar. »Ich hasse ihn so sehr wie du. Und er ist alles andere als mein Verbündeter. Verdammt, sieh mich doch an! Ich sterbe!« Der Zorn gab ihm noch einmal neue Kraft. Er hob den Arm und streckte Titch seine Hand entgegen. Seine Finger waren voller Blut, aber die Haut darunter war bleich und eingerissen wie altes Pergament und hatte im gelben Schein der Öllaterne einen kränklichen, fast grauen Farbton angenommen. »Glaubst du, das wäre so, wenn ich...« Er suchte nach Worten. »Wenn ich auf seiner Seite stünde?«

Titch antwortete nicht, aber die Art, auf die er ihn ansah, war beredter als alles, was er hätte sagen können. Vielleicht würde nie wieder Vertrauen zwischen ihnen sein, dachte Skar bitter. Aber auch das war nichts als ein weiterer Teil des bösen Geschenkes, das ihm die Götter in die Wiege gelegt hatten. Sein ganz persönlicher Fluch. Seine Freundschaft war wie Gift. Sie vernichtete die, denen er sie schenkte, und machte die, die sie nicht verderben konnte, unweigerlich zu seinen Feinden.

»Wer bist du wirklich?« fragte Titch. »Wer bist du, Satai? Was bist du?!«

Wie oft hatte er diese Frage schon gehört? Und wie oft hatte er sie sich selbst gestellt, in den letzten Jahren? Aber sie hatte niemals so weh getan wie jetzt, als er sie aus Titchs Mund hörte, der letzten Kreatur auf dieser Welt, die ihm noch vorbehaltlos vertraut hatte. Bisher.

Für einen Moment war er nahe daran, dem Quorrl alles zu erzählen. Aber statt dessen schüttelte er nach ein paar Augenblicken nur den Kopf und verbarg wieder das Gesicht zwischen den Fingern. »Ich wollte, ich wüßte es«, flüsterte er. »Bei Gott, Titch, ich wollte, ich wüßte es.«

3.

Sein Zeitgefühl war so vollständig erloschen wie seine Fähigkeit, irgend etwas anderes zu empfinden als Furcht und Verbitterung. Er wußte nicht, ob Minuten oder Stunden vergangen waren, bis Kiina zurückkehrte. Titch hatte ihn für eine kurze Weile allein gelassen, um sich im Haus umzusehen und ihm etwas zu trinken zu bringen, und er mußte wohl eingeschlafen sein, denn das nächste, woran er sich klar erinnerte, waren Titchs schuppige Finger, die seinen Kopf hielten und ihn zwangen, die Lippen zu öffnen und zu trinken; eine bittere, scharf schmeckende Flüssigkeit, die zuerst einen leisen Schmerz und dann wohltuende Wärme in seiner Kehle und danach in seinem Magen auslöste. Und ein nicht minder schuppiges Gesicht, das neben dem Titchs auf ihn herabstarrte und mindestens dreimal so alt war wie das seine.

Skar war froh, Scrat zu sehen. Anders als Titch war er nicht davon überzeugt gewesen, daß der Daij-Djan alle Quorrl auf diesem Hof getötet hatte. Trotz ihrer unersättlichen Blutgier war die Bestie nicht dumm; wenn sie tötete, dann nur, wenn es Sinn hatte. Und er war doppelt erleichtert, die alte Quorrl-Heilerin unversehrt zu erblicken; nicht nur, weil er Hilfe jetzt vielleicht dringender benötigte als je zuvor. Den Gedanken, daß der Daij-Djan alles Leben auf diesem Hof ausgelöscht haben könnte, hätte er nicht ertragen.

Er wußte nicht, was Titch ihm da einflößte, aber es wirkte; und es wirkte überraschend schnell. Skar konnte regelrecht fühlen, wie sich nach der Wärme eine Woge neuer Kraft in seinem Körper ausbreitete, so schnell, daß er fühlen konnte, wie Schmerz und Übelkeit erloschen und eine neue, nervöse Energie seine Glieder durchströmte. Und es vertrieb nicht nur seine körperlichen Beschwerden. Mit der Mattigkeit und dem Schmerz aus seinen Gliedern wich auch gleichzeitig die Düsternis aus seinen Gedanken. Er hatte das Gefühl, daß er für diese - geliehene - Kraft bitter würde bezahlen müssen, aber das war ihm im Moment gleich. Was er jetzt brauchte, das war ein klarer Kopf und die Fähigkeit, aus eigener Kraft auf den Beinen stehen zu können, und zu beidem verhalf ihm Scrats Trank.

Trotzdem blieb er reglos sitzen, als die Quorrl Titch einfach beiseite schob und damit begann, seinen Körper in Augenschein zu nehmen, rasch und sehr kundig, aber nicht besonders behutsam. Titch und sie wechselten ein paar Worte, während Kiina einige Schritte abseits stand und dem Tun der alten Quorrl voller unverhohlenem Mißtrauen zusah.

Skar mußte ein paarmal die Zähne zusammenbeißen, um nicht vor Schmerz aufzustöhnen, als Scrat seine Wunden säuberte und frische Verbände anlegte, die sie mit einer übelriechenden, heftig brennenden Salbe bestrich. Sie arbeitete schnell und mit einer Präzision, die in krassem Gegensatz zu ihrem Alter und dem Zittern ihrer Hände stand, aber Skar registrierte auch, daß sie es ohne Anteilnahme tat. Sie behandelte ihn wie eine Ärztin, die sie war, aber sie tat es auf eine Art, als versorge sie ein kostbares Tier.

»Fühlst du dich kräftig genug, um zu gehen?« fragte Titch, als Scrat sich ächzend aufgerichtet und einen Schritt zurückgetreten war.

»Das wird er«, antwortete die Quorrl an seiner Stelle. »Aber er ist es nicht.«

Titch fauchte ein einzelnes, zornig klingendes Wort in seiner Muttersprache, das Scrat mit einem trotzigen Blick quittierte, und wollte die Quorrl einfach aus dem Weg schieben, aber Kiina fiel ihm in den Arm.

»Was hat sie damit gemeint?« fragte sie mißtrauisch.

»Der Trank, den er ihm gegeben hat«, sagte Scrat, ohne Titchs warnenden Blick zu beachten. »Er macht ihn stark, Menschenkind. Aber er läßt ihn nur glauben, er wäre es. In Wahrheit nutzt er Kräfte, die er brauchte, um zu leben, nicht um sich zu bewegen.«

Kiina sah den Quorrl gleichermaßen verärgert wie überrascht an, und Titch machte einen zornigen Schritt auf Scrat zu. »Es ist gut«, mischte sich Skar in den beginnenden Streit ein. »Ich werde vorsichtig sein. Ich danke dir für deine Hilfe.« Er sah Titch fragend an. »Die anderen ...?«

»Leben alle noch«, sagte Titch. »Sie haben nicht einmal gemerkt, was passiert ist.« Er machte eine Geste zur Tür. »Cron will uns sehen.«

Obwohl er allen Grund dazu gehabt hätte, dachte Skar, klang er nicht erleichtert, sondern eher besorgt. Hätte er es nicht besser gewußt, wäre er angesichts Titchs sonderbarer Reaktion sicher gewesen, daß er auch Crons Familie und Gesinde lieber tot als lebendig gesehen hätte.

Er verscheuchte den Gedanken, streifte seinen Mantel wieder über und bedeutete Titch mit Gesten, voran zu gehen. Kiina wollte sich ihnen anschließen, aber Titch schüttelte den Kopf. »Bleib zurück«, sagte er. »Ich traue Cron nicht.«

»Ich denke nicht daran, allein hier zu bleiben!« widersprach Kiina heftig. »Wie sicher, glaubst du wohl, wäre ich hier allein, wenn ihr nicht zurückkommt?«

»Titch hat recht«, mischt sich Scrat ein. »Besser, du bleibst hier. Ich will auch nach dir sehen.«

»Mir fehlt nichts!« sagte Kiina trotzig. Und schon gar nichts, was eine Quorrl heilen könnte, fügte ihr Blick hinzu. Aber wenn Scrat die unausgesprochene Beleidigung überhaupt bemerkte, dann schien sie sie nicht sonderlich zu stören. Mit der Selbstverständlichkeit, mit der das Alter über den Widerspruch der Jugend offensichtlich bei allen Völkern hinwegging, ergriff sie Kiinas Arm und zwang sie fast gewaltsam, auf der Truhe Platz zu nehmen, auf der Skar bisher gesessen hatte. Kiina protestierte lautstark und versuchte sich zu wehren, aber das eine war so sinnlos wie das andere: Scrat reagierte nicht auf ihren Protest und die Beschimpfungen, die sie hineinflocht, und sie war zwar alt, aber sie war eine alte Quorrl, und somit immer noch gut fünfmal so stark wie das Mädchen.